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Politik

Die Vision von einem gerechten Frieden

Donnerstag, 23. November 2017 | Text: Alida Pisu | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Er ist eine kritische Stimme in Israel: Jeff Halper, der sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt und die Vision von einem binationalen Staat für Israelis und Araber hat. Als Gast in der Lutherkirche sprach er über seine Sicht eines gerechten Friedens in Israel. Unsere Autorin Alida Pisu unterhielt sich mit ihm.

Meine Südstadt: Jeff, Sie sind in den USA geboren, haben jüdische Wurzeln und leben seit 1973 in Israel. Dort waren Sie Professor der Anthropologie und haben begonnen, sich politisch zu engagieren. Das führte zur Gründung des Israeli Committee Against House Demolition, das sich für die Rechte von Palästinensern in den besetzten Gebieten einsetzt. Warum haben Sie das Komitee gegründet?
Jeff Halper: Ich bin so eine Art Museumsstück aus den 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten. Ich habe so ziemlich alles mitgemacht, was man in dieser Zeit angestellt hat. Ich war sehr engagiert in verschiedenen Bewegungen, wie die gegen den Vietnamkrieg. Das einzige, was ich nie war: ein Hippie in San Francisco. Als der Geist der Sechziger Jahre verschwand, wurde das Leben in den USA für mich leer und zwecklos. Meine Revolution war die politische. Es war mir von Anfang klar, dass es sich um ein besetztes Land handelte und ich stieg sofort in die Friedensbewegung ein. Seit 20 Jahren stehe ich dem Israelischen Komitee gegen Hauszerstörung vor. Mein Einsatz gegen Hauszerstörungen ist die Fortsetzung der Arbeit, die ich seit sehr vielen Jahren mache.

Stichwort Friedensbewegung: in den 1980er Jahren brachte die „Peace Now“ – Bewegung Hunderttausende auf die Straße. Warum hat sich bis heute so wenig bewegt?
Jeff Halper. Auch wenn sich Israel als Demokratie bezeichnet, sogar als die einzige im Nahen Osten, ist es doch eine Ethnokratie. In einer Ethnokratie gehört ein Land einer bestimmten ethnischen Gruppe. Wir haben eine Ethnokratie, die sich Israel nennt und die Kontrolle über das Leben von sechs Millionen Palästinensern hat. In anderen Worten: nicht einmal die Hälfte der dort lebenden Menschen besitzt die Staatsbürgerschaft. Die größere Hälfte verfügt nicht einmal über Bürgerrechte. Von den fünf Millionen palästinensischen Flüchtlingen, die ein Recht zur Rückkehr in ihre Heimat haben, ganz zu schweigen. Es reicht nicht zu sagen, dass wir Frieden und das Ende der Besatzung wollen. Solange wir das ganze Konzept der Ethnokratie nicht niederreißen, kann es keine binationale Gesellschaft geben.

Sie haben das Komitee gegen Hauszerstörung gegründet, weil die israelischen Streitkräfte palästinensische Häuser zerstören. Zerstört werden Häuser von Attentätern. Häuser, die ohne Baugenehmigung erbaut wurden. Häuser, die zu nah an israelischen Siedlungen, Straßen oder Militärgeländen liegen. Bei Häusern von Attentätern kann man es irgendwie noch halbwegs nachvollziehen. Aber die anderen: sehen Sie darin ein gezieltes Mittel?
Jeff Halper: Lassen Sie mich zuerst eines sagen: Man kann Israel nicht von den besetzten Gebieten trennen. Die Hauszerstörungen haben nichts mit der Abwehr von Terrorismus zu tun. Das ist ein abgekartetes Spiel. Israel will glauben machen, dass das alles zur Verteidigung dient. Seit 1967 hat Israel 50.000 palästinensische Wohnstätten in den besetzten Gebieten zerstört. In nur einem Prozent der Fälle waren Sicherheitsgründe ausschlaggebend. Es gibt zwei Hauptgründe, warum die Häuser zerstört werden. Einer davon ist die militärische Invasion. Als Israel 2014 Gaza angriff, wurden in drei Wochen um die 18.000 palästinensische Häuser zerstört. Das waren keine gezielt ausgewählten Häuser. Kollateralschaden nennt sich das. Hinzu kommt, dass Israel keine Baugenehmigungen für Palästinenser mehr erteilt. Wenn ein Palästinenser auf seinem eigenen Land für seine Familie ein Haus baut, wird es zerstört. Das ist die Folge der Ethnokratie, die besagt, dass das ganze Land den israelischen Juden gehört.


„Viel leichter, aber es wäre nicht mein Leben gewesen.“, Jeff Halper und Alida Pisu in der Lutherkirche.

