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Südstadt

Annosaal, Maschinenhalle und dann kam das Bürgerhaus Stollwerck.

Mittwoch, 30. Mai 2012 | Text: Wassily Nemitz | Bild: Dietrich Bahß

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Das Wichtigste zu Beginn: Das heutige Bürgerhaus Stollwerck gehört streng genommen gar nicht zum früheren Stollwerck-Gelände: Als Zeughaus für die frühere königlich preußische Armee wurde es 1906 erbaut und in der Nachkriegszeit als Lagerhaus durch die Deutsche Bundespost genutzt.

Ohne vom späteren Verlauf der Geschichte auch nur eine Ahnung zu haben, begann Martin Hördum dort 1954 als 13-Jähriger eine Ausbildung zum Fernmeldetechniker.
Etwa dreißig Jahre später war er wieder da – als Künstler, der die leer stehende Schokoladenfabrik für seine Arbeit nutzte. Wo heute eine kleine Grünfläche liegt, stand damals das Kesselhaus des großen Werks. Direkt daneben der Annosaal und die Maschinenhalle. Über mindestens fünf Jahre hinweg waren beide Räume nicht weg zu denkende Bestandteile der Kölner Kulturszene. Bis die Bagger kamen – das war 1987. Der Fotograf Eusebius Wirdeier war dabei, ganz am Ende der Fabrik-Geschichte.

Aber die Bagger hätten ursprünglich schon viel früher kommen sollen – doch zurück zum Anfang: Mit dem Abriss der Fabrik endete eine Tradition, die 1839 begonnen hatte: Damals gründete Franz Stollwerck eine Schokoladen-Firma. Das Unternehmen entwickelte sich rasant, wurde rasch immer größer und bezog seinen neuen Standort in der Südstadt. Nach dem zweiten Weltkrieg geriet das Unternehmen in eine Schieflage und wurde 1972 durch den Kölner Unternehmer Hans Imhoff aufgekauft. Er legte das Südstadt-Werk Mitte der Siebziger still und verlagerte die Produktion in einen Außenbezirk.
Nachdem die Gebäude und das Grundstück über Umwege in den Besitz der Stadt Köln gelangt waren, begannen Planungen, wie das Gelände neu genutzt werden könnte. Die Schokoladenfabrik wurde zunächst gemeinsam mit weiten Teilen des Severinsviertels zum Sanierungsgebiet erklärt und 1978 ein Planungswettbewerb ausgeschrieben. Das Gewinnerteam namens „Design-Team 8“ sah einen weitgehenden Abriss der alten Fabrik zugunsten einer Neubebauung vor.
Dagegen kam es zu Protesten: Eine Gruppe namens „Wohnen im Stollwerck“, die in dem Wettbewerb unterlegen war, wandte sich gemeinsam mit der damals noch jungen „BISA“ (Bürgerinitiative Südliche Altstadt) und anderen Architekten gegen den Vorschlag und forderte einen Umbau der Bestandsgebäude: Entstehen sollte vor allem preisgünstiger Wohnraum.

Öffentliche Probe Intermission Orchestra in der Stollwerck Maschinenhalle am 28. 12. 1986. In der Mitte dirigiert Frank Köllges (* 18. November 1952 in Düsseldorf; † 1. Januar 2012 in Neuss). / Foto: Eusebius Wirdeier.

 

