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Kultur

Krieg kann nie ein Mittel sein

Montag, 17. April 2017 | Text: Gastbeitrag | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Im November 2016 feierte Nada Kokotovi?s „Sterben in Kroatien“ im Theater der Keller Premiere. Die Inszenierung ausgewählter Essays aus Slavenka Drakuli?s gleichnamigem Band über den „Krieg mitten in Europa“ hatte das Kölner Publikum und die Kritik gleichermaßen beeindruckt. Anlässlich der Wiederaufnahme am 18. April trafen wir die kroatische Regisseurin und Dramaturgin, die ihr Stück kurz zuvor auf den Balkantagen in München gezeigt hat. In unserem Gespräch ging es um den Alltag im Krieg, um Angst, Nationalismus – aber auch um das Potenzial von Mehrsprachigkeit. Und um die Magie des Theaters.

Meine Südstadt: Die Themen Krieg, Flucht und Nationalismus sind ja hochaktuell. Ist der Zeitpunkt bewusst gewählt worden, „Sterben in Kroatien“ jetzt zu inszenieren, oder hatten Sie die Idee schon länger?

 

Nada Kokotovi?: Wissen Sie, die Idee ist eigentlich jetzt entstanden, obwohl der Krieg selbst etwas ist, was mich die letzten 25 Jahre begleitet. Ich bin eigentlich nach Deutschland gekommen, weil in Ex-Jugoslawien der Krieg ausgebrochen war, was ich damals – und ich vermute, alle: meine Kollegen, meine Freunde, Mitglieder dieser Gesellschaft – was wir einfach nicht verstanden haben. Dass Krieg etwas Realistisches ist.

Genau in dem Moment hatte ich etwas in Serbien gemacht, und meine Familie, meine Mutter und Schwester, die lebten in Zagreb, in Kroatien. Als der Krieg ausbrach, konnte man nicht mehr zwischen den Republiken hin- und herfahren wie früher, ich konnte nicht mit meiner Mutter telefonieren. Ich habe tagelang versucht zu telefonieren, ich konnte sie nicht besuchen, ich musste über Ungarn nach Kroatien fahren, dabei sind es von Belgrad nur 400 Kilometer. Das sind diese Absurditäten … Irgendwie weiß man, dass das Realität ist, aber man kann sie nicht verstehen.
 
Damals sind laut internationalen Schätzungen des UNHCR 2,3 Millionen Menschen aus Ex-Jugoslawien geflohen, das sind unbegreifliche Zahlen. Und wenn ich mir jetzt die Bilder anschaue … Man sieht ja ständig die Bilder, diese zerstörten Städte. Ich finde, dass Krieg das Schlimmste ist, was es gibt auf der Welt. Denn wenn man krank ist, gibt es noch immer die Hoffnung, dass man gesund wird. Aber wenn Krieg ist, ist einfach Krieg. Frieden ist auf der ganz anderen Seite dieses Spektrums. Um direkt auf Ihre Frage zu antworten: Natürlich habe ich auch früher über Kriege nachgedacht. Aber es war ein Prozess, bis in meinem Kopf klar war, dass ich das inszenieren soll und muss. Das ist einfach ein langer Weg.

Krieg ist ja für die, die das nicht erlebt haben, etwas sehr Abstraktes. Sie haben sich jetzt für Ihre Inszenierung vier Essays aus dem Band von Slavenka Drakuli? herausgesucht. Wie gelingt es Ihnen, das Grauen des Krieges auf die Bühne zu bringen? Wie setzt man das in Bühnensprache um?

 

Das war auch meine Frage! (lacht) Es ist ein super schöner Prozess im Theater, in der Regie … es ist Magie, aus nichts oder aus ein paar Wörtern oder ein paar Hundert Wörtern etwas zu schaffen, was dreidimensional ist und emotionell und anders wirkt, als wenn man einen Text liest. Ich habe diese vier Essays gewählt, die auch direkt etwas mit Slavenka Drakuli? zu tun haben. Da ist der erste, „Die andere Seite des Krieges“, wo sie überhaupt überlegt, was Krieg ist. Was macht Krieg mit uns, wie fühlt sich das eigentlich an. Diese Angst, das ist eigentlich die schlimmste, die tiefste Emotion, die entsteht, wenn wir über Krieg sprechen.

Dann habe ich „Brief an meine Tochter“ gewählt. Das ist auch ganz bewusst von Slavenka Drakuli? geschrieben worden, es geht um ihre Tochter. Die lebte damals in Zagreb, und sie hat am Telefon gesagt: „Mama, hier schießen sie!“ Dieser Satz hat mich so betroffen gemacht, das war mein Motto für diese Inszenierung. Ich bin ein Pazifist – ich denke einfach, dass Krieg kein Mittel ist. Und dass man absolut in keinem Fall, unter keinen Umständen Krieg rechtfertigen kann. Im Essay „Wenn ich einen Sohn hätte“, spricht sie aus der Sicht einer Frau, aber ich habe das geändert in der Inszenierung in die Perspektive eines Mannes.

