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Südstadt

Das schöne Stück ist hin

Montag, 5. Dezember 2011 | Text: Maja Majer-Wallat | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Jeder kennt das, ein Klirren und schon am Ton erkennt man, was zu Bruch gegangen ist, manchmal in Abwesenheit, verschämt in eine Ecke gelegt, den Blicken des Besitzers entzogen. Oder ein Regalbrett hat sich gelöst und fällt auf das darunterliegende und so weiter. Der Schaden an Porzellan und Keramik füllt zwei Wäschebütten und beschäftigt später die Versicherung der Gutachen wegen. Nur der Polterabend erzeugt Scherben ohne Reue, das hoffen wir zumindest, aber das gehört nicht zum Thema.

Von einem Studienaufenthalt in Taipei brachte mein Sohn eine goldene Akkupunkturfigur mit und war entsetzt, dass sie die Reise nicht gut überstanden hatte. Ein Arm war ab- und einige Scherben aus dem Korpus gebrochen. So stand sie länger herum, bis ich auf die Idee kam, in der Porzellanwerkstatt anzufragen, ob da was zu machen sei. Eberhard Schulz betrachtete aufmerksam den Schaden, und zwei Wochen später konnte ich meinem Sohn eine Freude machen. Der Chinamann war wieder heil und alle Akkupunkturpunkte und -Linien da, wo sie hingehören.

Neugierig geworden, wollte ich mehr wissen über die Arbeit dieses Restaurators.
Seit 1986 ist Eberhard Schulz mit seiner Porzellanwerkstatt im Kartäuserhof. Nach drei Jahren Ausbildung zum Figurenkeramformer, dem so genannten Bossierer, und einem Volontariat in Düsseldorf kam die Ausbildung zum Restaurator in der elterlichen Werkstatt.

Heute schaut er auf zwanzig Jahre Berufserfahrung in den Bereichen Porzellan, Fayence, Majolika, Steinzeug und Steingut zurück und ist somit ein echter Follower einer hunderfünfzigjährigen Familientradition, die zurück geht auf den ehemaligen Hufnagelschmied, der 1838 in Berlin, gegenüber dem Stadtschloss, seine Porzellanbrennerei eröffnete. Das preußische Königshaus war sein bester Kunde und brachte ihm waschkörbeweise zerbrochenes Porzellan. Mit dieser königlichen Starthilfe, einer Art materialisiertes Venture Capital, schaffte er den Break-even-Point und mehr. Bis heute hat sich die Porzellanwerkstatt von Generation zu Generation vererbt.

Bei so einem kann man mit seinen Scherben nur richtig sein!
Zu ihm kommen kleine Museen, die selber keinen Restaurator haben, Sammler, Händler und Privatpersonen bis hin zur Nachbarin. Restauriert werden Skulpturen, Vasen, Gefäße (z.B. eine Spargelddose), eine Fayence aus dem 18. Jahrhundert, sogenannte Schaugerichte, die mich an die Plastikmodelle von chinesischem Essen erinnern, nur, dass sie eben aus Keramik oder Porzellan gefertigt und aufwendig bemalt wurden. Im Internet finde ich unter Schaubildern eine ähnliche Spargeldose wie die, die mir in der Porzellanwerkstatt aufgefallen ist. Sie wurde in einer Auktion gehandelt und trägt die so spannende wie für den Laien unverständliche Bezeichnung: Spargelbündel als Schaugericht. Weiße Glasur, naturalistisch staffiert in Muffelpolychromie. Gerundet geschichtetes Bündel, doppelt von Ästen umwunden. Mit einem gebogenen Blatt als Griff erbrachte sie 3600 Euro.
Kein Wunder, dass die Liebhaber solcher Schätze einen sehr guten Restaurator brauchen. Aber nicht nur die, sondern auch die Versicherungen sind daran interessiert, im Schadensfalle eine zweifelsfreie Expertise vorlegen zu können – die Grundlage für die Wertermittlung.

