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Politik

„Radikal thematisch“

Montag, 23. Juni 2014 | Text: Wassily Nemitz | Bild: Wassily Nemitz

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Zwei Piraten ziehen in den Kölner Rat – mit ihrem Ergebnis von 2,07 % bei den Kommunalwahlen ist die Partei erstmals im Parlament vertreten. „Meine Südstadt“ sprach mit Thomas Hegenbarth, einem der beiden „Neulinge“ im Rathaus, über die Situation seiner Partei, mögliche Kooperationen und seine inhaltlichen Schwerpunkte.

Meine Südstadt: Herr Hegenbarth, am Dienstag fand Ihre erste Ratssitzung statt – wie ist Ihr erster Eindruck?
Nach der jahrelangen Beobachtung auf der Ratstribüne war ich erst einmal froh über die Erkenntnis, dass die Bestuhlung im Plenum deutlich besser ist als auf der Tribüne (lacht). Aber Scherz beiseite: die konstituierende Ratssitzung unterscheidet sich in vielen Dingen von „normalen“ Sitzungen. Im Gegensatz zu den ersten Überlegungen der Verwaltung, die uns  zwischen den rechten Parteien Pro Köln und AfD positionieren wollte, sitzen wir nun nach Protest und Unterstützung anderer in der Mitte – ein guter Standort für Piraten.
Die erste Sitzung dauerte gerade einmal zwei Stunden, es standen Personalien wie die Wahl der stellvertretenden Bürgermeister und viel Formales rund um die Ausschüsse an. Es wurde wenig diskutiert, dafür aber viel abgestimmt Geheime Wahlen wie am Dienstag, die ich sonst nur extrem selten erlebt habe, würde ich mir in den Ratssitzungen öfters wünschen.

Auf Ihrer Website titelten Sie kurz nach der Wahl: „Zwei Piraten entern das Rathaus!“ – diese Pointe ist ja nicht wirklich neu. Trotzdem klingt das nach mehr als „Wir ziehen ein!“. Bricht dort jetzt die Revolution aus?
Thomas Hegenbarth: Erst einmal bin ich auch nicht unbedingt Freund solcher nautischen Vergleiche, aber manchmal liegen sie einfach auf der Hand. Das soll einfach zeigen, dass wir Piraten jetzt da sind, dass wir dabei sind. Es wurde auch Zeit nach unserer intensiven, kommunalen Arbeit in den letzten Jahren. Das wurde jetzt goutiert – und wir entern das Rathaus nicht nur zu zweit, sondern als Vertreter der mehr als 8000 Stimmen, die wir von den Kölnerinnen und Kölnern bekommen haben.

In Prozenten gesehen haben Sie allerdings nur einen kleinen einstelligen Wert erreicht. Vor nicht allzu langer Zeit waren die Hoffnungen ja noch viel größer, bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 2011 bekamen Sie deutlich mehr Stimmen. Sind die Leute enttäuscht von den Piraten?
Nein. Ich habe schon häufig gesagt, dass wir bei den Landtagswahlen einen überzogenen Hype und eine überzogene Erwartungshaltung hatten. Man kann einfach nicht davon ausgehen, dass wir ohne jegliche Erfahrung eine Erwartungshaltung von 10-12 Prozent erfüllen können. Das war damals komplett übertrieben. Allerdings halte ich auch die derzeitige  Gegenbewegung für übertrieben, dass man uns völlig klein schreibt und man uns sehr viele negative Dinge unterstellt. Natürlich haben wir eine Richtungsdiskussion, die auch jeder mitbekommt – diese Richtungsdiskussion hatten die Grünen aber auch,  mehr als zehn Jahre lang. Denen wurde das lange nachgesehen und bei uns wird schon nach acht Monaten angefangen zu schreien. Also: Gemach und Geduld mit uns! Wir haben jetzt die Möglichkeit, hier in Köln das umzusetzen, wofür wir gewählt worden sind. Auch wenn wir mit zwei Mandaten natürlich nicht viel anfangen können. Durch die Gemeindeordnung haben wir aber den Status einer Gruppe und damit verbunden einige Rechte.

Mit zwei Abgeordneten im Stadtrat können Sie alleine dennoch keinen Blumentopf gewinnen. Um Ihre Themen nicht nur anzusprechen, sondern auch Konkretes umzusetzen, müssen Sie mit anderen Parteien zusammenarbeiten. Auf Ihrer Webseite heißt es, Sie seien nicht in ein Rechts-Links-Schema einzuordnen. Heißt das, dass Sie zu Gesprächen mit allen Parteien bereit sind?
Grundsätzlich gilt: Mit Ausnahme von „Pro Köln“ und, weil wir sie im Moment noch nicht einschätzen können, der AfD, sind wir für Gespräche mit allen Parteien offen. Wir definieren uns als radikal thematisch. Uns ist klar, dass wir keine Fundamentalopposition gegen alle machen können.

