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Gesellschaft Kultur

Kunst, Kultur oder Kriminalität?


Donnerstag, 21. Juni 2012 | Text: Benedikt Schleder | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Wir begegnen ihnen täglich. Oftmals ernten sie Bewunderung und Staunen, manchmal auch Verachtung und Hass. Die Schöpfer arbeiten meist anonym, aber schon längst nicht mehr nur noch bei Nacht und Nebel. Zeichen, Bilder, Schriftzüge – Graffitis. Was treibt die Sprayer zu den meist illegalen Taten? Welche Präventionsansätze gibt es, und wie werden Farbangriffe vermieden? „Meine Südstadt“ hat unter anderem mit einem Szene-Aussteiger, der Polizei und einer Vertreterin der Kölner Anti-Spray-Aktion gesprochen.

 

In seiner Südstadt-Wohnung treffe ich Jonas S., ein ehemaliges Mitglied der Graffiti-Szene in seiner norddeutschen Heimatstadt. Auf den ersten Blick macht der junge Vater nicht den Eindruck eines ehemaligen Sprayers, doch dann im Gespräch: Fachwörter aus dem Sprayer-Jargon. Hier „malt“ der Sprayer die „pieces“!

 

Meine Südstadt: Wie bist Du mit der Szene in Kontakt gekommen??

Jonas S.: In meiner Heimatstadt war 1992 ein ‚Jam‘, bei dem sich Mitglieder der damaligen Hip-Hop-Szene trafen. Dazu zählten die Breaker (Breakdancer), MC´s (Master of Ceremony: Rapper in einer Hip-Hop-Gruppe), DJ´s und die Sprayer. Zu diesem Anlass durften die Wände der Schule mit Graffiti gestaltet werden.  Das hat meine Freunde und mich so fasziniert, dass wir angefangen haben, Skizzen und Bilder zu zeichnen. Dann hatten wir das Glück, die Hauswand einer Freundin bemalen zu dürfen. Daraus entstanden unsere weiteren Aufträge.

 

Jonas erklärt, dass Sprayer, die Auftragsarbeiten erledigen und ausschließlich auf legalen Flächen sprühen, in der Szene als „set-out-bitches“ bezeichnet werden. Dazu zählte auch er mit seiner Crew: „Bis auf wenige Male haben wir legal gemalt und uns mit Aufträgen refinanziert und uns so in der Gegend Bekanntheit verschafft“. Mit dem Wachstum des Equipments und zunehmenden Aufträgen reifte auch die Individualität der „pieces“, also der aufwendigen, meist mehrfarbigen, großflächigen Graffitibilder. Im Netzwerk der Szene tauschte man sich über Ideen und Erfahrungen aus und inspirierte sich gegenseitig.??

 

Wie verändert sich der Alltag, wenn man mit dem Sprayen beginnt??

Jonas S.: Das Milieu ist sehr einnehmend. Du entwickelst einen extremen Tunnelblick und wenn Du´s ernst meinst, hast Du halt kein Leben. Du bist permanent müde, weil Du nachts aufstehst und bomben [das illegale Besprühen von Flächen] gehst und stehst dauernd unter dem Druck, nicht erwischt zu werden. Hinzu kommen noch die gesundheitsschädlichen Sprühnebelgase, die man einatmet – denn am Anfang sprüht man meist ohne Gasmaske.

 

Wie finanziert man sich als junger Erwachsener das Sprayen??

Jonas S.: In den letzten 20 Jahren hat sich eine regelrechte Sprayer-Industrie entwickelt. Wesentlich günstiger als im Baumarkt kauft man Sprühequipment in Sprüherläden. Sehr verbreitet in der Szene ist das ‚racken‘, also das Klauen von Spraydosen und Zubehör – das gehört einfach dazu!

 

Tags an den Wänden der Kölner Südstadt. Ärgernis vieler Hausbesitzer.

 

Die Südstadt, ein „stark frequentiertes Einzugsgebiet“

Bisher ist in Köln das Vorkommen von Blitz-Graffiti-Anschlägen, bei denen organisierte Sprayergruppen zum Beispiel haltende S-Bahnen in wenigen Augenblicken in Farbe hüllen, rar. Vereinzelt ist die Südstadt regelmäßig von Sachbeschädigung durch Graffiti belastet. Laut Kölner Polizei handelt es sich um ein „stark frequentiertes Einzugsgebiet“ von Personen, die dort nicht wohnen, sondern lediglich in Kneipen und der Kulturszene unterwegs sind.??

 

Nach den Erkenntnissen der Polizei handelt es sich bei den festgenommenen Tätern überwiegend um Realschüler oder Gymnasiasten  zwischen 14 und 21 Jahren aus der mittleren bis höheren Bevölkerungsschicht. „Mehrheitlich handelt es sich um sogenannte Wiederholungstäter“, erklärt Andre Faßbender vom Polizeipräsidium Köln. „Sie trachten danach, innerhalb einer selbst gewählten ‚Kulturbewegung‘ Anerkennung zu erhalten. Sie wollen das selbst erstellte und auf ihre Person bezogene Pseudonym, den ‚Tag‘ an möglichst vielen Örtlichkeiten verbreiten“. Tags sind in wenigen Sekunden, häufig mit einem breiten, wasserfesten, schwarzen Stift gezeichnete Zeichenkombinationen oder Initialen, die für den Laien oftmals als massiver Störfaktor an Wänden, Türen, Schildern, Stromkästen usw. empfunden werden. In der Sprayerszene sind die unterschiedlichen Zeichenschlüssel mit ihrer Bedeutung bekannt. Ursprünglich markierten Tags Bezirke von Gangs und Banden in New York.

