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Kolumne

Ach du meine Tante!

Mittwoch, 18. Mai 2011 | Text: be süd

Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten

Irgendwie glaubt man, dass man als Erwachsener  jede Situation meistern kann. Man hat eben alles im Griff! Schließlich wird dem Alternden nachgesagt, er werde reifer, klüger und weiser.   So weit, so gut.  Doch dann passiert etwas so Unerwartetes, dass es einen regelrecht aus der Bahn wirft…

Irgendwie glaubt man, dass man als Erwachsener  jede Situation meistern kann. Man hat eben alles im Griff! Schließlich wird dem Alternden nachgesagt, er werde reifer, klüger und weiser.   So weit, so gut.  Doch dann passiert etwas so Unerwartetes, dass es einen regelrecht aus der Bahn wirft…
Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in ihrem normalen Alltag, unterwegs, mittendrin, in Eile, in Gedanken schon bei übernächsten Termin. Auf einmal klingelt das Telefon, RING, nichts ahnend, mitten in Gedanken, nehme ich den Hörer ab. „Hallo? Wie bitte? WIE BITTE?!“, „WAS? WER? Ich glaube es nicht!“. Das war´s mit der Arbeit! Ich bin wie vor den Kopf geschlagen! Ich sitze wie paralysiert, mit weitaufgerissenem Mund, mir wird schwindelig. Ich muss es laut wiederholen, um es zu verstehen: „Meine 80jährige Tante ist von zu Hause weggelaufen!“ Das wäre mir in meinen kühnsten Träumen nicht eingefallen? Ich kann keinen normalen Gedanken mehr fassen. Die Familie befindet sich in heller Aufregung, mein erster  Gedanke schreit: „Wir müssen die Polizei rufen!“. Aber sie hat eine Nachricht hinterlassen. Auf dem Zettel am Kühlschrank steht: „Bin weg! Melde mich später.  Mir geht es gut.“

Hoppla! Dürfen 80jährige Tanten einfach weg laufen? Ich bin geschockt! Als Kind bin ich einmal weggelaufen, ich habe es bis zur Straßenecke geschafft und mich hinter einem Busch versteckt. Besonders überlegt habe ich mir das nicht, dafür aber besonders laut angekündigt! Das einzige spannende an der Geschichte war meine Aufregung und das Ergebnis, dass ich nach zwei Stunden, na immerhin, nasetropfend und hungrig,  heim gekehrt bin. Zwei Stunden – und bis zur Ecke (ja ja, ich war schon sehr abenteuerlich).
Wo ist meine Tante?  Zu meiner Beruhigung: meine Tante ist für ihre 80 Jahre ganz schön fit. Sie ist Künstlerin, wie sie selber sagt. Ihr  habe ich es zu verdanken, dass ich eine Ansammlung unglaublich kitschiger Keramik- Püppchen, Kätzchen und tanzender Pärchen habe, die ich immer nur raushole und dekorativ auf dem Tisch stelle, wenn sie zur Besuch kommt. Wo ist sie nur? Wo wollte sie immer hin? Als junges Mädchen träumte sie immer von Hollywood. Mich trifft der Schlag! Kann es sein, ist es möglich? Befindet sie sich gerade mit ihrem Gehstock auf dem Weg nach Los Angeles?! Oh, nein! Werde ich meine Tante demnächst bei Americas  Next  Superstar-Grandma sehen? Was ist verrückter – seinem Traum nachzugehen (egal in welchem Alter), oder es nicht versucht zu haben? Ich habe keine Antwort. Der Gedanke lässt mich nicht los, eine 80jährige Dame alleine in LA – ich glaube, ich muss mich hinsetzen… Was soll ich nun tun? Keine Panik, sage ich mir. Sie ist schließlich ein erwachsener Mensch.…
Ab wann ist man zu alt für ein Abenteuer? Ich stelle fest, dass ich auf jeden Fall viel zu alt für die Abenteuer meiner Tante bin! In Zeiten der Not (und  jetzt ist eine!)  greife ich meistens zu einem Stück Schokolade, heute brauche ich eine ganze Tafel. Während  die Schokolade in meinem Mund schmilzt und die Glückshormone durch meinen ganzen Körper strömen, fange ich an zu lachen. Wahnsinn, sie ist ausgerissen! Sie hat sich getraut! Wie mutig!
Plötzlich klingelt das Telefon, RING, was erwartet mich jetzt? Wie eine akustische Zeitlupe höre ich RRIIINNNG… Meine Hand bewegt sich langsam zum Telefonhörer, RRRIIIIIINNNNGGGG, verunsichert hebe ich den  Hörer ab und höre ein Rauschen, es klingt nach Wind und Wellen und einer bekannten Stimme: „Hallo Kindchen, ich bin es! Mir geht es gut! Ich bin in LA und sitze barfuß am  Meer! Nimm es mir nicht übel, aber wann hätte ich es machen sollen, wenn nicht jetzt!“
 

 

Text: be süd

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