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Kultur

Mein kleiner grüner Trecker – der Südstadtzug 2017

Dienstag, 28. Februar 2017 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Gerhard Richter

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Das erste Gesicht vor der Lutherkirche ist das von Cornel Wachter. Der Künstler und Südstädter steht vor mir im Mittagswind, drumherum Getümmel. Schau mal, sagt er und zeigt neben sich: Da steht ein kleiner Trecker, ein „Deutz D25“, Baujahr 1960, lackiert in froschgrün.

 

Viel Erfahrung mit Karneval hat der Trecker noch nicht: Er durfte bisher nur als „Reservist“ für die „Traumpänz“ beim Rodenkirchener Zug mitfahren. 2017 in der Südstadt feiert er den großen Durchbruch: Er fährt an der Spitze des Zuges, mit einem Anhänger voll Schokolade. Und für Cornel Wachter geht ein Traum in Erfüllung.

 

„Ich bin ja sonst immer in meinen eigenen Autos vorneweg gefahren“, sagt er. „Also im Suzuki Carry und im VW Caddy. Die waren aber eigentlich zu groß, das war irgendwie doof.“ Cornel Wachter bespricht sich mit Pfarrer Hans Mörtter von der Lutherkirche, ein paar Telefonate und sie haben einen Trecker.

 

35 Gruppen, 2.800 Teilnehmer

 

Der kleine grüne „Deutz D25“ gehört Hans Krauß. Der Schreiner und gebürtige Rodenkirchener wohnt im Severinsviertel. Den Traktor hat er vor vier Jahren als Wrack gekauft und repariert. Die Fahrerin am Veilchendienstag ist seine Partnerin Kai Wilms: Tierärztin, heute rotweißes Ringelshirt. Sie freut sich.

 

Um 12.46 Uhr beginnt der Trecker zu knattern. Er ist mit Luftballons geschmückt, die leise mitzittern. Das Schild ganz vorne zittert auch. Es ist ein wichtiges Schild. Es ist das erste, was die Menschen auf der Merowingerstraße heute zu lesen bekommen. Auf dem Schild steht: „Südtstadtzug 2017 – Schaffen wir das – wir schon.“ Die Fakten zum Zug gibt es in der Pressemitteilung: 35 Gruppen, 2.800 Menschen – das ist natürlich Rekord.

 

Vier Flüchtlinge aus Nigeria und Ghana sorgen für Sicherheit am Trecker.

 

Am Himmel ziehen schnelle Wolken vorbei, und neben dem kleinen Trecker stehen jetzt Owie, Andrew, Stanley und Ibrahim. Sie kommen aus Nigeria und Ghana. Eigentlich gehören sie zur Trommel-Gruppe der Flüchtlingsinitiative „Willkommen in der Moselstraße“.

 

Doch die vier jungen Männer gehen nicht in der Gruppe mit. Sie werden direkt neben dem grünen Trecker und seinem Anhänger gehen. Cornel Wachter will ganz sicher sein, dass bei der Premiere kein Unfall passiert. Acht (!) Menschen sind dafür zuständig, dass genug Platz bleibt zwischen den Rädern des Treckers und den Kindern am Straßenrand. Es ist ein schönes Bild, dass Flüchtlinge für Sicherheit sorgen.

 

Fröhliche Wechselwirkungen

 

Owie, Andrew, Stanley und Ibrahim sind gut gelaunt. Sie erzählen vom Karneval in Nigeria, der immer Ende des Jahres stattfindet, und wir sprechen über Masken und Musik, über Trommeln und Trompeten. Heute tragen sie breitärmelige Sambakostüme in rot, weiß, grün und gold. Dass sie beim Zug dabei sind, ist zum Glück selbstverständlich. „Wir setzen auf fröhliche Wechselwirkungen“, hat Hans Mörtter vorhin gesagt.

 

Denn Anfang des Monats gab es Ärger in NRW: Es kursierte ein internes Schreiben der Polizei, dass Flüchtlinge besser nicht am Karneval teilnehmen sollten. Dass das „unerwünschte Wechselwirkungen“ mit der Bevölkerung haben könnte. Die Polizei nahm das später ganz offiziell zurück, aber für Kopfschütteln sorgte die Sache trotzdem.

