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Politik

Für die Kunst sitzt das Geld locker, für die Erhaltung meist nicht – Teil II

Sonntag, 21. April 2013 | Text: Christoph Hardt | Bild: Christoph Hardt

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Im Labor des Fachbereichs für Schrift und Fotografie der Fachhochschule Köln versucht Sarah Hansen mit moderner Chemie die Zeitbombe zu entschärfen, die Alchemisten des 17. Jahrhunderts unabsichtlich in die Handschriften auf dem Tisch vor ihr haben einfließen lassen: „Damals verwandte man viel Tinte von minderer Qualität wie die schwarze Eisengallustinte“, erklärt die Bachelorstudentin. „Mit der Zeit bildet diese dann eine Säure aus, die das Papier angreift.“ Ein Abbauprozess, der als Tintenfraß bekannt ist, und den sie nun mit einer Bariumhydroxit-Mixtur stoppen will. Die Alkohollösung neutralisiert die Säure, rettet das Dokument.

So umfangreich die Möglichkeiten der fachmännischen Restaurierung, so wenig verbreitet sind diese meist unter privaten Kunstsammlern. „Viele Sammler stopfen ihre Trophäen meist nur in irgendeine Mappe rein, obwohl sie wissen, dass es dort eigentlich schlecht untergebracht ist“, bedauert Studiengangsleiter Prof. Dr. Robert Fuchs, weltweit gefragter Experte für Papierrestaurierung. „Was wir hier schon für Picasso-Grafiken hatten… Rahmen von Ikea, dann wird alles braun, und wir müssen es dann retten.“ Katastrophe. Neben der Unwissenheit sei auch eine Tendenz zu beklagen, dass man lieber Geld für neue Kunst ausgebe als für den Erhalt des Bestands. Ein Kollege, in dessen Altbestand sich 1,3 Millionen Bücher befanden, habe einmal stolz verkündet, pro Jahr 10.000 Mark für deren Restaurierung bereitzustellen – Zahlen, die bei Restauratoren schon kein müdes Lächeln mehr hervorrufen könnten. „Wenn Sie Ihrer Frau pro Jahr einen Lippenstift schenken, kriegen Sie auch eine Ohrfeige.“ Insgesamt beobachte man seit Jahren einen Rückgang der öffentlichen Mittel bei wachsenden Depotbeständen. So wurden etwa in NRW seit 1995 die Förderungen zur Denkmalpflege um 60 Prozent zusammengestrichen – die Kassen sind leer, doch die Patienten werden immer mehr. Habe man früher aus Kollegialität arbeiten können, seien heute Fördermittel-Projekte und eine Mehrarbeit durch komplexe buchhalterische Dokumentationen  Gang und Gäbe.

Diese Nachricht zerstört sich selbst – ein paar hundert Jahre nach dem Schreiben: Manuskripte mit Eisengallustinte aus dem 17. Jhd.

 

Der wohlwollende Laie als unnötiger Kulturvernichter

Denn die Kräfte, die ihr Scherflein dazu beitragen, dass unser Kulturgut unablässig bröckelt, sind vielfältig: UV-Strahlung, die Fotos ausbleicht, Taubendreck, der Baudenkmäler verätzt, hölzerne Bildträger, die gleich Ebbe und Flut bei wechselnder Luftfeuchtigkeit mit Quellung und Schwund die Farbe aufplatzen lassen. Neben Umwelteinflüssen wie Wind, Klima und saurem Regen ist es vor allem der Mensch, der eingreift und durch Vandalismus oder Überarbeitungswünsche den Original-Zustand zerstört. So geschehen bei vielen mittelalterliche Holzskulpturen, die in der Zeit des Barock überpinselt wurden, nur um im 20. Jahrhundert wieder freigelegt zu werden.