Die Mehrheit für Rot-Grün ist knapp, bei der Oberbürgermeisterwahl könnte sie nächstes Jahr kippen. Die beiden Parteien setzen ja auf Sie und können sich eine Zusammenarbeit durchaus vorstellen. Steigbügelhalter wollen Sie aber sicher nicht sein, oder?
Wir stehen nicht dafür bereit, dauerhafte politische Mehrheiten zu sichern. Was die Kölner aber von uns erwarten ist, dass wir bei den Themen, für die sie uns gewählt haben auch mithelfen, Dinge durchzusetzen. Und das werden wir tun!

Nichtdestotrotz werden Sie als Gruppe mit zwei Abgeordneten auch Kompromisse machen müssen – widerspricht das nicht Ihrem Anspruch, „radikalthematisch“ zu sein?
Das sehe ich so im Moment nicht. Wir sind ja nicht Teil einer Koalition. Wir werden ganz klar bei jedem Thema entscheiden: Stimmen wir mit – ja oder nein? Wir werden uns nicht verbiegen müssen.

Wenn man von den Aktivitäten der Berliner Piraten liest, wird es häufig so dargestellt, als sei deren einziger Erfolg die Neuaufnahme von Club Mate ins Sortiment der Kantine. Fühlen Sie sich von den Medien lächerlich gemacht?
Das wäre sicherlich zu billig, hier alles auf die Medien zu schieben. Natürlich sind die Piraten auch selbstverantwortlich für ihre Außendarstellung. Aber: Ich bin stolz, bei den Piraten zu sein, gerade weil wir auch viele Diskussionen nach außen darstellen. Auch bei anderen Parteien wird diskutiert, teilweise sogar deutlich härter, nur die zeigen das eben nicht so sehr. Deswegen habt ihr als Medien es viel einfacher, auf uns zu zeigen. Erstaunlicherweise wird dann über unsere Beschlüsse, die wir ja durchaus fällen, kaum mehr berichtet.

Zeigen diese Diskussionen vielleicht, dass die Mitglieder der Piraten auch selber ein Stück weit in der Realität angekommen sind und anfänglich geltende Prinzipien außer Kraft gesetzt wurden?
Dass man sich verabschieden muss von einigen, etwas weltfremden Vorstellungen, ist ja vollkommen normal. Aber wir werden immer die Piraten bleiben, wir werden immer für experimentelle Dinge da sein und andere Wege ausprobieren. Bundesweit muss diese Diskussion geführt werden und wir müssen herausfinden, wo wir hin wollen. Ich bin der Kölner Vorsitzende – bei uns ist diese ganze Diskussion schon seit vielen Jahren vorbei, wir haben einen pragmatischen, inhaltlichen Weg gefunden.

Das klingt ja so, als wären Sie von der Bundespartei unabhängiger geworden und würden hier ein bisschen vor sich hin werkeln…
…nö!

Sie sind mit dem Anspruch gegründet worden, sehr basisdemokratisch organisiert zu sein – wie kann ich mir Ihre Entscheidungsprozesse vorstellen? Angenommen wir haben einen Antrag im Stadtrat zum Thema Nord-Süd-Stadtbahn, sie solle erst 2030 eröffnen. Sie müssen sich in gewisser Weise dazu verhalten – werden Sie vorher alle Ihre Mitglieder konsultieren oder machen Sie das mit Ihrer Stadtratskollegin aus?
Es wird sicherlich Entscheidungen geben, die nicht immer von Mitgliederversammlungen getroffen werden müssen. Ihr Beispiel, die U-Bahn, ist ein sehr umstrittener Punkt, der in der Stadtgesellschaft viel diskutiert wird. Da würde ich sehr gerne auch die Meinung der Mitglieder hören. Wie genau wir das technisch umsetzen, werden wir noch diskutieren.

Ich bin vorhin mit der U-Bahn hierher gefahren, das Einzelticket scheint schon wieder teurer geworden zu sein. Mit Ihnen wäre ich diese Sorge los, denn Sie fordern einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr…
…fahrscheinlos, nicht kostenlos! Das ist ein Riesenunterschied!