 

Die Trommelgruppe vom Hotel Mado in Aktion (Foto: Gerhard Richter)

 

Ich möchte mehr über die Trommelgruppe der Flüchtlinge vom Hotel Mado erfahren und spreche im Gewimmel mit Bodo Brandes. Er ist Exil-Ostfriese in Köln und organisiert die Proben, immer dienstags um 19.30 Uhr. Bodo deutet nach links zu einem jungen Mann mit Dreadlocks. „Das ist Rabias, auch aus Ghana“, sagt er. „Der ist echt ein Talent. Und ein Tänzer.“

 

Wie groß ist denn die Trommelgruppe? „Mal kommen vier zu den Proben, mal 20“, sagt Bodo. „Es kommen immer andere, aus Eritrea, Bangladesch, Syrien, Ägypten. Diese Kombination findest Du sonst nicht.“ Allein 2016 hatte die Gruppe 15 Auftritte, zum Beispiel auf Festivals. Auf dem Südstadtzug sind sie im dritten Jahr dabei. Übrigens brauchen sie Sponsoren.

 

Karneval in Zeitlupe

 

Es ist 13.01 Uhr, als der kleine Trecker endlich zu seiner großen Fahrt aufbricht. Und er hat Geleitschutz. Nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch den Polizeiwagen mit Veedelspolizist Jörg Bermbach: Der macht den Weg frei, mit Warnblinkanlage und Blaulicht. Dahinter tuckert der Trecker. Nicht zuviel Gas geben, passiert ja alles im Schritttempo, Karneval in Zeitlupe. 

 

Hans Mörtter wirft die ersten Strüßjer, Cornel Wachter strahlt im Fortuna-Köln-Shirt: Es läuft. Und es regnet nicht, auch wenn der Himmel dunkel wird. Hinter dem Trecker  folgt die traditionelle Nummer Eins des Zuges in weiß und rosa: die „Brausen“ (laut Homepage der „berühmt-berüchtigtste männerliebende Frauen-Shanty-Chor auf allen Weltmeeren“). Die Brausen sind ein Traum mit Perücke, sogar ihre Kamelle sind rosa-weiß.

 

Pfarrer Hans Mörtter wirft die ersten Strüßjer. Läuft.

 

Ein Luftballon fliegt in den Himmel. Es macht peng, und dann regnet es Konfetti. So geht der Karneval in der Merowingerstraße. Schokoriegel klackern auf den Asphalt, geworfen von verkleideten Kindern – für verkleidete Kinder. Davon gibt es sehr viele. Ecke Elsaßstraße stehen gleich drei sehr kleine, sehr lebendige Drachen nebeneinander und sammeln Lutscher, Popcorn und Erdnüsse in Jutebeuteln.

 

Joseph will genau auf diesen Zug

 

An der Ecke steht auch meine alte Freundin Ulrike mit ihrem Sohn Joseph und dessen Kumpel Paul. „Das ist ja eigentlich ein Kinderzug hier“, sagt Ulli. „Die ganz Kleinen, die würden ja auf dem Rosenmontagszug untergehen.“ Darum kommt sie mit Joseph her, seit er zwei Jahre alt ist. Inzwischen ist er erheblich größer, aber er will immer noch auf genau diesen Karnevalszug. 

 

Das ist Südstadtzug: Kinder sammeln Kamelle, die von Kindern geworfen werden.

 

Joseph geht stoisch als FC-Fan, Paul geht als Banane und Ulrike als DDR-Soldatin in NVA-Uniform. Neben uns reden derweil Menschen in Handys: Wo bist Du? Nee, ich sehe Dich nicht. Ein paar Meter weiter steht ein Bollerwagen mit Pittermännchen, drumherum eine Gruppe Erwachsener mit Kölschgläsern, zufrieden mit dem Platz in der dritten Reihe. Die Kamelle überlassen sie den anderen.

 

Das Popcorn landet richtig

 

Am Ende gehe ich gegen die Zugrichtung auf dem Bürgersteig zurück zur Lutherkirche, wo mein Rad steht. Ein umgedrehter Regenschirm hängt von einer Hauswand herunter, eigentlich zu weit weg von den Werfern. Die Schnur führt hinauf in den zweiten Stock, ich hebe den Kopf – und sehe strahlende Gesichter. Ich verstehe: Es ist vollkommen egal, ob sie was auffangen mit ihrem Schirm. Ich selbst habe mehr Glück: Auf dem Gepäcktrager meines Rades ist eine kleine Tüte Popcorn gelandet. Ganz von selbst.

 

Als ich nach Hause fahre, überlege ich: Was hat mir eigentlich so gut gefallen heute? Und denke: Vielleicht, dass so ein Südstadtzug einfach nicht stressig ist. Es ist immer genug Luft da, man trifft viele (alte) Bekannte wieder – und jedes Kind kriegt die Tüte voll. Da herrscht dann so eine unaufgeregte Freude, am Veilchendienstag in der Merowingerstraße. Gerne wieder.

 

Die „Brausen“ gehen dieses Mal zwar ohne Susi von der Caffèbar, aber genauso schön wie immer.

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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