Hinzu kommen immer wieder unvorhergesehene technische Errungenschaften, die eine Kaskade an schadhaften Einflüssen nach sich ziehen: „In den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts ging man zum Beispiel dazu über, in die meisten Kirchen Heizungen einzubauen“, erzählt Prof. Portsteffen. Die Folge: Trockene Luft und aufplatzende Farbe. Besonders an Holzmalereien. „Die einst hellen Steine des Kölner Doms hat zu allen Zeiten die Luftverschmutzung mit einer dicken Dreckkruste überzogen, die Industrialisierung aber im besonderen Maße.“

 

Fingerspitzengefühl bei der Restaurierung – behutsam kontrolliert Verena Roßmann gotische Baldachine entlang der Bruchkanten

 

Manches muss man einfach hinnehmen

Wo der Laie wütet, stirbt die Kultur meist einen unnötigen Tod: Immer wieder komme es vor, dass sich Menschen daran wagten, Kunstwerke zu restaurieren, obwohl sie weder den Schaden noch die Folgen ihrer Vorgehensweise wirklich verstanden hätten. Unvergessen hierbei der Fall einer spanischen Rentnerin, die 2012 ein Jesus-Fresko aus dem 19. Jahrhundert zu einem „haarigen Äffchen“ verhunzte. „Es gibt ein Urbedürfnis des Menschen, Sachen wieder heil zu machen“, konstatiert Prof. Portsteffen. „Dass Dinge, zumal, wenn sie in einem religiösen Kontext stehen, defekt oder zerstört sind, ist für Menschen regelrecht unerträglich.“ Daher sei es ein typisch menschlicher Zug, Dinge zu retuschieren, zu rekonstruieren, sie wieder in den gewohnten Zustand zu versetzen.

Damit der Unerträglichkeit des Defekts nicht die Verzweiflung des Verlusts folgt, lernen die Studenten am CICS nicht nur, welche Pülverchen und Tinkturen wann zur Anwendung kommen können, sondern auch, dass es manchmal besser ist, einen geringen Schaden zu akzeptieren, als einen Totalverlust zu riskieren. „Einer gründlichen Untersuchung am Objekt über seine Herkunft, Alter,  Materialzusammensetzung, Schäden und Schadensursachen folgt eine komplexe Abwägung, ob und wenn ja, welche restauratorischen  Maßnahmen zu ergreifen sind“, sagt  Angelina Klassen von der Studienrichtung Textilien und archäologische Fasern. „In der heutigen Restaurierungspraxis hält man Abstand von invasiven und irreversiblen Maßnahmen, wie zum Beispiel das Waschen oder das Bleichen. Stattdessen zielen die Maßnahmen darauf ab, das Textil langfristig zu erhalten und es nicht zusätzlich zu schädigen.“ So könne eine chemische Reinigung zwar kurzfristig ein tolles Ergebnis liefern, innerhalb einer Zeitspanne von zehn Jahren aber den Zerfall einer Faser bewirken.

Trend zu Nachhaltigkeit und Zurückhaltung

Neben der extensiven Dokumentation sämtlicher Objekte und Arbeitsschritte im Fotolabor wird den Studenten daher auch ans Herz gelegt, dass Originaltreue nicht in jedem Fall restauratorisch sinnvoll ist: Eine Drachenblut-Kugel aus Sumatra mag noch so einen markanten Rotton in ein Gemälde bringen – verblassen die Farben schon nach kurzer Zeit, ist ein modernes stabiles Farbmittel vorzuziehen. Andere Zutaten sind einfach wegen ihrer Giftigkeit zu meiden: Mit Kupferarsenit – besser bekannt als „Schweinfurter Grün“ – das schon die Tapeten in Napoleons Residenz auf Elba gefärbt haben soll, bessert der unvorsichtige Künstler unter Umständen sonst nur ein Bild aus. Restaurierung ist also ein dehnbarer Begriff, der sich immer weiter Richtung Nachhaltigkeit der Maßnahmen verschiebt.

 

Auch Momentaufnahmen sind nicht für die Ewigkeit: Lichtbilder werden durch UV-Licht ausgebleicht.

