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Gesellschaft Sport

Rote Karte gegen Gewalt! Cartellino rosso contro la violenza!

Donnerstag, 11. Oktober 2012 | Text: Antje Kosubek | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Der „Freundeskreis Städtepartnerschaft Köln Turin e.V.“ hatte am Dienstagabend in Kooperation mit dem Deutschen Sport & Olympia Museum zu einer spannenden Diskussionsrunde geladen. Das Thema war topaktuell und hochexplosiv: „Zum Umgang mit Fangewalt beim 1. FC Köln und beim Torino FC“.
Rund vierzig Gäste – darunter sogar mehr als eine Handvoll Frauen – fanden den Weg ins Sportmuseum. Vor der „Hall of Fame“, der Ehrengalerie der in Bronze gegossenen Füße der Deutschen Fußballelite, waren das Podium, Stehtische, Stühle sowie eine Leinwand aufgebaut. Und es waren nicht nur Gäste aus der lokalen Politik, wie unter anderem Bezirksbürgermeister Andreas Hupke (Grüne) und Bürgermeister Hans-Werner Bartsch (CDU), sondern auch Interessierte und Fußballfans aller Altersklassen gekommen. Die italienischen Diskussionsgäste: Andrea Canta, stellvertretender Manager des „Torino FC“, Davide Barra, der Vorsitzende des „Toro Club Punt Masin“, sowie Giovanni Di Gregoli , der Chef der Polizeispezialeinheit „DIGOS“ und Roberto Cannata, auch von „DIGOS“ mit dem Schwerpunkt Fanprobleme. Die deutschen Vertreter: Jonas Gabler, Fan-Experte und Autor des Buches „Ultras im Abseits“, Rainer Mendel vom Fanprojekt 1. FC Köln und Ralf Remmert, Polizeiinspektion Köln-West, stellvertretender Leiter für Fußball-Einsätze.


 

Hall of fame im Kölner Sport- und Olympiamuseum Bild: Soliz

 

Zu Beginn der Veranstaltung hatte der Freundeskreis der Städtepartnerschaft „Köln-Turn e.V.“ die Lacher auf seiner Seite, als man in der Anmoderation davon sprach, dass es ja vielleicht beim 1. FC Köln noch in diesem Jahr mit dem Aufstieg klappen könnte. Das Publikum klärte natürlich sofort anwesende Unwissende über die tatsächliche Länge einer Saison auf. Die Moderatorin Agnese Franceschini berichtete, dass die italienische Delegation am vergangenen Abend zum Spiel des 1. FC Köln gegen Dresden im Kölner Stadion und erstaunt über das große Polizeiaufgebot war. Völlig begeistert dagegen waren sie von der Kölner Fankultur, der Stimmung und dem Engagement in der Südkurve. Als kurz darauf die Bilder vom Mai dieses Jahres, dem letzten Saisonspiel des FC gegen Bayern München, gezeigt wurden, verstummten alle Anwesenden sofort. Die Bilder von der in schwarzen Rauch gehüllten Südtribüne und der auf den Platz stürmenden Fans ließen keinen kalt. Ralf Remmert von der Polizeiinspektion Köln und FC-Fan, fügte erklärend hinzu, dass ihnen vorher schon bekannt war, dass Fans im Falle eines Abstieges versuchen würden, über den Zaun zu klettern, um an FC-Spieler heranzukommen. Danach hatte man sich entschlossen, zwei Reihen mit Polizisten als Gegenwehr auf dem Spielfeld zu platzieren: „Ich hatte kein gutes Gefühl bei dieser Aktion. Letztlich war es ein trauriger Höhepunkt einer misslungenen Saison“. Kurze Zeit darauf hatte der 1. FC Köln sich entschlossen, ein zusätzliches Fanprojekt zu starten „AG Fankultur“.

Der Projektbetreuer und Fanbeauftragte des 1. FC Köln, Rainer Mendel, berichtete von einer besonders schwierigen Saison. Nicht nur die Differenzen im Präsidium, sondern auch die Nichtentlastung des Vorstandes bei der Mitgliederversammlung seien problematisch gewesen. Zudem war es kaum zu einer Identifikation der Fans mit der Mannschaft gekommen. Die „AG Fankultur“ möchte nun alle an einem Tisch bringen: Fanvertreter, die Politik und den Verein. Man möchte Gräben zuschütten und einen kooperativen Weg einschlagen.