Um die Stadt von der Machbarkeit ihres Ansinnens zu überzeugen, forderte die „BISA“ die Erlaubnis zum Einbau einer Musterwohnung.
Während man sich etwa zwei Jahre über diese Idee stritt, wurde das Gelände durch die Stadt zur Zwischennutzung vermietet: So nutzte der Circus Roncalli das Areal als Winterquartier.
Der Annosaal wurde durch die Bühnen der Stadt Köln bespielt  – unter anderem inszenierten dort Heinrich Pachl, Richard Rogler und Eusebius Wirdeier als Theater „Der wahre Anton“, das sich mit den Diskussionen um die Stollwerck-Nachnutzung befasste. Wirdeier erinnert sich: „Ich habe damals schon viel fotografiert und die Aufnahmen in die Programmhefte und Bühnenbilder der Stück im Annosaal integriert.“ Und so fotografierte Wirdeier auch am 20.Mai 1980: Damals positionierte er sich an der Bottmühle, an die damals die Fabrikgebäude grenzten. Für den Tag war eine Demonstration gegen den inzwischen beschlossenen Abriss angekündigt.
Doch bei der Demo blieb es nicht: Bis zu 600 Personen gelangten auf das Gelände und beschlossen noch am gleichen Abend die Besetzung. Eusebius Wirdeier erzählt: „Die Pförtner waren völlig mit der Situation überfordert und mussten die Besetzer passieren lassen.“
Der geplante Abriss-Beginn am nächsten Morgen konnte nicht stattfinden, weil die Polizei sich nicht im Stande sah, die Fabrik zu räumen: Der damalige Kölner Oberstadtdirektor Kurt Rossa (SPD), eigentlich ein Verfechter des Abrisses, verfügte einen Stopp der Abbruch-Planungen.

Dennoch forderte die Stadt die Besetzer zur sofortigen Räumung des Geländes auf: Mit Flugblättern sollten sie über die Widerrechtlichkeit ihrer Besetzung informiert und zur Aufgabe bewegt werden. „Die Flugblätter wurden sogar aus Hubschraubern über der Fabrik abgeworfen“, erzählt Eusebius Wirdeier.
Die entscheidende Frage damals sei gewesen, wie es weiter gehe, erzählt Wirdeier. Der frühere Post-Auszubildende und Künstler Martin Hördum, genannt Hingstmartin, ergänzt: „Der Abriss stand eigentlich von vorneherein fest – daran ließen die städtischen Vertreter keinen Zweifel“. Zunächst aber war er abgewendet: „BISA“ erhielt die Genehmigung zum Bau einer Musterwohnung. An Pfingsten 1980 wurde sie der Öffentlichkeit erstmals präsentiert. Für Eusebius Wirdeier einer der schönsten Momente dieser  Zeit: „Es gab ein großes Fest und viele Anwohner im Severinsviertel schauten sich die Wohnung an – es waren nicht nur die Besetzer und Leute von der Initiative ‚Wohnen im Stollwerck‘ anwesend.“

Doch schnell zerstritten sich die Besetzer untereinander: Immer mehr Obdachlose und psychisch Angeschlagene kamen in die Fabrik auf der Suche nach einer Unterkunft, die Gewalt zwischen den Besetzern nahm zu. Immer mehr gemäßigte Besetzer verließen die Fabrik.
Dennoch begann die damals regierende SPD, selbst stark über das weitere Vorgehen zerstritten, Verhandlungen mit Delegierten der Besetzer.
Beide mussten Zugeständnisse machen und wurden dafür von ihren jeweiligen Unterstützern des „Verrats“ bezichtigt.
Letzten Endes einigte man sich auf eine Räumung der Fabrik und eine offizielle Zwischennutzung als Kulturzentrum. Die Besetzer zogen tatsächlich ab, wenig später wurden einige Teile der Fabrik abgerissen – unter anderem der Trakt, in dem die Musterwohnung eingebaut war.

Abriss Stollwerck Anno-Saal, Blick von Süden nach Norden, Juli 1987. / Foto: Eusebius Wirdeier.

 

