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Gesellschaft

Dem inneren Ruf folgen

Donnerstag, 2. April 2015 | Text: Alida Pisu | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Knapp 100 Ordensgemeinschaften gibt es in Köln. Den 70 Frauenorden mit fast 1.000 Ordensschwestern stehen 30 Männerorden mit ca. 400 Ordensmännern gegenüber. Sie sind vielfach sozial-karitativ tätig, so ist beispielsweise das weit über die Südstadt hinaus bekannte „Severinsklösterchen“ eine Einrichtung der Stiftung der Cellitinnen.  Allen Orden ist gemeinsam, dass sie mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen haben und ihre Mitglieder überaltert sind. „Meine Südstadt“ sprach mit Schwester Martina Maria über ihr Leben als Ordensfrau. Sie ist Oberin des Franziskanerinnen-Konvents (Konvent: Niederlassung einer Ordensgemeinschaft, die Redaktion) im Seniorenzentrum Herz-Jesu am Friedenspark.

Meine Südstadt: Warum sind Sie in einen Orden eingetreten?
Schwester Martina Maria: Es war einfach ein innerer Ruf. Und dem bin ich gefolgt. Als junges Mädchen habe ich in Frankfurt die Hauswirtschaft erlernt und dadurch die Gemeinschaft der Franziskanerinnen kennengelernt. 1968 bin ich dann dem Orden beigetreten. Ich konnte gar nicht anders, als dem Ruf zu folgen. Und bis heute bin ich damit glücklich. Obwohl es kein leichter Schritt war. Ich habe sehr viel hinter mir gelassen: Elternhaus, fünf Geschwister. Von sechs Kindern war ich die Jüngste und ich könnte mir von den anderen Geschwistern auch keinen im Orden vorstellen. Aber ich möchte auch mit keinem von ihnen tauschen.

Was trägt Sie durch Ihr Leben? Glauben und Spiritualität?
Schwester Martina Maria: Ohne Glauben könnte ich mir mein Leben nicht vorstellen, wäre ich auch nie ins Kloster gegangen. Der Glaube ist für mich das Ausschlaggebende. Jede Gemeinschaft hat ja auch ihre Spiritualität. Wir haben bis zum heutigen Tag eine ganz lebendige Gründerin: Franziska Schervier von Aachen. Sie hat unseren Orden 1845 gegründet. Sie hat die Not gesehen und damals angefangen mit Suppenküchen. Die Schwestern gingen von Anfang an zu den Armen, den Kranken, den Prostituierten. Mutter Franziska, so wurde sie genannt, ging mit den Schwestern auch in Lazarette und Seuchengebiete.

Keine leichten Aufgaben.
Nein, aber es spornt noch heute an. Ihr Leitsatz war: „Seelen retten, Wunden heilen“. Und das ist bis heute die Intention der Ordensgemeinschaft. Ein ganzheitlicher Gedanke, den wir im modernen Menschenbild wiederfinden. Mutter Franziska hörte auf den inneren Ruf, sie konnte andere begeistern, hatte einen starken Glauben und ein festes Gottvertrauen. Als jemand zu ihr gesagt hat: „Mütterchen, nun geben Sie mal ein bisschen nach!“, hat sie sich geweigert. Sie ist konsequent ihren Weg gegangen.

Eine kämpferische Frau…
Schwester Martina Maria: Ja und das ist das, was wir heute brauchen, solche Frauen in der Kirche!

Stichwort heute: woran „krankt“ unsere heutige Zeit und was könnten Sie vermitteln, dass ein Stück weit „Heilung“ geschieht?
Schwester Martina Maria: Was sehr gewachsen ist, das ist der Individualismus, die Ich-Bezogenheit und eben der Glaubensschwund. Wenn ich mir heute die Ehen vorstelle oder auch das Miteinander, das geht nur, wenn einer auf den anderen Rücksicht nimmt. Aber wenn ich nur meinen eigenen Weg suche, muss ich scheitern. Natürlich: ICH BIN ICH mit meiner Persönlichkeit. Es ist auch im Kloster ganz wichtig, dieses Selbstbewusstsein zu behalten. Ich will nicht gelebt werden, ich will leben! Aber es geht nicht, wenn ich den Blick nur auf mich gerichtet habe. Es geht nur in Gemeinschaft und in dem Bewusstsein, von Gott geliebt zu sein.