 

Der vierte Essay ist über diese Schauspielerin A.; Slavenka Drakuli? selbst hat mit ihr in New York gesprochen. Zufällig kenne ich Slavenka Drakuli?, weil sie ungefähr aus meiner Generation ist. Wir hatten auch zusammen in Zagreb studiert. Ich kenne auch diese Frau, die Schauspielerin A. (Mira Furlan, Anm. d. Red.). Sie lebt in Amerika, aber ich habe mit ihr letztes Jahr in Kroatien eine Inszenierung gemacht, „Kassandra“ von Christa Wolf. Das ist so persönlich, das Ganze. Das ist nicht einfach nur ein Text, und ein Stück, und eine Vorstellung. Sondern es ist ein Text von einer Frau, die ich kenne, über einen Krieg, den ich erlebt habe auf die eine oder andere Art und Weise. Und ich kenne diese Person, die sie beschrieben hat.

Sie haben mich vorhin gefragt, wie man diese Schrecken des Krieges, Angst etc. eigentlich inszenieren kann, und das habe ich mich auch gefragt. Ich hab erst mal mit den Schauspielern an den Texten gearbeitet. Und dann sagte ich: Nein, das geht nicht, hier muss man noch etwas reintun, es mit etwas verbinden, was erschreckend ist. Aber schon so, dass man hinschauen kann, nicht so, dass man muss den Kopf von der Bühne wegdrehen muss. Dann hab ich einen Tänzer genommen, meinen Kollegen Tuong Phuong, mit dem ich schon seit langem arbeite. Eigentlich verkörpert er Angst, Krieg, Tod. Das ist sehr schwer zu inszenieren. Und ich habe als Kontrast, dass man aufatmen kann nach einem Monolog, der betroffen macht – aber nicht betroffen in dem Sinn, dass ich weine, eine ganz extreme, intensive, auch sehr schöne Musik von Chris Jarrett genommen.

Diese Verbindung von Schauspiel und Tanz und Musik, das „Choreodrama“, ist etwas, womit Sie schon sehr lange arbeiten. Aber kann man Essays eigentlich tanzen? Sie meinen, es gibt diese zwei Ebenen, die Textebene und die Gefühlsebene, aber das kann man ja nicht trennen.

Ja, es ist schwierig. Die Kombination zwischen Tanz und Sprechtheater mache ich schon sehr lange, weil für mich die Sprache allein … da fehlte mir etwas an Emotion, diese Sinnlichkeit fehlte. Ich war ja einmal Tänzerin und Choreographin gewesen, bevor ich Theaterregie studierte. Diese Sinnlichkeit, die man im Tanz hat, aber auf der anderen Seite die Abstraktion, die im Tanz existiert: Diese Mischung ergibt eine andere Ebene, alles erhöht sich. Und das finde ich einfach eine unglaubliche Kombination zwischen diesen zwei ganz unterschiedlichen Medien.

Ganz allgemein ist es Ihnen ja wichtig, Mehrsprachigkeit und Multikulturalität auf die Bühne zu bringen. Welchen Effekt hat das eventuell auf Leute, die andere Sehgewohnheiten haben, die rein deutsche Ensembles sehen und nur Inszenierungen in deutscher Sprache?

 

Es geht nicht um Effekt, es geht einfach um Realität. Wenn ich nur mit deutschen Schauspielern arbeite, dann sprechen die nur Deutsch, klar. Die werden keine andere Sprache sprechen, weil das dann nicht authentisch ist. Wenn ich zum Beispiel mit einer Schauspielerin oder einem Schauspieler arbeite, der einen anderen Hintergrund hat, dann frage ich: „Kannst du deine Mutter- oder Vatersprache sprechen?“ Dann nehme ich das immer mit rein.

Zum Beispiel habe ich Christa Wolfs „Kassandra“ inszeniert und die Kassandra war eine türkische Schauspielerin. Obwohl sie hier geboren ist und perfekt Deutsch spricht, hatte ich eine Szene, wo sie Türkisch gesprochen hat. Diese Authentizität der Sprache ist eine sehr wichtige Sache. Der Schauspieler, der seine Muttersprache spricht, fühlt sich dann auf Augenhöhe. Ich will auch diese anderen Stimmen hören lassen, weil auch das unsere Realität ist. Ich hatte schon lange, bevor ich nach Deutschland kam, mit diesem System angefangen, in mehreren Sprachen zu inszenieren. Für mich ist das normal, aus Respekt gegenüber Sprache und Mensch und Geschichte.

Gleichzeitig gewinnt man den Eindruck, dass Sie in Ihren Theaterproduktionen auch alarmierende Zustände in unserer Gesellschaft sichtbar machen wollen.

?Bei dieser Inszenierung, oder ganz egal welche Inszenierung wir in unserem TKO Theater machen, habe ich immer nicht nur dieses Ziel, schönes Theater zu machen, sondern auch Fragen zu stellen. Man muss etwas, das aktuell und problematisch in unserer Gesellschaft ist, einfach an die Oberfläche bringen. Theater sind Streiträume und sollen Intoleranz und radikale Strömungen verhindern.
 

Frau Kokotovi?, wir danken für das Gespräch.

 

Die Autorin: Jaleh Ojan war ein waschechtes Südstadtkind, bis sie dem Stadtteil in den späten 80ern dann wieder untreu wurde. Heute zieht es sie immer wieder in das alte Heimatveedel – vor allem auch wegen der großartigen Theater. Seit 2002 schreibt sie als freie Kritikerin/Journalistin für diverse Medien.

Text: Gastbeitrag

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