Martin Hördum alias Hingstmartin zog 1982 in das ehemalige Kesselhaus der Fabrik, der Kunstvermittler Ingo Kümmel rief das Gelände als „Kulturfabrik Stollwerck“ zum autonomen Kulturzentrum aus, geduldet von der Stadt Köln. Hingstmartin erzählt: „Wir hatten keinen wirklichen Plan, wie es weitergeht. Wir wussten nur: Irgendwann kommt der Abriss“. Er arbeitete zusammen mit Kindern, brachte ihnen Kunst und Handwerk nahe und richtete Ferienworkshops aus. „Langfristig wollte ich ein Kindermuseum aus dem Kesselhaus machen – das Gebäude bot so vielfältige Möglichkeiten.“ Sein Plan fand auf städtischer Seite aber keine Unterstützung. Dann versuchte er, den Denkmalschutz für einen Erhalt des Gebäudes zu begeistern. Auch der lehnte ab – mit der Begründung, dass die enthaltenen Kessel nicht alle aus dem Ende des 19.Jahrhunderts stammten, sondern eine Entwicklung erkennbar war. Hingstmartin: „Da bin ich schreiend weggelaufen“.
Sieben Jahre hielt sich das Kulturzentrum Stollwerck: Dann kamen tatsächlich die Abrissbagger – diesmal endgültig. Eusebius Wirdeier erinnert sich: „Es sollte eine Tiefgarage unter dem Annosaal gebaut werden – ein Teil, der unter unbebautem Gelände lag, war schon fertig gestellt worden. Die Stadt argumentierte damals, es seien Landesfördergelder gefährdet, wenn die Garage nicht zu Ende gebaut wird.“ Das war das endgültige Aus: Im April 1987 wurde in den Resten der Fabrik das Abschiedsfest „Finale Fanale“ gefeiert. Dort, wo früher der Annosaal stand, erstreckt sich heute eine Rasenfläche zwischen der Bushaltestelle Severinskirche und dem Annoriegel, dem einzig vollständig erhaltenen und umgebauten Gebäude. Außerdem erinnert noch der Sockel eines Schornsteins und das Räderwerk eines Kühlmittel-Kompressors an die Fabrik.

Martin, alias Hingstmartin, und Birgitte Hördum im Gespräch mit Wassily Nemitz. / Foto: Josefine Nemitz.

 

Wäre eine Besetzung wie damals heute noch möglich?
Eusebius Wirdeier und Hingstmartin glauben beide, dass sich die Verhältnisse geändert haben. „Meine Generation ist inzwischen zu alt“, glaubt Hingstmartin, „und die so genannte ‚Null-Bock-Generation‘ zwischendurch ist nicht politisch genug.“ Eusebius Wirdeier geht nicht ganz so weit: „Meiner Meinung nach gibt es heute andere Formen: Wenn Sie sich die Dom-Brauerei-Brache anschauen – dort gibt es Bürger, die sich engagieren, aber ganz anders als früher.“

Das, was von der Stollwerck Besetzung bleibt, sind das Bürgerhaus und das Kunsthaus Rhenania. „Von städtischer Seite wurde damals das Bürgerhaus als Ersatz für die wegfallenden Stollwerck-Areale angeboten“, sagt Wirdeier, „das war aber zu klein“. Das empfand eine Gruppe um Hingstmartin auch so – er zog zusammen mit anderen in das heutige Kunsthaus Rhenania ein. Damals wurde es zur Lagerung von alten Steinen durch das Römisch-Germanisch-Museum genutzt. Dessen Leiter – Direktor Hansgerd Hellenkemper – sei den Künstlern zugetan gewesen und räumte das Gebäude, erzählt Hingstmartin. Fünfzehn Jahre verhandelte er anschließend mit der Stadt um einen langfristigen Erhalt des Rhenania-Gebäudes – diesmal mit Erfolg. „Eigentlich sollte das auch abgerissen werden“, erinnert sich Hingstmartin. Er selbst ist inzwischen ausgezogen: Nach der Sanierung des Hauses gefiel ihm die Atmosphäre nicht mehr – und es war ihm zu teuer.

 

Die Bilder werden mit freundlicher Genehmigung der Fotografen Eusebius Wirdeier und Dietrich Bahß veröffentlicht.

 

Die Bilder von Eusebius Wirdeier sind erschienen in folgenden Büchern, von denen einige Exemplare noch bei ihm unter www.eusebius-wirdeier.de erhältlich sind.

Eusebius Wirdeier
kölsch?
Heimatphotographie
Emons-Verlag, 1990

Wolfgang Niedecken / Eusebius Wirdeier
noh un noh
Texte und Fotografien aus Köln
Emons-Verlag, 1996
 

Text: Wassily Nemitz

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