„Selbst die sorgfältigste Dokumentation und genaue Kenntnis von Schadensbild und Originalzustand enthebt uns aber nicht der Entscheidung im Einzelfall: Sollen, wollen und können wir so etwas restaurieren?“ erklärt Prof. Portsteffen. „Wir sind da heute generell etwas zurückhaltender, wohingegen die gesellschaftliche Tendenz dahingeht, immer weniger Alterung zuzulassen, sich Medienpersönlichkeiten wie Berlusconi immer öfter unters Messer legen.“ So ist es zu erklären, dass Stefanie Meyer, während sie einer Mariendarstellung aus dem 16. Jahrhundert mit Wattebäuschen und einer wässrigen Reinigungslösung ein wenig mehr Tiefenlicht und Farbsättigung verleiht, immer wieder das Stereomikroskop zur Hand nimmt, um jeden Millimeter auf Öffnungen in der Oberfläche zu kontrollieren, in die das Reinigungsmittel ungewollt abfließen könnte. Die Folge wäre ein Aufquellen der Farbe von unten, ein „Krepieren“ der obersten Glanzschicht. Eine Verschlimmbesserung, der nur durch exakte Markierung aller porösen Stellen vorzubeugen ist.

Das digitale Gedächtnis – eine trügerische Sicherheit

Oft ist es eine Arbeit mit Fragmenten, Lücken, Fragezeichen: So auch bei der namenlosen Mumie, deren Totenmaske Susanne Kummer vorsichtig mit einem Pinsel entstaubt. Nur so viel ist sicher: Sie muss im alten Ägypten der Ptolemäer einst zur Oberschicht gehört haben. Ihr Name ist nicht überliefert, doch ihr Körper blieb unter dem Wüstensand erhalten. Blattgold ziert die Textilschichten, durch die sich nun tiefe Risse ziehen. Entdeckt wurde sie bei einer Ausgrabung im 19. Jahrhundert – aus heutiger Sicht bedeutet dies in erster Linie zweihundert Jahre an der mitteleuropäischen Luft, die dem Objekt nicht gut getan haben. Die Nase der Maske ist eingedrückt, die Hülle ohne die Stützende Mumie kollabiert, zerbröselt, ein Puzzle von unschätzbarem Wert. „Ich werde die betreffenden Stellen befeuchten, um sie so flexibel zu machen und vorsichtig rückzuformen“, erklärt sie. Daran anschließen wird sich der Einbau einer stabilisierenden Unterstützung, um zukünftige Belastungen zu verringern. Mehr kann sie hier nicht mehr tun.

Doch auch die ambitionierte Digitalisierung bedrohter Kulturgüter scheint für Restauratoren nicht der Stein der Weisen zu sein. Muss man bei einem analogen Medium wie einem Buch über einen Zeitraum von 500 Jahren einen schleichenden Verlust in Kauf nehmen, kann das digitale Gedächtnis jederzeit ausgelöscht werden: „Ich spreche hier von der digitalen Klippe“, erklärt Professor Portsteffen. Zwar sei es sinnvoll, von häufig frequentierten Objekten wie Büchern zur Vorbeugung von Abnutzungserscheinungen ein Digitalisat auszustellen. Würden Datenspeicher aber nicht konsequent fortgeschrieben, drohe bei einem Festplattencrash der sofortige Totalverlust. Gebrannte CDs seien nicht selten schon nach wenigen Jahren nicht mehr lesbar. Bücher dagegen auch noch nach Jahrhunderten. „Deshalb, nicht zuletzt aber wegen seiner Zeugniskraft steht für uns immer das Original an erster Stelle.“

Mit zwei linken Händen kommt der hellste Kopf nicht weit

Um diese zu erhalten, ist mitunter manuelles Geschick gefragt: Hier eine Metallschließe für den restaurierten Pergamentband, dort sorgsames Retuschieren von Fehlstellen in einem niederländischen Ölbild. Verklebte Buchseiten einer Dresdener Handschrift voller Illuminationen, das gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im beschädigten japanischen Palais einen Wasserschaden erlitt, wollen mit einem Skalpell getrennt werden, ein Fixierfehler von Hand aus einem alten Foto retuschiert. Und bei den mit Glasperlen verzierten Strickbeuteln aus dem Rheinland, datiert auf das frühe 19. Jahrhundert, könnte jeder Fehlgriff das Gewebe reißen lassen. Immer befinden sich die Studenten in einem Drahtseilakt zwischen Berührung und Schonung, Konzept und Realisation.