…nun gut, Sie fordern einen fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehr. „Fahrscheinlos statt planlos“ hieß es auf Ihren Wahlplakaten. Jetzt sagte mir ein Verkehrswissenschaftler, das Gegenteil werde eintreten – durch fahrscheinlosen ÖPNV nehme die Qualität sogar ab, weil die Verkehrsbetriebe keinen Anreiz mehr haben, ihr Bestes zu geben!
Ich weiß nicht, mit was für einem Verkehrswissenschaftler Sie da gesprochen haben! Derjenige, der eines der wenigen solidarischen Systeme hier eingeführt hat, ist der Bonner Prof. Mohnheim. Er hat das Semesterticket in NRW erarbeitet und eingeführt. Es ist also keineswegs so, dass hier alle Verkehrswissenschaftler dagegen sind. Wir wollen das Semesterticket für alle.
Wenn das das Hauptargument der Gegner ist, dann ist es sehr schwach. Wir haben doch überall Solidarsysteme, schon unser Steuersystem ist so aufgebaut. Sollte man das jetzt auch abschaffen? Und außerdem: Gehen Sie mal in die U-Bahn-Station und fragen die Leute, wie zufrieden sie denn im Moment sind. Die schreien nicht alle hurra!
Wir müssen unseren ÖPNV zukunftssicher gestalten, Köln wächst immer weiter, und wenn wir den Ausbau nur mit steigenden Ticketpreisen hinbekommen, dann wird das Ganze unbezahlbar.

Seit den ersten Erfolgen der Piraten hat fast jede andere Partei ein Referat zur Netzpolitik. Inzwischen gibt es Live-Übertragungen von den Ratssitzungen im Internet. Ich gehe aber davon aus, dass das für Sie noch nicht ausreichend ist!
Ohne den Antragstellern hier zu nahe treten zu wollen – wann ist das verabschiedet worden? Vor einem halben Jahr. Da stand die Kommunalwahl schon vor der Tür. Es ist schon sehr durchschaubar, warum das gemacht wurde. Immerhin gibt es das jetzt. Aber: Sie können das nur live sehen, Aufzeichnungen gibt es da nicht, anders als in anderen Städten!

Nach Angaben der Stadtverwaltung sprechen „rechtliche Gründe“ gegen eine Aufzeichnung…
…warum können das viele Andere denn dann? Das ist ein vorgeschobenes Argument!

Netzpolitik und Transparenz ist aber mehr als Rats-TV – was sollte Ihrer Auffassung konkret getan werden, um die Ratsarbeit transparenter zu machen?
Ich möchte nochmal beim Thema Rats-TV bleiben: Im Moment kann ich als Bürger allein aus zeitlichen Gründen vielfach nicht teilhaben, weil ich nachmittags um halb vier, wenn die Sitzung beginnt, etwas Anderes zu tun habe. Das muss also abrufbar gemacht werden, aber das ist natürlich nur eines von vielen Steinchen!

Was sind die anderen?
Projekte wie „Offenes Köln“ von Marian Steinbach müssen unterstützt werden, er verknüpft viele Daten und macht sie für den Bürger viel durchschaubarer, indem er die Anträge geographisch sichtbar macht. Außerdem brauchen wir kostenloses W-LAN für alle, flächendeckend.

Sie sind neu im Stadtrat – schon ein berauschendes Gefühl?
Ja, klar, alles ganz toll und ganz anders (lacht) Nein, Quatsch! Hat sich nichts großartig geändert. Ich habe mir nur immer wieder die Zahl derjenigen angeguckt, die uns gewählt haben. Weil, für die mache ich das ja!

Nur für die?
Nein, auch für die Ziele, für die ich mich einsetze.

Es ist ja schon eine recht lebenseinschneidende Entscheidung, sich im Stadtrat einzusetzen. Selbst die Bezirksvertreter können angesichts der Aktenberge ihre Freizeitaktivitäten quasi einstellen. Wieso haben Sie sich trotzdem dafür entschieden?
Ich will die Verantwortung wahrnehmen – und für mich ist es etwas einfacher, weil ich nicht verheiratet bin und keine Kinder habe.

Letzte Frage: Die nächsten Kommunalwahlen finden in sechs Jahren statt. Was hat sich bis dahin geändert?
Alles! Nein, ich bin nicht illusorisch. Ich wäre schon froh, wenn wir viele Diskussionen angestoßen haben, insbesondere was Bürgerbeteiligung angeht. Es muss auch im Bereich des ÖPNV ein Prozess angestoßen worden sein.

Das war ja schon eine wahre Politikerantwort!
Jaja, ich bin angekommen (zwinkert)

Herr Hegenbarth, ich danke Ihnen für das Gespräch!

 

Text: Wassily Nemitz

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