Der Autor Jonas Gabler sieht Gewalt als vorhandenen Gegenstand innerhalb der Fankultur, der sich aber in verschiedene Richtungen entwickelt hat. Während es in
Italien immer die „Ultras“ gab, nahm in Deutschland diese Entwicklung einen anderen Lauf, hier entwickelten sich aus den Hooligans später erst die Ultras. Tendenziell sieht er eine wachsende Gewaltbereitschaft, aber auch ein großes Problem in der erhöhten medialen Aufmerksamkeit, die diese Gewaltbereitschaft präsent platziert. Davide Barre vom Fanclub erklärt die Fankultur der Turiner Ultras, der „ultras granatas“: „Das bedeutet für die Fans Glaube, Leidenschaft, Liebe – als eine Art Religion. Als der „Torino FC“ abstieg, waren 50.000 Menschen zu einem Trauermarsch gekommen, um dem Verein ihre Treue zu demonstrieren.“
Doch was können die Kölner nun aus Turin lernen und umgekehrt?
Es folgt ein langer Vortrag über die Geschichte des „Torino FC“, dessen Mannschaft im Mai 1949 bis auf zwei Spieler bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Die sich nach dem finanziellen Desaster 2002 neu erfinden musste. Der Chef der italienischen Polizeispezialeinheit „DIGOS“, Giovanni Di Gregoli, erzählt, wie 2003 Turiner Fans das Spielfeld stürmten, wie dabei Tränengas eingesetzt und das Spiel letztlich nach 60 Minuten abgebrochen wurde, wie 2007 ein Polizist von Fans ermordet wurde – und wie danach klar war: So geht es nicht mehr weiter. Der Verein ergriff Maßnahmen und veränderte die Stadionordnung. Es wurden Kameras installiert, Stewards eingesetzt und ein Fanausweis eingeführt, ohne den man nicht mehr zu Auswärtsspielen reisen und keine Dauerkarte erwerben konnte. Mit den negativen Auswirkungen, dass in den italienischen Stadien die Fans wegbleiben. Zu einem normalen Seria A-Spiel kommen nur noch 7000 -10.000 Zuschauer, ausverkaufte Arenen findet man nur noch bei Derbys. Außerdem wirkte sich hier auch die wirtschaftliche Situation Italiens aus, viele Menschen können sich das Ticket für das Stadion einfach nicht mehr leisten, viele Stadien in Italien sind alt und marode und haben keine Tribünen, wie wir sie aus Deutschland kennen. Der stellvertretende Manager vom „Torino FC“, Andrea Canta: „In Köln ist Fußball ein sportliches Massenereignis – das möchte ich nach Italien mitnehmen“.

Wo ist die Toleranz, wenn ein Bus mit Steinen angegriffen wird, und wann wird etwas als Straftat verfolgt? Der stellvertretende Leiter der Polizeiinspektion West, Ralf Remmert, der 2011 schon einmal selbst von Kölner Hooligans angegriffen wurde, sagt: „Prävention wird immer wichtiger, wie beispielsweise das Verschicken von Fanbriefen vor Risikospielen. Das haben wir auch am Montag beim Spiel gegen Dresden gesehen“.

Der Buchautor und „Ultras-Experte“ Jonas Gabler berichtete von, der am Institut für Sportwissenschaft der Leibniz Universität Hannover neu gegründeten „Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaS). Deren Ziele ist es, positive Fankulturen zu fördern und das Stadion zu einem sozialen Begegnunsgort zu machen. Gabler, selbst leidgeprüfter Hertha-Fan: „Die Medialisierung von Fußballgewalt schürt ebenfalls Ängste. Menschen trauen sich nicht mehr in Stadien und fühlen sich nicht sicher, obwohl sie niemals bisher ein Stadion betreten haben. So kann auch eine Fankultur beeinflusst werden.“ Auch der Chef der Turiner Polizeispezialeinheit „DIGOS“ di Gregoli ist der Meinung: „Stadien sollte sich wieder für die Gesellschaft öffnen“. Fanclubvertreter di Barra, der sich besonders für Behinderte im Stadion engagiert macht den Vorschlag, „die Preise zu senken und Familien- oder Seniorendauerkarten einzuführen“.

Schade nur, dass die eigentliche Diskussionsrunde mit dem Publikum erst nach 100 Minuten eröffnet wurde, denn nun sind einige bereits gegangen. Wirklich betroffene Fangruppierungen waren heute Abend sowieso nicht anwesend. Und doch wünscht man sich mehr solcher Veranstaltungen, um das Schubladendenken in Sachen Fankultur zu beenden und nicht alle Fußballfans als gewaltbereite, pyromanische Randalierer in einen Topf zu werfen. Vielleicht war es ja ein Anfang der Kommunikation über ein brisantes und auch gesellschaftliches Thema, dass sich in den kommenden Wochen und Monaten fortsetzen wird.

 

Text: Antje Kosubek

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