1993, zu Beginn des Osloer Friedensprozesses, gab es ca. 200.000 Siedler auf besetztem Gebiet, jetzt hat sich diese Zahl mehr als verdreifacht. Das Land, das den Palästinensern zusteht, schrumpft immer mehr zusammen. Was bedeutet das für den Friedensprozess und für die Zweistaatenlösung?
Jeff Halper: Ich wünschte, es gäbe einen Friedensprozess, doch wir sind immer noch in einer Dynamik eingeschlossen, in der ein Volk das exklusive Recht auf das ganze Land beansprucht. Bis heute hat Israel die Existenz des palästinensischen Volkes nicht anerkannt, das war selbst in den hellsten Tagen von Oslo so. Israel steht auf dem Standpunkt, dass es gar keine Besatzung gäbe und das ganze Land uns allein gehöre. Und sein eigenes Land kann man ja gar nicht besetzen. Es ist klar – und es schmerzt mich, das zu sagen – dass Israel zu einem Apartheidstaat geworden ist. Der einzige Weg, diese Apartheid zu beenden, ist die Beendigung der Ethnokratie und die Einführung eines einzigen demokratischen Staates für jeden, der in diesem Land lebt. Wenn Israel ein reiner jüdischer Staat sein wollte, wäre das möglich gewesen, wenn es die Zweistaatenlösung akzeptiert hätte. Aber Israel hat sich absichtlich und systematisch das ganze Land einverleibt, um dort dauerhaft zu herrschen. Aber man kann sich nicht fünf Millionen palästinensische Menschen einverleiben, ihnen die Staatsbürgerschaft verweigern und dann immer noch ein jüdischer Staat sein wollen. Aus diesem Grund arbeiten wir an einem binationalen demokratischen Staat.

Das wäre dann ein Staat, in dem sowohl Araber als auch Israelis gleichberechtigte Teile einer einzigen Gemeinschaft sind und zusammen leben. Wie realistisch ist das und wäre es nicht das Ende des Staates Israels?
Jeff Halper: Das wäre das Ende Israels, so wie wir es heute kennen. Es muss aber enden, denn man kann doch im 21. Jahrhundert keine Ethnokratie mehr aufrecht erhalten. Für mich ist das der einzige Weg, zu Frieden und Gerechtigkeit zu gelangen: ein gemeinsames Land zwischen dem Mittelmeer und dem Fluss Jordan, mit gleichen Rechten für alle, einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft, einem demokratischen Parlament. Dann kann jeder leben, wo er will. Die jüdischen Siedler könnten in Hebron bleiben, wenn sie das wollten und die palästinensischen Flüchtlinge könnten heimkehren. Israel/Palästina wäre dann nicht das einzige multinationale Land. In einer neuen Verfassung würde festgeschrieben, das alle, sowohl jüdische Israelis wie auch palästinensische Araber, das gleiche Recht auf ihre Identität, ihr Erbe, ihre Sprache, ihre Institutionen haben. Das ist doch eine aufregende Vision.

Was spricht denn gegen die Zweistaatenlösung? Wäre das nicht die einfachere Lösung?
Jeff Halper: Nein! Wir von der Friedensbewegung haben die Zweistaatenlösung bereits akzeptiert, ebenso die Palästinenser. Wenn unsere Regierung die Zweistaatenlösung akzeptieren würde, würden wir das doch niemals ablehnen. Nur, dass Israel sie abgelehnt hat. Diese Ablehnung ist ja nicht das Einzige, mit dem Siedlungsbau in den besetzten Gebieten beseitigt Israel praktisch diese Lösung. Im besetzten Gebiet leben 800.000 Siedler, und es mangelt an internationalem Willen, Israel zurück in die Grenzen von 1967 zu drängen. Die Zweistaatenlösung ist im Prinzip nicht mehr möglich, das wissen auch die Regierungen, wie z. B. die deutsche. Trotzdem bestehen sie auf Verhandlungen in dieser Richtung. Damit geben sie Israel aber die Möglichkeit, mit der Siedlungspolitik fortzufahren, solange die Illusion von Verhandlungen und eines Friedensprozesses aufrecht erhalten wird.

Welche Schritte müssen gegangen werden, damit die Vision eines binationalen Staates auch tatsächlich realisiert werden kann?
Jeff Halper: Die Palästinenser befinden sich in einer schwierigen Lage. Sie wissen, dass die Zweistaatenlösung im Prinzip vom Tisch ist, aber sie glauben nicht, dass ein gemeinsamer Staat möglich ist. Sie sind völlig entmachtet und begegnen ständiger Unterdrückung. Ich gehöre zu einer kleinen Gruppe von Israelis und Palästinensern, die eine Vision von einem Frieden in einem gemeinsamen Staat formulieren will. Wir haben im Februar 2018 ein Treffen, wo wir die beteiligten Gruppen für diese Idee gewinnen wollen. Wir hoffen, dass daraus eine Stimme der Hoffnung entsteht und dass Sie uns unterstützen werden. Nur wenn die Bürger sich organisieren und Druck ausüben, kann eine Änderung der Politik entstehen. Wir machen also unsere „Hausaufgaben“ in Israel, aber wir brauchen internationale Unterstützung, um Druck auf Israel ausüben zu können, um die  Besatzung zu beenden und sich in Richtung eines gerechten Friedens zu bewegen.

Wäre Ihr Leben nicht leichter gewesen, wenn Sie in Amerika geblieben wären?
Jeff Halper: Viel leichter, aber es wäre nicht mein Leben gewesen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Text: Alida Pisu

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