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Kultur

„Schwestern“ – Vom Abschiednehmen und der großen Last der Schuld

Freitag, 29. Oktober 2010 | Text: Kathrin Rindfleisch | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Das Comedia Theater wagt sich an eines der großen Tabuthemen unserer Gesellschaft: den Tod unter Geschwistern. Nicht nach einem erfüllten Leben, sondern mitten in der Kindheit. Zu einem Zeitpunkt, wenn das Leben gerade so richtig Spaß macht. Wenn Quatschmachen so selbstverständlich ist wie Nudeln mit Sauce und Streiten mindestens genauso lustig wie das anschließende Wiedervertragen.

Rüdiger Pape, preisgekrönter Regisseur für Kinder- und Jugendtheater, hat mit seiner Inszenierung „Schwestern“ von Theo Fransz, die in den vergangenen Tagen mit großem Erfolg im COMEDIA Theater gezeigt wurde, dieses schwierige, traurige Thema angepackt…und alles anders gemacht, als man erwartet.

 

Es geht um den Tod eines Kindes. Die Bilder in den Köpfen dazu sind tieftraurig, depressiv, voller Schuld und unbeschreiblicher Trauer. Wieso sollte man sich das auch noch angucken? Mit Kindern, in der Freizeit – eine Konfrontation mit dem denkbar Schrecklichsten?

 

Doch Theo Fransz hat nicht nur die Bilder im Kopf zerknüllt und neu gemalt – mit Farben jenseits von Schwarzweiß.  Er hat das Lachen in dieses bedrückende Thema gebracht, ihm damit den Schrecken genommen und es einem scheinbar unmöglichen Publikum zugänglich gemacht, nämlich denen, die es betrifft: Kindern. Das Stück ist für Menschen ab 8 Jahren und unbedingt ebenso für Erwachsene! Denn was darin passiert, ist für alle Beteiligten schmerzhaft – aus unterschiedlichen Blickwinkeln…

Die ältere Schwester liegt nach dem tödlichen Unfall der kleinen Schwester jede Nacht wach und wird von ihr besucht. Im Traum und doch real. Sie dreht die Heizung im Haus hoch, denn der kleinen Schwester ist kalt, sie holt die Kleider der Kleinen – und die Eltern finden sie.  Aus einer Ohnmacht und der Vorstellung heraus, der Großen gehe es sehr schlecht und sie habe Wahnvorstellungen, schmeißen sie die Kleidungsstücke ihrer toten Tochter weg, verbieten der Großen, über ihre nächtlichen Erlebnisse zu sprechen, verbieten sich selber, weiter zu sprechen.

 

Aber die lebendige Tochter möchte sprechen! Muss ihre Schwester nachts treffen, mit ihr lachen, Quatsch machen, singen und streiten. Und das passiert! Auf der Bühne! Es ist wunderbar, den beiden herausragenden Schauspielerinnen Dorothee Föllmer als verunglückte Zus und Rebekka Madita Hundt als trauernde Mathilde beim „Anfiesen“ zuzuschauen, einem Spiel, das die gewinnt, der der anderen die fiesesten Schimpfwörter an den Kopf haut. Szenen, in denen lauthals gelacht wird im Publikum. Weil Schimpfwörter Spaß machen. Weil einem das so vertraut vorkommt. Weil man bis in den Zuschauerraum hinein spürt, wie viel Liebe und Respekt auch in dem noch so fiesen „eingeschlossenen Nilpferdfurz“ steckt.

Der Kloß im Bauch weicht für einen Moment auf…um dann wieder schwer wie ein Stein zu werden, beim Schwesternlied in einer Fantasiesprache, die nur die beiden da vorne verstehen. Man versteht trotzdem. Dass Schwestern Seelenverwandte sind. Und dass sie sich nerven. Dass sie nie weit genug weg und eng genug beieinander sein können. Das tut weh – und macht gleichzeitig glücklich.

Über dem Ganzen schwebt indes ein nicht aushaltbares Ausrufezeichen: Schuld. Mathilde hätte der kleinen Schwester ihr Stofftier geben sollen, dann wäre sie nicht einfach über die Bahngleise und damit vor den Zug gelaufen. Sie hatte es ihr zwar vorher noch angeboten und die Kleine hatte abgelehnt, aber dann wollte sie es doch und dann war es zu spät.

Der Zuschauer spürt diese unendlich große Last an Schuld, die Mathilde sich da aufgebürdet hat. Ihr geliebte Schwester, die gestorben ist, weil sie etwas versäumt hat. Immer wieder kommt diese Schuld hoch. Trotz Anfiesen und Innigkeit, trotz Quatsch und jeder Menge Schwesternliebe scheint keine Rettung in Sicht.

 

Es wird Rettung geben. Theo Fransz hat die Schuldfrage, die nicht nur auf Kindern lastet, sondern alle Menschen umtreibt, so wunderbar versöhnlich aufgelöst, dass man am Ende nicht vor Trauer, sondern vor Erleichterung weinen möchte.


Die beiden spielen noch einmal die Unfallsituation nach und jetzt kann Mathilde zaubern. Sie zaubert das Stofftier zur Schwester rüber. Doch Zus möchte gar nicht ihr Stofftier. Sie hat ihren Schal vergessen. Auch den zaubert Mathilde ihr kurzerhand rüber. Doch es war gar nicht der Schal, sie hat vergessen, sich zu verabschieden. Oder einfach nochmal zurückgewollt. Egal. Es ist einfach egal. Das Schreckliche ist passiert. Nicht, weil Mathilde nicht gehandelt hat, es ist passiert, weil es passiert ist.

Die große lässt die kleine Schwester gehen, sie ist traurig, aber auch froh, sie immer bei sich zu haben. Der Verlust ist unendlich schmerzhaft, aber er ist geschehen, und das zu akzeptieren ist wahrscheinlich die größte Herausforderung in dieser Situation.

Die jungen Zuschauer hatten nach dem Stück Gelegenheit, sich über das Geschehene auszutauschen – ein Angebot, das das COMEDIA Theater sehr ernst nimmt.  Stücke einer derartigen Intensität werden fast immer mit ausgebildeten Theaterpädagogen  begleitet. Die nächste Aufführung der „Schwestern“ ist am 17.11.2010. Prädikat: unbedingt anschauen!

Weitere Infos zum Kindertheater des COMEDA Theaters hier.
 

Text: Kathrin Rindfleisch

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