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Kultur

Luther reloaded

Montag, 17. Juli 2017 | Text: Jaleh Ojan | Bild: Rene Achenbach

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Petrus ist dem großen Reformator anscheinend wohlgesonnen. Trockenen Fußes zieht eine Prozession aus singenden Ordensleuten (Musik: Bernd Kaftan) zum Auftakt der Köln-Premiere von „Ich fürchte nichts … Luther 2017“ vor der Bühne des Baui im Friedenspark vorüber, während Weihrauchschwaden bis zu den hintersten Rängen der vollen Zuschauertribüne wehen. Mit allen Sinnen wird das Publikum mitten ins Geschehen gezogen – in das Jahr 1517, als der Augustinermönch Martin Luther in Wittenberg seine 95 Thesen veröffentlichte und das Machtgefüge der Kirche ins Wanken brachte.

Die Geschichte um den Mann, der „den Elfenbeinturm der kirchlichen Bevormundung“ verließ, um mit seinem „sola fide“ den kleinen Mann zum mündigen Gläubigen zu machen, scheint bestens aufgehoben in den Händen des N.N. Theaters, das nach eigenen Angaben vor 30 Jahren den Elfenbeinturm der Kunst verließ, um als Straßentheater Weltliteratur zu den Menschen zu bringen. Für die Entwicklung seines Stücks, das zum Auftakt des diesjährigen Freiluftfestivals aufgeführt wird, hat George Isherwood mit einem Reformationshistoriker zusammengearbeitet.

Ein Lob aufs „Bodenpersonal“

Der historische Rahmen stimmt. Doch es wäre keine N.N. Theater-Produktion, wenn der Streit um den Ablasshandel, der Thesenanschlag oder das Modellsitzen bei Cranach nicht originell und frech in Szene gesetzt wären; hier von Gregor Höppner, immer auf der Grenze zwischen Tragödie und Komödie, mit Elementen der Commedia dell’Arte, greller Schminke und schalkhaftem Witz.

 

Martin Luther (Oliver Schnelker), heimgesucht von den Geistern, die er rief.

Martin Luther (Oliver Schnelker) kann, wenn er will, überaus eloquent sein. Wenn er sich allerdings über den Pontifex auslässt, ist der Mann, der auch mal auf dem stillen Örtchen an seinen Schriften arbeitet, wenig zimperlich. „Dieser Papst ist eine dreckige Sau in einer Tiara!“, entfährt es ihm. Papst Leo X. selbst (Aischa-Lina Löbbert) gibt sich wiederum lieber der Völlerei hin, als sich um einen aufmüpfigen Deutschen zu kümmern, der seinen Ablasshandel abschaffen will – eine wichtige Geldquelle für den Neubau des Petersdoms. Gut, dass es da Bischöfe gibt, an die man solch lästige Aufgaben weiterdelegieren kann. „Ach, Bodenpersonal – bravissimo!“, ruft der Papst mit dickem italienischem Akzent, und wendet sich wieder seinem Essen zu.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind natürlich keineswegs zufällig. Und wenn Nachrichten und subversive Schriften Luthers in Klöster geschmuggelt werden, wird der eigentliche Anbruch des Informationszeitalters, 500 Jahre vor Internet und WhatsApp, wunderbar nachvollziehbar. Schwester Katharina von Bora weiß – Gutenberg sei Dank – schon nach der Lektüre seiner Schriften, dass Martin „ihr Typ“ ist.

1517 – 2017

Humorvoll und tiefsinnig kommentiert wird die Chronologie der Ereignisse von einer Erzählerin in futuristischem Outfit (Irene Schwarz), die über Zeitreisen, Gott und das Universum sinniert und dem Publikum schon mal philosophische Fragen zumutet („Hat sich Gott beim Urknall die Ohren zugehalten?“). Sinn macht es ja, Parallelen zum Hier und Jetzt zu ziehen – schließlich hat sich am Wesen des Menschen in den letzten 500 Jahren nicht viel geändert.

 

Cranach fertigt ein „Holz-Freeze“ von Luther an.

 

Genial, wie in „Ich fürchte nichts …“ ein Feuerwerk an popkulturellen Referenzen gezündet wird, von Dickens- und Douglas Adams-Zitaten bis hin zu Anspielungen auf DSDS und Dinner for One. Doch das Stück zeigt vor allem, dass die Protagonisten des aktuellen Zeitgeschehens denen von damals unheimlich ähneln: vom machtgeilen Herrscher („Vatikan first!“) bis hin zu den religiösen Fanatikern, die vor Gewalt nicht zurückschrecken. „Ich fürchte nichts …“ ist sogar extrem nah am tagespolitischen Geschehen, wenn Papstgegner als vermummte Autonome mit Spraydosen auftreten und „Welcome to hell!“ skandieren.