Aus Museen, wie z.B. dem ostasiatischen am Aachener Weiher, kenne ich die wunderbar vergoldeten Risse in Keramikschalen und Objekten jeglicher Art. Gerade das hat mich als studierte Keramikerin immer besonders fasziniert. Den Fehler vergolden! Man restauriert mit Goldack oder auf einer Unterlage aus Epoxitharz mit reinem Pudergold nach japanischem Vorbild. Es sieht auf dem Arbeitstisch in der Werkstatt irgendwie ein wenig nach Zahnarzt aus, weil die Instrumente im Wesentlichen tatsächlich zahntechnische Werkzeuge sind, ganz kleine Bohrer oder ein Minifräse zum Entfernen von überschüssigem Ergänzungsmaterial, wie zum Beispiel jenes Epoxitharz oder eine Gipsmasse.

Ist nämlich einer Figur aus dem berühmten Hause Meissen oder KPM ein Händchen oder einer Barockfigur ein Ärmchen abgebrochen oder hat das handbemahlte Tässchen kein Henkelchen mehr, dann geht Eberhard Schulz zu einem Zauberschrank mit vielen Schubladen. Eine nach der anderen gibt ihren Inhalt preis, einen echten Schatz, eine Sammlung unzähliger Kleinteile vom Schubladenknopf über Arme, Füße, Augen, Ohren von Tierfiguren und eben auch Händchen. Die Sammlung geht auf traurige Kriegszeiten zurück. Nach Bombentreffern der großelterlichen Werkstatt in Berlin wurden die Teile von Großeltern und Mutter zwischen 1944 und 1945 aus dem Schutt der Kriegsruinen gesammelt. Bis heute sammelt Eberhard Schulz bei jeder Gelegenheit, damit ihm die Vielfalt nicht abhanden kommt.

Das abgebrochene linke Händchen wird nun mit Glück und im Abgleich mit dem vorhandenen rechten aus einer dieser Schubladen gesucht, um dann mit Dentalsilikon, einer plastischen Masse, die wir vom Zahnarzt kennen, ummantelt zu werden. Die so entstandene Hohlform wird mit Epoxitharz ausgedrückt und später auf den Stift montiert, der zuvor, wie bei einer Prothese, im Arm der Figur verankert wurde. Bisweilen findet Schulze auch ein genau passendes Teil, ein echter Glücksfall.

Die Figur sehr vorsichtig, beinahe liebevoll auf dem Schoß, setzt er nun die kleine Fräse ein und das Händchen bekommt seinen Feinschliff. Am Ende spielt das Malen die entscheidende Rolle. Unterschiedliche Malmaterialien finden Verwendung, werden auf eine Glasplatte getropft und dann so lange gemischt bis die Farbe stimmt. Wenn dieser Malprozess nach vielen Schichten abgeschlossen ist, werden wir die Naht nicht mehr finden, an der die Teile zusammengesetzt wurden. Operation geglückt!

Bis hierhin ging es im Wesentlichen um Porzellan und Keramik. Mir ist aber immer noch rätselhaft, wie man eine Schüssel, eine Vase oder einen Teller aus tausend Scherben wieder zusammensetzt. Man sondiert zunächst die Scherben von groß nach klein. Dann stellt man immer größere Einheiten zusammen und fügt sie sobald möglich mit Leukoplast zusammen. Geklebt wird mit Epoxit und auf keinen Fall mit Sekundenkleber! Der trocknet nämlich so schnell, dass er Volumen erzeugt bevor die Teile zusammengedrückt sind, und zum Schluss passt die letze Scherbe nicht mehr.

Etwas fehlt mir nun noch. Was ist mit all den Figuren aus Plastik, wie Onkel Dagobert, das HB Männchen, Mickeymäuse, Dinos oder Tim und Struppi? Sie alle kommen in die Werkstatt von Eberhard Schulz und treffen dort den Chinamann. Welch wunderbares Panoptikum mitten in der Südstadt.

Text: Maja Majer-Wallat

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