 

Faßbenders Aussage bestätigt die Erfahrung von Jonas S., dass es für die „Writer, also die „Schreiber“, beim Verbreiten ihrer Tags in erster Linie um den „Fame“, das Ansehen und die Bekanntheit geht. S. nennt es das Nonplusultra in der Writer-Szene, mit seiner Crew oder in einer One-Man-Aktion einen Zugwaggon zu bemalen. Im Gegensatz zu früher werden die „rollenden Leinwände“ jedoch von den Verkehrsbetrieben und der Deutschen Bundesbahn unverzüglich aus dem Verkehr gezogen, um ein Erfolgserlebnis bei den Writern zu vermeiden. Die umfangreiche Sicherung und Bewachung von Abstell- und Nebengleisen erschwert den Sprayern zusätzlich das Handeln.??

 

Der „Verunreinigung“ auf den Fersen

Die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) verfolgen ebenfalls die Strategie, Schmierereien innerhalb von 24 Stunden durch deren Reinigungsfirma entfernen zu lassen, berichtet KVB-Sprecher Stephan Arnemüller: „Sollten Graffiti- oder Tag-Reste noch zu sehen sein, handelt es sich um Beschädigungen, die mit Reinigungsmitteln nicht zu entfernen sind. Hier hilft nur der Austausch des Bauteils, abschleifen oder eine Neulackierung.“ Mit einem Anti-Graffiti-Schutz sind die Busse und Bahnen in Köln nicht ausgestattet. Stattdessen gibt es Anti-Kratzfolien an Fensterscheiben und hochwertige Reklamefolien an den Fahrzeugen, sodass diese bei der Entfernung von Graffiti nicht so leicht beschädigt werden. Die Verkehrsbetriebe Köln schätzen die jährlich entstehenden Reinigungskosten von Graffitischäden an Anlagen und Fahrzeugen auf über 100.000 Euro. Als Eigentümerin von Haltestellen und U-Bahnhöfen fällt die Reinigung jener Orte in den Zuständigkeitsbereich der Stadt Köln, deren Kosten im hiesigen Betrag noch nicht enthalten sind.??

 

Tag und Aushang vom Bäckermeister Klaus Hütten / Foto: Karsten Schöne

 

„Das ist keine Kunst, das ist hirnlos“

Graffitis und Tags, zum Beispiel an Wohnhäusern, verärgern auch so manchen Hauseigentümer in der Südstadt. „Was die Graffiti Geschichte angeht, so bin ich eigentlich langsam recht ’sauer'“, schreibt uns der Bäckermeister Klaus Hütten – die Fassade seiner Backstube auf der Darmstädter Straße musste er schon mehrfach professionell reinigen lassen. „Sie können sich sicher vorstellen, dass man nicht gerade erbaut ist, wenn man dann morgens sieht, wie sich diese Idioten wieder verwirklicht haben.“

 

Derzeit sorgt Hütten mit einem Aushang für Diskussionen in der Südstadt, in dem er sich auf den Tag freut, an dem er den Fassaden-Bemaler persönlich kennenlernt. Ist es ein deftiger Ausdruck von Hilflosigkeit oder eine Androhung von Selbstjustiz, was der erboste Hauseigentümer da schreibt? Jedenfalls scheint das Geschriebene Wirkung zu zeigen: „Seltsamerweise konnte ich nach meinem Aushang keine neuen Schmierereien mehr feststellen“, so Hütten auf Nachfrage, der findet: „Das ist keine Kunst, das ist hirnlos“.

 

„Illegal geht gar nicht!“?

„Wir sind nicht die böse‚ Dagegen-Organisation“ vermittelt Petra Kremerius, Geschäftsführerin der Kölner-Anti-Spray-Aktion (KASA) gegenüber „Meine Südstadt“. Stattdessen setzt sich die vom Amt für öffentliche Ordnung initiierte Vereinigung aus Betrieben, Behörden und Konzernen wie der „Deutschen Bahn“ oder der „RheinEnergie“ für die Beratung und Unterstützung von Graffiti-Opfern ein. Das Aktionsprogramm der KASA setzt ein besonderes Augenmerk auf die zeitnahe Entfernung von Farbsprühereien an Objekten, um die Quote der neuerlichen Beschmierungen in der unmittelbaren Umgebung zu minimieren.

