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Gesellschaft

Mit Steigeisen auf den Weihnachtsmarkt

Sonntag, 2. Dezember 2012 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Wikimedia Commons

Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten

Es gibt ja viele Dinge, die ich nicht verstehe. Warum alle Menschen immer just zur selben Zeit wie ich denselben Supermarkt ansteuern, ist mir beispielsweise ein Rätsel. Aber ich kenne Leute, die führen exakt dieselbe Klage im Munde. Obwohl ich die nie im Supermarkt treffe. Auch der Werbemarkt macht mich bisweilen ratlos. Unvergessen der Prospekt, in dem ein Textilverkäufer irgendeinen Fummel, in dem auf dem Foto eine lächelnde Blondine steckte, mit den Worten bewarb: „Apart und frisch in Schlamm“. Wobei „Schlamm“, wie mir eine kundige Dame später erklärte, die gerade angesagte Trendfarbe der Saison war. Alles klar. Mit dem Slogan „Verdreckt und zugedröhnt in Schlamm“ hätte das Kleid ja vermutlich kein Schwein gekauft.

Staunen muss ich auch bei diesen bunten Flyern von „Pizza Taxis“, die man mir netterweise unter der Haustür durchschiebt. Wobei die ja längst nicht mehr nur Pizza im Angebot haben. Letztens kam da so ein Faltblatt, bei dem ich die Wahl zwischen italienischer, asiatischer und mexikanischer Küche haben sollte. Jäger- und Zigeunerschnitzel gab´s auch noch. Insgesamt brachte es der Zettel auf unglaubliche 243 Gerichte! Wenn ich mir vorstelle, wie da drei bienenfleißige Menschen auf zwölfeinhalb Quadratmetern irgendwo im Industriegebiet aus einer überschaubaren Menge an Einwegverpackungen 243 kulinarische Köstlichkeiten zaubern – Respekt.

Was ich oft gar nicht verstehe, ist die Auswahl von Testemonials in der Werbung. Das sind diese Promis, die man für geeignet hält, für bestimmte Produkte glaubwürdig Reklame zu machen. Okay, Verona Pooth und „kik“, das passt. Von mir aus auch noch Sky Dumont und die „Apotheken Umschau“.  Aber ein Multimillionär wie der dumpfbackige Sportkamerad Ballack, der im Netz surft, um sich bei einem Billiganbieter zwei Wochen Malle für 189 Euro all inclusive zu schießen!? Noch besser: Reiner Calmund soll Reiselustige zu „Fluege.de“ locken. Möchte irgendwer im Flieger, womöglich noch Economy, auf oder unter Reiner Calmund sitzen? Von „neben“ kann da ja wohl kaum die Rede sein.

Bisweilen macht aber auch der Blick in den Wirtschaftsteil seriöser Zeitungen stutzig. „Umsatzeinbruch bei Outdoor-Ausrüstern“ wurde da neulich getitelt. Wie bitte?! Kann doch gar nicht sein. Wann immer ich im Urlaub per pedes unterwegs bin, treffe ich ganze Heerscharen von Wandergesellen, die von Kopf bis Fuß in Klamotten der einschlägigen Edelmarken stecken. Verläuft man sich ins hügelige Sauerland, sieht´s gar aus wie im Everest-Basislager. Rein ausrüstungstechnisch gesehen. Doch, nun gut. Wenn der Schweiß rinnt und Schneestürme drohen, macht diese so genannte Funktionswäsche ja durchaus Sinn. Relativ neu ist hingegen, dass vor allem betagte Senioren in Trekking-Klamotten die Innenstädte bevölkern. Keine Ahnung, ob die vom Jugend- oder Outdoor-Wahn befallen sind, aber wann immer ich mich auf die Hohe Straße oder ans Rheinufer verlaufe, sind da heute ganze Busladungen Rentner-Gangs, die früher im Herbst ihre Übergangsjacken aus dem Schrank holten, in Jack Wolfskin und North Face unterwegs. Cargo-Hosen, Allwetterjacken und Offroad-Treter an den Füßen. Betagte Ehepaare gern auch im Partnerlook. Scheint aber kein rein urbanes Phänomen zu sein.

Als ich neulich auf dem Land bei einer kirchlichen Trauerfeier war, saß eine Reihe vor mir die Sonntagsvariante des neuen Looks: Ein älterer Herr in Trekking-Hose und entsprechendem Schuhwerk, wozu er obenrum feiertagstauglich Hemd Sakko und Krawatte trug. Irre. Wenn es in Köln demnächst mal schneien sollte, würde es mich nicht wundern, wenn da ein paar rüstige Senioren mit Steigeisen und Eispickel auf dem Weihnachtsmarkt unterwegs wären. Aber warum in aller Welt steckt dann die Trekking-Branche nach Jahren mit zweistelligen Umsatzzuwächsen heute in der Krise? Eigentlich ganz einfach. Weil die Klamotten, mit denen man die Eigernordwand durchsteigen könnte, in Fußgängerzonen einfach nicht kaputt zu kriegen sind.  

Text: Reinhard Lüke

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