Wie sieht denn ein Tagesablauf im Konvent aus?
Schwester Martina Maria: Unser Tag beginnt um 6.00 Uhr. Bis um 8.00 Uhr ist Gebetszeit. Nach dem Frühstück kann jede tun, was sie gerne möchte. Und ich plane den Tag, was so alles ansteht und getan werden muss. Wir haben viele Arztbesuche, Einkäufe, alles was so im Haushalt anfällt. Um 11.00 Uhr ist gemeinsame Gebetszeit, danach Mittagstisch. Es folgt eine Ruhezeit bis zum Nachmittagskaffee. Dann schauen wir vielleicht mal einen schönen Film, es wird gesungen, gespielt und miteinander über Gott und die Welt diskutiert. Anschließend ist wieder gemeinsame Gebetszeit. Jeden Tag ist Gottesdienst, entweder morgens oder nachmittags. Wir leben in einem geregelten Tagesablauf, und es ist immer was los. Wir sind ja alle Seniorinnen. Keine kann mehr einen pflegerischen Dienst am Krankenbett ausüben oder zu den Armen und Kranken gehen. Unser Arbeitsauftrag ist das fürbittende Gebet. Die Anliegen von Kirche und Welt vor Gott zu tragen. Unser Durchschnittsalter liegt bei über 75 Jahren. Wir hatten auch eine 104jährige, eine ganz mobile, die jetzt verstorben ist.

104 Jahre: verraten Sie mir das Geheimnis, wie man so alt wird?
Schwester Martina Maria: Der geregelte Tagesablauf und ein doch eigentlich ruhiges Leben. Mit ruhig meine ich, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Wir brauchen nicht für das Alter vorzusorgen oder: haben wir was zu essen? Haben wir was anzuziehen? Dafür sorgt die Gemeinschaft. Der Lebensstil ist einfach, auch was die Ernährung betrifft. Nicht zu üppig, aber ausgewogen. Wir haben drei 89jährige, die am 21.April ihr eisernes Ordensjubiläum feiern. Dann sind die 68 Jahre im Kloster. Und die können noch rege am Gemeinschaftsleben teilnehmen und ihre Kräfte einbringen!

Das glaube ich Ihnen! Ihre Lebensweise setzt voraus, dass Sie auf Vieles verzichten. Fällt Ihnen dieser Verzicht schwer?
Der Verzicht ist natürlich da. Ich habe aber nicht deshalb auf die Ehe verzichtet, weil ich keinen Mann möchte, sondern um des höheren Wertes willen. Und so ist es auch mit der Armut. Es ist einfach. Ich habe ja gelobt: die drei Gelübde Keuschheit, Armut, Gehorsam. Das birgt Grundsätze in sich. Es passt nicht, wenn ich der Armut verpflichtet bin, im 5-Sterne-Hotel zu übernachten.

Der Konsum macht’s ja auch nicht aus.
Schwester Martina Maria: Ich gehe gar nicht gerne einkaufen. Der ganze Plunder, ich werde halb krank, wenn ich den sehe. Viel wichtiger als der Konsum ist die Zuwendung, die ein Mensch erfährt. Wenn ich bis zum letzten Atemzug die Anerkennung und Zuwendung bekomme, die mir sagt: ich bin wer. Das ist besonders wichtig für einen alten Menschen. Selbstverwirklichung heißt für mich nicht, dass ich tun und lassen kann, was ich will, sondern dass ich die werde, die ich bin. Wie Gott mich gewollt und geschaffen hat.

Ein Thema, das Sie beschäftigt?
Schwester Martina Maria: Vielleicht kommt es mit dem Alter, dass ich mich heute manchmal frage: wo ist da überhaupt der Sinn in dem ganzen Leid der Menschen und was heute so alles geschieht. Oder mit dem Herrgott ins Hadern zu kommen: wie kannst Du so eine Schöpfung machen. Ich habe auch schon mal gedacht: Du hast einen Fehler gemacht mit Deiner Schöpfung, aber Gott macht keine Fehler. Das merkt man immer wieder im Nachhinein. Ich habe da eine tiefe Gläubigkeit, die ich im Elternhaus empfangen habe.

In Ihr ruhiges Ordensleben kam ja nun einige Bewegung, als Sie erfahren mussten, dass Ihr Konvent im Sommer aufgelöst wird. Wie gehen Sie damit um?
Schwester Martina Maria: Wir haben voriges Jahr, am 6. Mai erfahren, dass das Gebäude, in dem wir wohnen, abgerissen werden muss. Der Umzug findet voraussichtlich im Juli oder August  statt. Wir sind nicht in Traurigkeit gefallen, bis heute nicht. Im Gegenteil, wir tragen es solidarisch mit durch. Unser Leben wird anders, weil Veränderungen unumgänglich notwendig sind, aber dann kommen auch andere Möglichkeiten. Wir gehen mutig unseren Weg weiter, im Vertrauen auf Gottes Vorsehung.

Vielen Dank für das Gespräch! Und Ihnen und Ihren Mitschwestern alles Gute auf Ihrem weiteren Weg.
 

Text: Alida Pisu

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