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Kolumne

Die letzte Woche der Ferien in der Südstadt

Donnerstag, 26. August 2010 | Text: Stephan Martin Meyer

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Ihr habt es ja so gewollt. Die Blumen habe ich gegossen, den Schlüssel wieder ordentlich unter der Fußmatte verstaut und Che und Ludwig, die beiden Urlaubs-Gast-Meersauen gefüttert. Dann konnte ich in den Zug nach Düsseldorf steigen. Das ist diese Fleck oben auf der Karte, neben Neuss.

Ihr habt es ja so gewollt. Die Blumen habe ich gegossen, den Schlüssel wieder ordentlich unter der Fußmatte verstaut und Che und Ludwig, die beiden Urlaubs-Gast-Meersauen gefüttert. Dann konnte ich in den Zug nach Düsseldorf steigen. Das ist diese Fleck oben auf der Karte, neben Neuss.

In Düsseldorf ist es wider Erwarten ganz schön. Zumindest, wenn man sich am Stadtrand aufhält. Ja, ich gebe zu, ich war nicht direkt Düsseldorf. Es war ein bisschen daneben.
Aber jetzt mal der Reihe nach.

Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja: Ihr seid weggefahren, ich bin hier geblieben. Eure Balkonblumen versorge ich regelmäßig mit Wasser. Hin und wieder spreche ich mit ihnen. Das tue ich in erster Linie, um eure nette Nachbarin zu irritieren, die nicht weiß, dass ihr weggefahren seid. Mein Stimme kann ich gut verstellen. Von etwas unterhalb der Brüstung, versteckt, damit die Nachbarin mich nicht sehen kann, spreche ich mit den Blumen. Wundert euch also nicht, wenn die Nachbarin euch ab sofort für verrückt hält.

Die Schweine versorge ich noch ganz brav. Allerdings füttere ich sie jetzt nicht mehr dreimal am Tag. Morgens kriegen die einmal einen Berg Salat, Gurken und Möhren in den Käfig gekippt. Das soll reichen. Den Auslauf auf dem Balkon gestatte ich ihnen jetzt auch nicht mehr. Die beiden Viecher haben meine Pflanzen kahl gefressen. Innerhalb von zehn Minuten. Euren Pflanzen geht’s gut, meine sind tot. Schade.

Abends ist immer noch niemand da, der sich um mich kümmert. Außer den Sauen natürlich. Die Straßen der Stadt sind ausgestorben und ich habe mich auf Youtube-Videos verlegt. Am besten gefallen mir zur Zeit die Amateuraufnahmen von Katastrophen in Urlaubsregionen. Sintflutartige Regenfälle in Spanien, Erdbeben in der Türkei, Flugzeugabstürze in Indien. Brennende Hügelketten in Griechenland sind auch nicht zu unterschätzen. Und dazwischen laufen immer diese verzweifelten Touristen mit der fürchterlichen Panik in den Augen herum. So kann ich endlich komplett abschalten.

Dass ihr mittlerweile richtig im Urlaub angekommen seid, fällt mir in erster Linien daran auf, dass ihr offenbar festgestellt habt, dass das Surfen mit dem iPhone im Ausland Geld kostet – nachdem ihr seelenruhig den Spam aus eurem gmx-Postfach gelöscht habt. Geschieht euch recht! Facebook nun wie ausgestorben. Deshalb sehe ich mich gezwungen, auf die blauen Seiten zu gehen. Was soll ich denn sonst tun? Bücher lesen kann ich nicht mehr, seit ich das Buch mit einem Strand und den Strand mit einem Tsunami in Verbindung bringe.

Auf den blauen Seiten ist also glücklicherweise mehr los als bei facebook oder dem Kölner Süden, der eher wirkt wie eine unerforschte Insel bei Second Life. Hier sind die User zumeist nicht an die Schulferien gebunden. So passiert, was passieren muss: Ein nettes Gesicht. Eine Nachricht. Ein Wort gibt dem anderen die Hand.

 

Sympathiebekundungen wechseln die Seite. Und eh ich mich´s versehen, sitze ich im Zug nach Düsseldorf, lasse den Dom, Leverkusen, Benrath und schließlich sogar den Düsseldorfer Hauptbahnhof mit den durchnummerierten Prostituierten hinter mir. Was soll ich in der Südstadt, wenn außer mir niemand da ist?

Ein Flugzeug startet nur wenige Meter neben mir, als ich den Zug verlasse. Ich komme mir etwas fremd vor zwischen den großen Koffern. Ob in dem Flieger wohl schon die ersten Panikattacken ausgebrochen sind? Sind diese gelben Atemmasken schon aus ihren Verankerungen gestürzt? Ist das Rauchverbot schon aufgehoben, weil ja sowieso alles egal ist? Oder hat der Chefstuart das Luftschiff noch am Boden über die Notrutsche verlassen? Das Flugzeug taucht in den nahe gelegenen Wald ein und verschwindet. Ich hingegen tauche in den weißen Transporter ein und lasse mich zu dem kleinen Häuschen mit den Hunden, Ziegen und Hühnern entführen. Das Bad im angrenzenden See erfrischt die Sinne, das Lächeln neben mir verjüngt die Seele. Unter der Kastanie auf wackeligen Holzstühlen Kaffee trinken. Den Geruch des frisch gepflügten Feldes in der Nase. Die raue Zunge einer Ziege auf der Handfläche.

Das ist wie Urlaub. Wenn ich die Augen schließe verwandelt sich die Kastanie über mir in eine Akazie. Und im Grunde ist es viel besser als im Urlaub. Denn hier brennt nichts, nicht einmal die Haut. Hier bebt nichts, zumindest nichts, was nicht beben soll. Regen ist in dieser Region normal und die Bumsbomber nach Bangkok sind mindestens einen Kilometer entfernt.

Wie? … Euer Strand liegt genau in der Einflugschneise des Flughafens? … Was? … Die Landebahn beginnt direkt hinter der Schotterpiste? … Die Flieger gehen bis auf 30 Meter runter, wenn sie über euch sind? … Was? … Ich kann gerade nichts verstehen, bei euch ist es so laut … Na, da bleibe ich doch lieber in den Fängen Düsseldorfs. Schade nur, dass ich wieder zurück fahren muss. Die Schweine …

Aber den Pflanzen geht’s gut, keine Sorge. Und eure Nachbarin wird euch sofort etwas komisch angucken, wenn ihr zurück seid.
 

Text: Stephan Martin Meyer

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