Und als wäre das alles nicht genug, bekommen sie es mitunter auch noch mit biologischen Widersachern zu tun: Ein Schimmelpilz, der einen Buchrücken befallen hat, eine Flechte, die eine Marienskulptur überwuchert, oder den verräterischen Löchern an der Unterseite einer Kommode, in die Anobium punctatum, der gemeine Holzwurm, seine Larven abgesondert hat.

 

Was die Tempel-Welt im Innersten zusammenhält: Raphaela Klein entwickelt Hinterfüllmasse für die Ornamentik von Wat Mahathat Ayutthaya in Thailand.

Die ganz alltägliche Sensation

Im normalen Studienalltag stehlen die Restaurierungs-Objekte selbst den Schadensmustern noch die Show: Papyrusrollen eines Totenbuchs aus dem alten Ägypten, die zum ersten Mal seit 3500 Jahren aufgerollt wurden, eine Erstausgabe des Hieroglyphen-Buchs von Athanasius Kircher, das sich als Eigentum des ersten Mond-Kartographen Johannes Hevelius entpuppte, und Theaterpläne der ersten Lohengrin-Inszenierung liegen seit an seit mit antiken Inuit-Parka aus dem Rautenstrauch-Joest-Museum verwahrt auf wenigen Quadratmetern. Die Überraschung als Normalzustand. Die archäologische Sensation als Anschauungsobjekt.

Damit komplexe Handgriffe oder seltene Techniken nicht erst am Unikat ausprobiert werden, proben die Studenten einmal als tauglich befundene Maßnahmen zunächst an Dummies. Urkunden der Nürnberger Patrizierfamilie Tucher, die lange Zeit als nicht zu retten galten, konnten so durch Entfalten in einer Waschwanne gerettet werden, obwohl sie im Heißdampf eines von Feuer umtosten Tresors 1945 auf ein Drittel ihrer Größe zusammengeschrumpft waren. „Auch gelang es durch Bandpassfilter-Reflektographie die Schrift einiger besonders verschmorter Dokumente wieder lesbar zu machen“, erzählt Prof. Fuchs nicht ohne Stolz.

Ein bisschen Schwund ist immer

Das Studium zum Restaurator kann allerdings auch mit Frust verbunden sein: Manchmal macht man alles richtig, dann schlägt das Schicksal zu. So geschehen im Falle einer aus 1000 Einzelfetzen rekonstruierten Pause der „Weißen Dame“ aus Namibia, die einst von einem deutschen Ingenieur, der in der Region Telegraphenmaste setzte, auf Ölpapier angefertigt wurde. Ein Jahr, nachdem die rekonstruierten Pausen zurückgegeben wurden, brannte das Museum ab. Ein bisschen Schwund ist eben immer, und der Traum von der perfekten Konservierung unerreichbar.

Wasser, Licht, Erde, Luft – es sind die Elemente, die am Glanz der alten Meister zerren, winzigste Umwälzungsprozesse in Gang setzen, welche Pigmente und Farbverläufe verändern, die Mona Lisa heute anders aussehen lassen als noch zu Leonardos Tagen. Kühlt man Objekte, um chemische Prozesse zu verlangsamen, werden sie brüchig. Schafft man eine Stickstoff-Atmosphäre ohne Sauerstoff, verändern sich manche Farben. Der Restaurator – so gibt man es den Studenten mit auf den Weg – ist immer auf der Suche nach dem geringstmöglichen Übel – dem besten Kompromiss, den er der knorrigen Hand, die über dieser Welt das Stundenglas hält, abringen kann. Denn das einzig Beständige bleibt der Wandel, und Tand alles aus Menschenhand – die alten Formeln gelten einmal mehr.

 

Lesen Sie auch den Ersten Teil der Reportage „Vergangenheit mit Zukunft“.

Text: Christoph Hardt

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