Ottos Welt – Leben im Johanneshaus
Donnerstag, 18. Oktober 2018 | Text: hmkw.de | Bild: hmkw.de
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Wie es sich in einem „Herrenwohnheim“ lebt und vor allem welche Schicksale hinter denen stehen, die dort gelandet sind, wollten die hmkw-Studentinnen Lisa Marie Bosch und Marie Cornelius wissen. Um davon einen Eindruck zu gewinnen, haben sie einen Tag mit einem Bewohner des Johanneshaus in der Annostraße verbracht und sich seine persönliche Geschichte angehört.
Unterkunft statt Unterschlupf
Das Wohnheim in der Annostraße bietet seit 1949, also seit knapp 70 Jahren schon ambulante und stationäre Hilfe im Bereich der Wohnungshilfe. Ziel ist, den Bewohnern eine Lebensgrundlage zu sichern und sie so zu fördern, dass sie am normalen Leben teilhaben können, sie persönlich zu stabilisieren und in ihrer Neuorientierung zu unterstützen. Zurzeit arbeiten in der Unterkunft circa 80 Mitarbeiter, dazu gehören auch Köche, Krankenschwestern und Verwaltungsmitarbeiter. Es sind insgesamt 90 Plätze in der sozialen Einrichtung des Diözesan Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V. verfügbar. Doch die Nachfrage ist viel größer.
Alles was man zum Leben braucht
Im Herzen der Südstadt liegt Ottos (Name geändert, Anm. der Red.) Zwölf-Quadratmeter-Welt. In einem Zimmer im ersten Stock wohnt der ältere Herr gemeinsam mit seinem Kanarienvogel, seinem „ganzen Stolz“. Eigentlich wuchs Otto in Brühl auf, machte nie eine Ausbildung und hatte früher einmal fünf Geschwister. Seine Eltern sind verstorben, ebenso zwei seiner Geschwister – der Krebs war schuld. Auch Otto hat es erwischt, er wurde bereits mehrfach wegen Blasenkrebs operiert. Trotzdem hat er sich nie unterkriegen lassen und genoss sein Leben in vollen Zügen. Es ist eben alles eine Einstellungssache: Manchmal sei das Glas halbleer und manchmal – wie meist bei Otto – sei es sehr, sehr voll, wie Otto sagt. Und oftmals bliebe es auch nicht bei dem einen Glas.
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LutherkircheOtto lebte schon an verschiedenen Orten der Welt, sechs Jahre davon in Tschechien, erzählt der 70-Jährige uns und wird dabei ständig von seinem Raucherhusten unterbrochen. Eines Tages lernte er in Tschechien die „Liebe seines Lebens“ kennen. Doch die Beziehung hielt nicht für die Ewigkeit – was daran liegen könnte, dass die beiden keine gemeinsame Sprache sprachen. Ein Kumpel habe stets für sie übersetzt. Kinder sind aus der Liaison nicht entstanden, auch aus seiner vorherigen Ehe nicht. Otto heiratete mit 20 Jahren eine Deutsche, aber das Schicksaal meinte es auch in diesem Fall nicht besonders gut. Die Partnerschaft hielt nur vier Jahre, denn seine Frau wurde in dieser Zeit schwer alkoholkrank. Otto angeblich nicht. Nach eigenen Angaben trinke er „nur“ zwei, drei Flaschen Bier am Tag, doch seine Betreuerin zählt oft mindestens sieben Flaschen Bier. Daraufhin gibt der vom Pech verfolgte Mann zu, früher vielleicht ein kleines bisschen zu viel getrunken zu haben: Sage und schreibe bis zu zwei komplette Schnapsflaschen täglich!
Selbst Schuld oder Schicksaal?
Otto hat viel zu erzählen und einiges davon ist schwer zu ertragen, ohne von Mitleid überwältigt zu werden. Ihm stehen 868,48 Euro Rente zu, abzüglich aller Fixkosten (Reinigung, Mahlzeiten etc.) für sein Einzelzimmer im Wohnheim bleiben ihm 307,07 Euro zum Leben. Dieses Geld zahlt ihm seine Sozialarbeiterin in mehreren Schritten aus, damit er sich nicht wieder verschuldet. Denn Otto brachte 500 Euro Schulden zu seinem Einzug mit. Im Alter von 16 Jahren stürzte der vom Leben gezeichnete Mann im Brühler Schlosspark von einer Leiter und zog sich eine Oberschenkelfraktur zu. Anschließend lag er als junger Kerl ein ganzes Jahr im Krankenhaus. An der verpassten Zeit hat Otto noch heute zu knabbern.
Gemeinsam statt einsam
Ein Vorteil des Johanneshaus sind die sozialen Kontakte der Bewohnern untereinander und auch zu den Sozialpädagogen. Seine Betreuerin hat Otto offensichtlich sehr ins Herz geschlossen. Es hängt ein Bild von den beiden und weiteren Bewohnern an der Wand in seinem Zimmer. Es entstand während eines gemeinsamen Ausfluges. Ansonsten haben die Herren im Regelfall eher wenig mit Menschen außerhalb der Einrichtung zu tun. So ist es auch bei Otto, eigentlich hat er nur zwei Freunde: Günther und Fritz. Beide leben ebenfalls in der sozialen Einrichtung. Die drei reden nicht unbedingt viel aber sie schauen im gemeinschaftlichen Wohnzimmer Fernsehen, rauchen die ein oder andere Zigarette in Ottos Zimmer oder sitzen auf der Bank im Hof. Mehr brauchen sie auch nicht. Günther sagt selbst, er sei zufrieden mit seiner Situation, denn er habe alles, was man zum Leben braucht. Nicht weniger aber auch nicht mehr. Nur einen Wunsch hat Otto noch: Seine tschechische Freundin solle ihn eines Tages besuchen. Ob das jemals passieren wird? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen nun – zumindest ein bisschen – wie es sich anfühlt, am Rande der Gesellschafft zu leben und dennoch Freude am Leben zu haben.
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