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Kultur

Schreckensstunde mit Schiller und Schusswaffe

Mittwoch, 9. März 2016 | Text: Alida Pisu | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Eine gegen alle: mit der Knarre in der Hand läuft Deutschlehrerin Sonia Kelich Amok und bringt ihren Schülern bei, was Bildung ist. Denn dafür, was deutsches Kulturgut und Aufklärung bedeuten, interessieren sich die Jungs und Mädels, durch die Bank mit Migrationshintergrund, nicht die Bohne. Sie pöbeln, streiten, telefonieren und prügeln sich, während ihre Lehrerin hilflos ins Leere spricht und Daten und Fakten über Schiller herunterbetet.

Aber mit Beten und Bitten kommt man nicht weiter, weil es nicht nur bei Schiller stürmt und drängt, sondern auch bei den Jugendlichen, die trotz rotzfrechem Machogehabe und Aggressionsausbrüchen ihre eigene Identität noch nicht gefunden haben. Der Zufall wird zum Schicksal, als Schüler Musa eine Waffe aus dem Rucksack fällt, die Lehrerin sie ergreift und fortan schießend und schreiend diktiert, was Sache ist: „Ihr haltet jetzt einmal eure Fresse!“  So eine Knarre verleiht schon eine unglaubliche Macht! Aus dem grauen Mäuschen im grauen Kostüm wird eine Furie, deren lang aufgestauter Frust über diese Klasse von „Versagern“ sich hemmungslos entlädt. Innerhalb von Minuten streift sie ihre Hilflosigkeit ab, nimmt die Klasse als Geisel, die ihr nun in einem schwarzen, schalldichten Raum hilflos ausgeliefert ist. Das ist ebenso beängstigend und wahnsinnig wie irre komisch anzusehen.

Und es entlarvt so ziemlich alle Klischees, die wir haben. Die von den Gutmenschen. Zweifellos ist Lehrerin Sonia Kellich (Barbara Fernandez) ein Gutmensch. Will sie doch nichts anderes als helfen, ihren Schülern etwas beibringen. Mit ihnen „Die Räuber“ und „Kabale und Liebe“ erarbeiten. Aber, wie sie das macht, darüber kann man nur fassungslos staunen. Schießt sie doch Musa (Chris Ngoy Muninga), dem brutalsten Schüler, in die Hand. Bedroht sie doch alle, beschimpft sie unflätig: „Wer soll glauben, dass ihr keine Affen seid, wenn ihr nicht mal das schöne deutsche Wort Vernunft aussprechen könnt?“ Und gehen ihre Übungen in Sachen richtige Aussprache und eine Rolle spielen doch weit über das Erträgliche hinaus. Wer meint, die ästhetische Erziehung des Menschen ließe sich mit Gewalt erzwingen, weil gewalttätige Menschen nur die Sprache der Gewalt verstehen, der irrt orientierungslos in Absurdistan umher.

 

Den Blick auf die „Bösen“ zu überprüfen. / Foto: Meyer Originals

Allerdings zwingt das Stück auch dazu, den Blick auf die „Bösen“ zu überprüfen und sich zu fragen, ob die Klischeebilder in unseren Köpfen wirklich stimmen. Denn genau so respektlos und unflätig, wie sie sich präsentieren, wie sie agieren, polemisieren, wie sie hassen und einander misshandeln, so stellen wir sie uns doch vor. So und nicht anders!

Aber, und das ist die Leistung von „Verrücktes Blut“, Klischee ist eben nicht Realität. Die Jugendlichen, anfangs nur widerstrebend und unter Druck, gehen in die ihnen zugewiesenen Rollen hinein, in die von Franz Mohr, Luise, Ferdinand oder Amalie. Gemäß Schillers: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Das ist einerseits grotesk und komisch, wenn die Schüler in ihrer Verzweiflung und der deutschen Sprache nur ungenügend mächtig, versuchen, klassische Theaterrollen und klassische Themen auf die Bühne zu bringen. Andererseits: das Wunder geschieht, allmählich gehen sie in ihren Rollen auf, sind die Dargestellten, verspüren Gefühle, fangen an zu verstehen, wer sie sind. Denn die Probleme sind zeitlos und im eigenen Leben aufzuspüren: gestörte Verhältnisse, die Rolle der Frau als Unterdrückte, Gewaltkonflikte. Und womöglich kommen sie im Spiel ihrem Selbst und ihrem Selbstbewusstsein näher, als sie es in der Wirklichkeit jemals waren. Der Schwächste von allen, Hasan (Frank Casali), der Außenseiter und Misshandelte, muss buchstäblich die Hosen runterlassen, sich an die Eier packen und rüberbringen, dass er doch Eier hat und kein Weichei ist. Das ist an die Substanz gehend, das ist intensiv und existentiell. Und es ist verändernd. Denn wer hätte gedacht, dass die allzeit zu Gewalt bereiten Jugendlichen sich plötzlich an den Werten der Aufklärung orientieren und für Freispruch plädieren, als die Lehrerin blutige Vergeltung für die Schandtaten Musas fordert: „Entweder Freilassung oder ich erschieße ihn. Dann gehen wir in die Pause.“

Die Inszenierung hat ein offenes Ende. Hasan ist der Letzte, der sich der Waffe bemächtigen kann, alle auf die Erde zwingt und fragt, was aus ihm wird, wenn das zu Ende geht. Dann steht er da, blutbeschmiert und zielt in den Zuschauerraum. Wer bin ich, ja, das ist die Frage. Immer wieder.

Eine höchst beeindruckende Inszenierung mit erschreckenden Szenen, aber auch berührenden Momenten. Etwa, wenn das Toben auf der Bühne sich beruhigt und alle miteinander sehr zart ein Volkslied singen, wie „Der Mond ist aufgegangen.“.
Die Darsteller agieren mit Lust und großer Spielfreude, füllen ihre dankbaren Rollen mit den von Klischees nur so strotzenden Migranten-Figuren vollständig aus. Sehr überzeugend und authentisch, wie sie sich hauen, am Ende aber auch häuten und unter der alten Haut etwas unerwartet Schönes sichtbar wird. Herrlich auch die Wandlung der „Pädagogin“ zu einer knallharten, schießwütigen Fanatikerin.
Das Publikum ließ sich die „Bravo!“ – Rufe und die Beifallsstürme nicht nehmen. Die waren mehr als verdient.   

 

„Verrücktes Blut“ von Nurkan Erpulat und Jens Hillje
Regie, Bühne, Kostüme: Nils-Daniel Finckh ?Mit: Frank Casali, Barbara Fernández, Romi Maria Goehlich, Jamal Khalat, Denis Merzbach, Chris Ngoy Muninga, Anna Röser, Müjdat Yüksel
Theater der Keller, Kleingedankstraße 6, 50677 Köln
Die nächsten Termine: 18. März, 14., 26., 27. April 2016
 

Text: Alida Pisu

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