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Kultur

„Eh, du warst Wolke“

Montag, 20. Oktober 2014 | Text: Aslı Güleryüz

Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten

Das sagen Jugendliche heute, wenn jemand etwas richtig dufte gemacht hat, habe ich im Comedia Theater gelernt.‘ Knorke‘ haben wir früher gesagt. Doch ‚Wolke‘ ist viel bedeutungsvoller, viel feinfühliger und viel treffender. So wie das Stück „Tigermilch“, das am Sonntag im Comedia Theater Premiere feierte.

Nini (Nadja Duesterberg) und Jameelah (Sibel Polat) sind 14 und beste Freundinnen. Sie sind gemeinsam groß geworden in einer Hochhaussiedlung in Berlin, in sozial schwierigen Verhältnissen. Das schweißt zusammen. Ninis Mutter ist depressiv. Jameelah stammt aus Afghanistan und ihre Familie ist von der Abschiebung bedroht. Drei Monate Zeit haben sie noch. In diesen drei Monaten lernt der Zuschauer das Leben von Nini und Jameelah sehr intensiv kennen. Drei Monate lang fahren die Zuschauer auf der Achterbahn der Gefühle mit Nini und Jameelah.

Tigermilch und mehr

Rasant beginnt das Stück und hält dieses Tempo fast 90 Minuten lang. Aufmerksamkeit ist geboten, da sämtliche Rollen des Stücks von Nini und Jameelah gesprochen werden. Nadja Duesterberg und Sibel Polat ergänzen sich hervorragend und stellen sämtliche Figuren überzeugend und voller Enthusiasmus dar. Sie spielen packend und leichtfüßig zugleich. Das Stück erinnert an den Film ‚Pulp Fiction‘ – nur für’s Theater. Drama wechselt sich mit Komödie ab. Der Zuschauer wischt nach dem Lachanfall eine kleine Träne aus den Augenwinkeln. Musikalisch wird das Spiel live von Ögünc Kardelen unterstützt. Seine Kompositionen sind genauestens auf die Stimmungen des Spiels abgestimmt.

Gleich zu Beginn erfährt der Zuschauer, was eigentlich ‚Tigermilch‘ ist: Milch, Maracujasaft und Mariacron. Das trinken die beiden Teenies über die ganze Zeit des Stücks hinweg. Überhaupt ist Alkohol sehr präsent im Alltag der Mädchen und weitere Soft-Drogen gibt es auch. Sie betrinken sich, fahren zum Kurfürstendamm, mischen sich unter die Prostituierten und bieten Männern dort gerne einen Blow-Job gegen Geld an.  Gemeinsam gehen die Freundinnen durch einen turbulenten Alltag. Sie sprechen über die große Liebe, das ‚erste Mal‘ und alles, was sonst Teenies beschäftigt. Nini gesteht, dass sie in Nico verliebt ist und Jameelah in Lukas. Geben sich die Mädels auch tough und unverletzbar, so scheint immer wieder ihre feinfühlige Seite durch.

 

„Gottes Welt ist verfault“

Die Idylle wird eines Nachts durchbrochen als Nini und Jameelah auf dem Spielplatz einen Liebeszauber ausprobieren wollen. Amir, der Kindheitsfreund der beiden Mädchen stammt aus einer bosnischen Familie. Seine Schwester Jasna hat sich allerdings in den Serben Dragan verliebt und ist fest entschlossen, ihn zu heiraten. Dies widerspricht den Moralvorstellungen des älteren Bruders Tarik. Die Tragödie nimmt ihren Lauf als sich in jener Nacht Jasna und Tarik auf dem Spielplatz begegnen. Jasna, die auf ihren Liebsten wartet, und Tarik, der seine Schwester verfolgt. Nini und Jameelah werden Zeuginnen des ‚Ehrenmordes‘. Sie sind geschockt, verwirrt und wie betäubt. Noch problematischer wird es, als ihr unschuldiger Freund Amir die Tat gesteht und festgenommen wird. Nini will zur Polizei. Jameelah fürchtet sich vor der Abschiebung und möchte lieber schweigen. Die Freundschaft der Mädchen droht an diesem Konflikt zu zerbrechen. Mucksmäuschenstill ist es im Zuschauerraum, als sie sich lauthals anschreien und einander beschuldigen. Das Publikum ist gebannt. Immer wieder stellen die Mädchen fest: „Gottes Welt ist verfault“.

Jugend heute

Sehr präzise, berührend und erheiternd ist es Stevanie Velasco gelungen, in ihrem Roman „Tigermilch“ die Jugend von heute abzubilden. Halbstarke, die doch zart besaitet sind. In der Theaterfassung von Catharina Fillers kommt die Zerissenheit der jungen Menschen zwischen Kind und Erwachsenem, zwischen Abenteuer und Vernunft zum Ausdruck. Die Kälte der Hochhaussiedlung und der Gesellschaft wird treffend in einem Bühnenbild, bestehend aus aufeinander gestapelten Kühlschränken, dargestellt. Der Kühlschrank, der ja auch gleichzeitig das Herzstück einer jeden Küche ist, in der das Familienleben stattfindet. Normalerweise. Doch in vielen Familien findet solch ein bürgerliches Familienleben nicht statt. So stellen die weißen Kühlschränke und Tiefkühltruhen nur zu deutlich eine sterile, kalte Welt dar.
Ein Happy End bietet dieses Stück nicht. Es regt zur Nachdenklichkeit und zum Schmunzeln an. Absolut sehenswert. Ich kann nur sagen: Danke! Ihr wart Wolke!

 

Text: Aslı Güleryüz

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