„Ehe für alle“ im 16. Jahrhundert

Zum schrägen Katz-und-Maus-Spiel à la Sister Act wird der Ausbruch der Nonnen aus dem Kloster Nimbschen. Die mobilen „Säulen“ bzw. Stoffröhren, die für eine imposante Kulisse sorgen, bieten nicht nur gute Versteckmöglichkeiten, sondern machen auf der Open-Air-Bühne auch diskrete Auf- und Abgänge möglich. Ohne fahrbaren Untersatz geht bei einer Flucht aber nichts, und so wird ein zylindrischer Behälter, der schon als Altar und als päpstlicher Schmerbauch zum Einsatz kam, kurzerhand von der „Cloaca“ zum Fuhrwerk umfunktioniert.

Da nun andere Zeiten angebrochen sind („Ehe für alle!“), kann Martin Luther seine „Käthe“ (Löbbert), eine davongelaufene Nonne ohne Mitgift, ehelichen. Die anderen frisch in Wittenberg eingetroffenen Schwestern haben ihrerseits das zweifelhafte Glück, auf einer Junggesellinnenversteigerung an den Mann gebracht zu werden.

Den Teufel auf der Schulter

Ist die Geschichte seiner Exkommunikation und seiner Schutzhaft auf der Wartburg erstaunlich schnell abgehandelt, wird viel mehr – fast schon zu viel – Zeit darauf verwendet, Luthers menschliche Schwächen zu beleuchten. Da wird zum Beispiel die Hochzeitsnacht zur handfesten Krise, denn Luther bietet zwar Priester und Bischöfen die Stirn, hat aber „Angst vor einer Frau“. Immerhin lässt dann der Nachwuchs nicht lange auf sich warten. Dazu stopft sich Löbbert als Gattin bloß einen Ballon nach dem anderen unters Kleid: Familienzuwachs im Sekundentakt.

 

Michl Thorbecke als Satan: „Ich bin stets das, was du in mir sehen willst“.

Fantasievoll-skurrile Szenen wie diese nehmen aber den ernsten Episoden nichts von ihrer Brisanz. „Man soll sie zerschmeißen!“, hetzt Martin Luther gegen die aufständischen Bauern, nachdem er sich mit seinem einstigen Anhänger Thomas Müntzer angelegt hat. Schließlich suchen ihn die Stimmen der Getöteten im Alter in seinen Alpträumen heim; da kann ihm auch sein persönlicher Teufel (Michl Thorbecke) nicht mehr helfen. Die Momente, in denen der unfreiwillige Kirchenspalter von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen zerfressen ist, werden von Höppner optisch sehr eindrucksvoll und atmosphärisch dicht mit Nebelmaschine und dramatischer Beleuchtung in Szene gesetzt.

Käthe, der heimliche Star

„Ich fürchte nichts“ ist letztlich weniger Luthers Motto als vielmehr das seiner „sperrigen Gefährtin“. Katharina von Bora entpuppt sich im Stück Isherwoods als der heimliche Star seiner Version der Luther’schen Geschichte. Sie ist es, die den Reformator nicht nur in seinem Kampf gegen die verkrusteten Kirchenstrukturen unterstützt, sondern ihm oft genug auch den Kopf wäscht, wie etwa nach seinen antisemitischen Tiraden nach dem Besuch eines Rabbiners (Irene Schwarz). Schön, dass das Stück auch Luthers Judenhass und seine Frauenfeindlichkeit zur Sprache bringt. Schade, dass der Showdown dann ein wenig zu versöhnlich gerät …

„Ich fürchte nichts …“ ist Kirchengeschichte zum Anfassen und zum Schmunzeln – und alles andere als ein sprödes Lehrstück. Dafür zieht die Regie mit den perfekt aufeinander eingespielten Darstellern alle Register. Trotzdem hat die arg gefällige Inszenierung ihre Längen und Schwachstellen. Der dick aufgetragene derbe Humor und die musicalartigen Songeinlagen sind ein wenig zu viel des Guten. Auch für Volkstheater gilt: Etwas mehr Mut zur Subtilität kann nicht schaden.
 

 

Mehr im Netz

www.nntheater.de

Text: Jaleh Ojan

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