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Bildung & Erziehung

„Wir kämpfen nur mit Wasser“

Freitag, 18. März 2016 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Was für eine Woche in der Südstadt: Die nächtlichen Krawalle vor dem Humboldt-Gymnasium beschäftigen Schüler und Eltern bis heute – in den Medien ist das Thema längst überregional. Was ist passiert in der Nacht? Warum ist es passiert? Welche Hintergründe hat das? „Meine Südstadt“ hat mit einer Schülerin des Gymnasiums gesprochen, mit dem Künstler Cornel Wachter und mit einem Psychotherapeuten.

 

Cornel Wachter hat in den letzten Tagen viel Zeit am Telefon verbracht. Der Künstler aus der Südstadt hatte sich in deutlicher Form zur Reaktion der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf die Randale vor dem Humboldt-Gymnasium geäußert: Sie sprach von „Wohlstandsverwahrlosung“. Das wollte Cornel Wachter nicht unkommentiert lassen.

Er schrieb, man solle doch besser mal überlegen, warum sich da bei den Jugendlichen etwas entladen habe: „Der ‚Pisa‘-Druck ist inzwischen so enorm hoch, die Eltern so hysterisch erfolgsorientiert, die Lehrer so unter dem Druck ihrer vorgesetzten Stellen, das den Pänz oft keine Luft mehr zum Atmen bleibt.“

 

„Fast eine Telefonseelsorge“

Am nächsten Tag stand sein Telefon nicht mehr still – Schüler und Eltern riefen ihn an: Sie fühlten sich bestätigt, wollten sich Luft machen. Er habe fast eine Telefonseelsorge aufgemacht, schrieb Cornel Wachter später. Einige Schüler von verschiedenen Schulen berichteten davon, dass Mitschüler den Leistungsdruck nur noch mit Drogen im Griff haben. Andere verteidigten die Ereignisse von Montagnacht und klagten über eine überzogene Berichterstattung in den Medien.

Der Kölner Pädagoge Wolfgang Oelsner, der auch Psychotherapeut für Kinder- und Jugendliche ist, sagte gegenüber „Meine Südstadt“, dass das Leben Druck mache, dass Menschen aber auch über Ressourcen verfügen, mit Druck umzugehen. Heute herrsche die Meinung vor, man müsse schon besonders früh gut aufgestellt sein. Doch im Grunde sei Druck an sich nichts, was nur die jetzige Generation präge. Vielmehr wiederhole sich das von Generation zu Generation. Aber, so Oelsner: „Wer mitten im Abi steht, darf sich aktuell besonders gefordert und auch ausgepowert fühlen.“

 

Das Destruktive kann brutal durchschlagen

Zu den Krawallen meint Oelsner: Von den vielen Gründen, die hier hineinspielten, könne einer sein, dass sich die ‚Kehrseite‘ einer an sich guten Entwicklung zeige. Viele Jugendliche kämen aus liebevollen, fördernden, angstfreien Familienmilieus. Das sei natürlich schön, doch sie seien dann nicht so geübt, Frühwarnsysteme zu entwickeln, wenn es mal ungemütlich werde, auch in einem selbst. Das Destruktive könne dann -wie erlebt- brutal durchschlagen.

Im Kern geht es Oelsner vor allem um den Begriff von Öffentlichkeit. Er vertritt die Ansicht, dass Abi-Aktionen, die den geschützten schulischen Rahmen verlassen, ‚die Unschuld verlieren‘. Durch die sozialen Netzwerke würden sie heute im Nu öffentlich. Die Folge: Es entwickle sich eine Dynamik, die nicht zu kontrollieren sei – und die auch von den allermeisten sicherlich nicht beabsichtigt gewesen sei.

 

„Das KKK hat übertrieben“

 

Von der Theorie zur Praxis. „Meine Südstadt“ fragt eine Schülerin vom Humboldt-Gymnasium, die alles miterlebt hat. Die Öffentlichkeit sieht sie als wichtigen Punkt. Denn in den vergangenen Jahren hat der alljährliche Zusammenschluss der Humboldt-Abiturienten unter dem Namen „Kölsch-Kraat-Kommando“ sehr aggressive, teils martialische Videos gedreht, um die Aktionen der Abizeit anzukündigen. Was zunächst ironisch gemeint war, sagte uns die Schülerin, habe die anderen Schulen provoziert. „Das KKK hat übertrieben“, sagt sie. „Das war sehr krass.“

 

Zur Theorie der Frühwarnsysteme ist die Schülerin anderer Ansicht als der Therapeut. Sie sagt: „Gerade weil das KKK so krass war, wollten wir uns dieses Jahr davon abgrenzen.“ Das KKK hatte sich letztes Jahr aufgelöst, und der jetzige Jahrgang erfand stattdessen die Aktion „Schweinerei“ – auch in Anspielung darauf, wie die Presse das Humboldt-Gymnasium dargestellt habe. „Wir wollten der Öffentlichkeit etwas geben, das sie nicht erwartet hat. Nichts mit Gewalt.“

 

Also gab es graue Pullis mit pinken Schweinen drauf – und nicht die schwarzen KKK-Pullis der vergangenen Jahre.