 

Ein bekanntes Phänomen ist nämlich die Ansiedlung weiterer Graffitis im unmittelbaren Umkreis. Daher legt die KASA gegen Legalflächen im öffentlichen Raum ein klares Veto ein: „Legalflächen sind in der Szene ‚Pilgerorte‘ für Sprayer aus umliegenden Städten. Außerdem treffen hier junge Sprayer mit bereits kriminell in Erscheinung getretenen Sprayern in Kontakt. Beides gilt es zu vermeiden“, betont Petra Kremerius. Die Erfahrung zeigte, dass neben einem starken Müllaufkommen auch Flächen und Fassaden rund um legale Sprühflächen verstärkt mit Tags und Pieces beschmiert sind. Darüber hinaus wäre das Angebot zeitlich begrenzt, da das „Crossen“, also das Übermalen anderer Graffitis, im Sprayermileu als absolutes Tabu zählt.??

 

Anfang der 1980er Jahre zählte man die ersten Tags in Europa. Die KASA-Geschäftsführerin Kremerius zieht einen Vergleich von Früher zur Gegenwart: „In den Anfängen des Graffitis zeigten Sprayer Respekt vor fremdem Eigentum und Kirchen. Heute kann man leider oftmals das Gegenteil beobachten.“ Die KASA ist keine Anlaufstelle für Sprayer, die den „Absprung“ aus dem illegalen Teil der Szene erreichen möchten. Jene werden an das Jugendprojekt „MittwochsMaler“ des Sozialkreis katholischer Männer e. V. in Köln-Bilderstöckchen verwiesen.??

 

Wandmalerei der Mittwochsmaler am Karl-Berbuer-Platz.

 

„Ein geschützter Anlaufpunkt für Sprayer“

Als ein Teil der offenen Jugendarbeit des „Sozialkreis katholischer Männer“ (SKM) beschäftigt sich das Jugendprojekt „MittwochsMaler“ seit 2005 mit den Interessen und Bedürfnissen der Graffiti-Sprayer. Die Räumlichkeiten am „OT Luckys Haus“ stellen eine Anlauf- und Beratungsstelle für Jugendliche, meist zwischen 14 und 17 Jahren dar, wie Dipl. Sozialpädagoge Maurice Kusber gegenüber „Meine Südstadt“ berichtet: „Junge Graffiti-Sprayer leben zwar häufig noch sozial integriert, befinden sich aber auf Grund der Illegalität ihres Handelns und des mit dem Graffiti-Sprayen einhergehenden Lebensstils oft bereits im gesellschaftlichen Abseits.“

 

Neben dieser Kernzielgruppe steht das Projekt zeitgleich als Anlaufpunkt für junge Erwachsene, die sich für die Graffiti-Malerei interessieren. Für die Jugendlichen steht der Kontakt und der Austausch zu Gleichgesinnten in einem „geschützten Raum“ im Mittelpunkt. Neben der Interaktion mit anderen Nutzern des Graffiti-Projekts zählen auch persönliche Beratungs- und Hilfegespräche bei rechtlichen, schulischen oder familiären Problemen zu den Angeboten. Unter künstlerisch-pädagogischer Leitung gibt es in der Regel zwei Mal pro Woche offene Angebote zum Malen und Zeichnen, Angebote zum Leinwandbau und dem legalen Sprayen auf dem „OT Luckys Haus“-Gelände.??

 

In ihrer Existenzzeit wurden die „MittwochsMaler“ unter anderem durch ihre Vielzahl von Auftragsmalereien im direkten und angrenzenden Stadtgebiet bekannt. Dazu zählt die Gestaltung der Zoomauer oder die mit den Erinnerungen der Bewohner gestalteten Mauer eines Altenheims am Karl-Berbuer-Platz in der Südstadt. Mittlerweile werden wieder weniger Aufträge angenommen, wie Maurice Kusber berichtet: „In den Jahren unserer Arbeit haben wir die Ausführung von Aufträgen im Stadtgebiet reduziert. Wir sehen uns nicht in erster Linie als Dienstleister für Sprayeraufträge. In der Regel vermitteln wir Aufträge weiter.“

 

Abschließend formuliert Maurice Kusber einen Wunsch im Namen des Sozialprojekts Mittwochsmaler: „Das Graffiti-Projekt der „MittwochsMaler“ ist inzwischen etabliert. Die Effizienz und der Effekt unserer Arbeit würde sich aber steigern, wenn man sich mit Befürwortern und Gegnern von Graffiti an einem runden Tisch zusammenfindet und sich jeder kompromissbereit und vorurteilsfrei zeigt, alle müssen jedoch am gleichen Strang ziehen.“

Letztendlich lässt sich die Frage nicht vollständig beantworten, was Jugendliche dazu bringt, sprayen zu gehen. Der Ansatz einer Stadtverschönerung ist dem Reiz nach Anerkennung, Bekanntheit und dem verbotenen Handeln sicherlich nachgestellt. Vielmehr ist es die Faszination der bunten Vielfalt und der eigenen Verwirklichung. Dass sich junge Menschen beim Abseilen von Brücken oder dem Sprayen in U-Bahnschächten in akute Lebensgefahr begeben, spielt eine untergeordnete Rolle – es geht darum, das Geplante umzusetzen.

Text: Benedikt Schleder

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