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Kolumne

Moralapostel wider Willen

Montag, 31. Oktober 2011 | Text: Kathrin Rindfleisch

Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten

Was mir nicht klar war: wir machen schon ziemlich viel Murks den lieben langen Tag, verstoßen gegen Regeln, verschmutzen, behindern und bringen uns und unsere Mitmenschen in Gefahr. Das war mir lange nicht bewusst, weil ich auf vieles nicht achte und oft selber mitmache. Seit ich allerdings neuerdings meine beiden Moralapostel dabei habe, ist das anders. Die Augen öffnen sie mir, jeden Tag.

Was mir nicht klar war: wir machen schon ziemlich viel Murks den lieben langen Tag, verstoßen gegen Regeln, verschmutzen, behindern und bringen uns und unsere Mitmenschen in Gefahr. Das war mir lange nicht bewusst, weil ich auf vieles nicht achte und oft selber mitmache. Seit ich allerdings neuerdings meine beiden Moralapostel dabei habe, ist das anders. Die Augen öffnen sie mir, jeden Tag. Für Menschen, die bei Rot die Straße überqueren, für Müll der überall herumliegt, nur nicht im Eimer, für Radfahrer auf dem Gehsteig und mich selber auf der Straße.

Sie spüren sie auf, die Tunichtgute und Ignoranten, die Kavaliers-Delinquenten und Regelbrecher unserer Gesellschaft. Und sind dabei äußerst kritisch, ungnädig und für keinerlei Ausrede empfänglich. Hatten wohl gute Lehrmeister. Denen das Ding jetzt um die Ohren fliegt. Denn es gibt Situationen, da kann es mitunter schwierig werden, mit zwei moralinsauren Klugscheißern unterwegs zu sein. Oder gar gefährlich. Dann nämlich zum Beispiel, wenn Paul lauthals verkündet, dass man in der Bahn nicht trinken darf UND gar nicht die Füße sofort von der Sitzbank sollen. Recht hat er, zweifelsohne, und trotzdem wünsch ich mir in so einem Moment einen weniger aufgeweckten kleinen Kerl neben mir. Ich hätte zwar kein wandelndes Regelwerk des modernen Miteinanders mehr dabei, dafür blieb mir aber auch der böse Blick dieses betrunkenen, leicht aggressiven Typen erspart, der nicht nur seine Füße, sondern wohl auch seine ganze böse Laune auf der Sitzbank ihm gegenüber geparkt hat. Anders ist sonst kaum zu erklären, warum sich niemand in der vollen Bahn zu ihm setzt.

Bemerkens- und noch viel beneidenswerter dabei ist, dass Paul in seiner Richtig-und-Falsch-Weltdiese Untertöne noch gar nicht mitbekommt. Er sieht in dem düsteren Typen keine potentielle Gefahr, sondern einfach einen, der nach den Regeln verstößt, die auch er einhalten muss. Recht hat er ja, keine Frage, und doch fühl ich mich in manch einer dieser Mama-das-darf-man-aber-nicht-Situationen unwohl. Weil ich mich in so einer merkwürdigen Klugscheißer-Mitkomplizenschaft wiederfinde. „Ja Smilla, Du hast recht, man wirft keinen Müll in die Bahn.“ Oder „Ja, der Mann fährt ohne Licht Fahrrad. Du machst das aber richtig, Du hast ein Licht.“ Also, nicht das wir uns falsch verstehen, recht haben sie, die Kinder. Und zur Rückbestätigung des von ihnen Erlernten, ist es auch sicher ganz wichtig, Fehlverhalten als solche auszuweisen. Und dennoch hat das für mich als Mutter UND Mitglied dieser fehlerhaften Gesellschaft so was spießig dilettantisches. So was aufdeckendes, so was überhebliches, so was Else Klingiges. Seine Mitmenschen vor anderen laut auf dessen Fehler hinweisen, die man sicher das in oder andere Mal genau so auch schon begangen hat, das fällt mir schwer, das muss ich zugeben.

Zumal: was ist die jeweilige Konsequenz die ich, wenn schon lautstark angemahnt, Paul und Smilla gleich korrekt mit auf den Weg gebe? Sollen sie das liegengelassene Kaugummipapier in der Bahn aufheben und im nächsten Papierkorb entsorgen? Korrekter Weise  würde die Antwort „Ja“ lauten. Allerdings müssen unsere Kinder damit anfangen, was alles anderen offensichtlich versäumen, nämlich die eigene Umwelt sauber zu halten? Auch irgendwie nicht. Smillas eigener Entschluss, das Papierchen zwischen Fenster und Sitzbank verschwinden zu lassen, da „Igitt!“, kann´s auch nicht sein, oder?
Tatsächlich bin ich zu diesen Fragen unsicher. Vielleicht, weil ich selber merke, wie ignorant ich im Alltag selber damit umgehe. Aber sicher auch, weil ich mich dann innerlich sträube, schließlich bin ich nicht der Moralapostel der Nation. Oder sollte ich das sein – für eine bessere Welt, in der ich lebe?!

Text: Kathrin Rindfleisch

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