Eigentlich funktionierten auch die Frühwarnsysteme der Schüler sehr gut. Sie wollten den Spaß, den jeder Abitur-Jahrgang will – aber nicht das Ausarten, das sich in den vergangenen Jahren entwickelte. Anders gesagt: Es sollte eine Wasserschlacht zwischen den Schulen werden. Sonst nichts. Wirklich nicht? „Nein. Das war uns wichtig. Das haben wir auch auf What’s App und über Facebook deutlich untereinander vereinbart: Wir kämpfen nur mit Wasser.“

 

„Wir waren leichte Beute“

Es ging trotzdem schief. „Elf Gymnasien sprachen sich ab mit dem Ziel: Humboldt kriegt auf die Fresse“, sagt die Schülerin. „Wir waren leichte Beute. Das KKK hatte sich aufgelöst, also konnten sie es uns jetzt zeigen. Trotzdem dachten wir  – und ja wohl auch Schüler anderer Schulen – an eine spielerische Auseinandersetzung mit Wasserwurfzeug.“ Ab wann hat sie geahnt, dass der Abend eskalieren würde? „Als sich dieser Halbkreis vor dem Humboldt bildete. Da kamen plötzlich 200, 300 Leute aus allen Ecken.“

Was dann geschah, ist in vielen Artikeln mehr oder weniger zutreffend beschrieben worden: Auf der einen Seite 50, 60 defensive Schüler vom Humboldt. Auf der anderen 200 bis 300 Schüler von anderen Schulen, darunter wohl auch „Auswärtige“ und Ehemalige – also Jugendliche, die nicht zu den Abi-Jahrgängen gehören und auch keine der obligatorischen Schulpullis trugen (eine Art Erkennungszeichen der Gymnasien). Was als Wasserschlacht geplant war, artete aus.

 

 

Aus dem Halbkreis flogen unter anderem Glasflaschen und Steine, Stöcke und andere Geschosse, teilweise mit Katapulten beschleunigt, in Richtung Humboldt, zwei Schüler wurden schwer verletzt: Jochbeinbruch, Schädelbasisbruch. Selbst als es die ersten blutenden Verletzten gegeben habe, sei dies von einigen Seiten mit Gejohle quittiert worden – und auch die Polizei habe trotz Aufforderung nicht eingegriffen: So beschreiben inzwischen übereinstimmend zahlreiche Schülerinnen und Schüler die Ereignisse. Von unterlassener Hilfeleistung ist die Rede. Die Polizei kündigte eine interne Untersuchung an.

 

Abi-Gag abgesagt

Haben die Humboldtianer wirklich nur mit Wasserbomben geworfen? Keine Flaschen? „Hundertprozentig nicht“, sagt die Schülerin. „Darauf hatten wir uns verständigt und wir hatten darum auch gar nichts anderes dabei.“ Auch von den anderen Schulen distanzierten sich viele von den gewalttätigen Übergriffen.

Was passiert jetzt? „Ich bin geschockt“, sagt die Schülerin, „dass es so krass eskaliert ist.“ Als Konsequenz hat der Jahrgang den „Abi-Gag“ für heute abgesagt, stattdessen gab es Ansprachen vor der Schülerschaft – auch von dem Schüler, dessen Jochbein brach. Die Schülerin erzählt uns, dass sie nun die kommenden Abi-Jahrgänge dazu aufgerufen haben, gar keine Aktionen mehr zu planen. „Oder wenn, dann was Kontrolliertes, was mit Sport, also Paintball oder Laser Tag.“

 

„Es klappt nur, wenn sich alle an die Regeln halten“

Genervt ist sie, weil es Vorwürfe gegeben habe, „dass wir selbst schuld sind an allem.“ Denn eines ist ihr wichtig. So eine Abi-Aktion hat schon ihren Sinn, und sie soll vor allem eines sein: lustig. „Das ist komplett kindlich, das ist das Kontrastprogramm, dass wir uns da halt ausleben. Das ist unvernünftig, aber das ist gut. Es hat sich nur in den letzten Jahren so ungut entwickelt. Es klappt nur, wenn sich alle an die Regeln halten“.

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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