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Gesellschaft

„Unsere Pforte hat 24 Stunden am Tag geöffnet!“

Sonntag, 6. Oktober 2013 | Text: Gastbeitrag | Bild: Heide Marie Breer

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Draussenseiter-Chefredakteurin Christina Bacher hat sich mit Ex-Berber Günter Thielen, seinem Kumpel Norbert Springob und Sozialarbeiter Thore Klahr im Annohaus (oder als Johanneshaus bekannt) in der Kölner Südstadt zum Gespräch getroffen. Der Besuch in der Einrichtung des Johannesbunds hat sich gelohnt: In den letzten Jahren hat sich eine Menge in der ältesten Kölner Einrichtung für Wohnungslose getan, wie auch Ex-Bewohner Günter begeistert feststellt. Thore Klahr freut sich über jede positive Rückmeldung aus der Szene: „Wie bemühen uns, den Menschen in Not soweit es geht gerecht zu werden.“

Christina Bacher: Schön, dass wir bei euch mal wieder vorbei schauen können und so erneut einen Einblick ins Johanneshaus-Haus bekommen. Magst du dich erst einmal kurz vorstellen?
Thore Klahr: Gerne, ich bin 44 Jahre alt und arbeite schon im 13. Jahr hier im Johanneshaus als Sozialarbeiter. Meine Aufgabe als Fachbereichsleiter in der Reso-Abteilung ist vor allem die Betreuung der Menschen, die zu uns in die Notaufnahme kommen. Meistens ist das ja am Abend und oft geht es erst einmal um einen Schlafplatz für die Nacht. Manchmal entsteht dann bei dem einen oder anderen der Wunsch, weitere Hilfe in Anspruch zu nehmen. In Absprache mit dem Landschaftsverband wird dann gemeinsam überlegt, welche weiteren Schritte man gehen kann und wie das Leben in der Reso-Abteilung genutzt werden kann, um den Menschen wieder auf die Füße zu helfen.

Christina Bacher: Kannst du für Laien mal erklären, was „Resozialisierung“ bedeutet?
Thore Klahr: Re-Sozialisierung bedeutet sinngemäß so etwas wie Wieder-Eingliederung in die Gesellschaft. Wer in unserer Reso-Abteilung aufgenommen wird, kann länger als nur ein paar Nächte bleiben. Wir kümmern uns hier mindestens ein halbes Jahr um die Menschen, die im Leben gestrauchelt sind und von denen wir glauben, dass sie noch die Möglichkeit haben, sich manche Lebensbereiche wieder neu zu erschließen.

Christina Bacher: Das Johanneshaus in der gleichnamigen Straße besteht seit über 60 Jahren. Was gibt es denn an Neuerungen?
Thore Klahr: Neu sind zum Beispiel unsere Außenwohnprojekte, die auch als stationäre Angebote gelten, wie Häuser in Dellbrück und in Poll sowie eine Wohnung in Kalk. Dort können Menschen längerfristig wohnen und werden von hier aus weiterhin betreut. In einem angenehmen Umfeld – teilweise mit Garten und Terrasse – können sich die Menschen die Zeit nehmen, die sie brauchen, um sich gewisse Alltagsdinge wieder anzueignen. Diese Wohnprojekte sind erst einmal auf ein halbes Jahr ausgelegt, spätestens aber nach zwei Jahren sollte man etwas Neues gefunden haben: Entweder eine eigene Wohnung oder eben eine betreute WG oder ähnliches. Was es ja schon immer gab, jedoch im Laufe der Jahre professionalisiert und ausgebaut wurde, sind die verschiedenen Angebote hier im Haus: Da kommen Pflegedienste, es gibt fest angestellte Krankenschwestern, das Angebot des Mobilen Medizinischen Dienstes – also eine gute Versorgung für die doch sehr unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Klienten.

Der kleine Günther: Ich war ja früher auch häufiger hier und wurde immer gut versorgt. Wieso aber war denn all die Jahre der Ruf vom Annohaus so schlecht? Die Berber selbst schimpften, man werde hier beklaut und die Bürger redeten abfällig vom „Pennerheim“. Mir hat das damals weh getan, ich habe mich da auch angesprochen gefühlt …
Thore Klahr: Noch vor zehn Jahren haben wir viel mehr Menschen hier aufgenommen als das heute der Fall ist. Manchmal kamen da am Abend bis zu 180 Bedürftige auf der Suche nach einem Schlafplatz. Die hygienischen Verhältnisse waren damals noch nicht so gut. Das waren also eindeutig zu viele Menschen auf engem Raum – da sind Probleme ja vor programmiert. Inzwischen haben wir die Platzzahlen herunter gefahren und in vielen Bereichen geschaut, was man optimieren kann. Für uns steht nach wie vor die Frage im Vordergrund, wie die Lebensumstände für die Menschen hier verbessert werden können. So gibt es neben einer langfristigen Eingliederungshilfe für Menschen mit psychischen Problemen auch das Langzeitwohnheim, wo Wohnungslose in Würde bis zum Lebensende alt werden können. Man kann sowieso sagen, dass sich das ganze Hilfe-System enorm verbessert hat.

Christina Bacher: Haben sich denn auch die Probleme der wohnungslosen Menschen verändert?
Thore Klahr: Das ist tatsächlich der Fall und da müssen wir natürlich auch drauf reagieren: Die wohnungslosen Männer, die hier ankommen, werden beispielsweise immer jünger. Es sind unglaublich viele 17-18 Jährige, die hier vorsprechen, die ich teilweise gar nicht aufnehmen kann, weil für sie andere Einrichtungen zuständig sind. Auch die Anfang Zwanzigjährigen sind offenbar viel früher aus ihrem sozialen Umfeld rausgefallen, als das noch vor zehn Jahren der Fall war. Viele konsumieren Cannabis, seit sie 13 Jahre alt sind und sind als Teenager schon auf der Straße gelandet.  Das ist eine recht neue Entwicklung. Denn früher gab es doch viele ältere Wohnungslose, die durchaus eine Ausbildung hatten oder Familie und die dann durch einen Bruch im Leben auf der Straße gelandet sind.

Christina Bacher: Wie kann man denn da helfen, ohne die Menschen abzuschrecken, die es gewohnt sind, niemandem zu vertrauen …
Der kleine Günther: Was viele ja nicht kapieren ist, dass den meisten Wohnungslosen sicher nicht geholfen ist durch eine schnelle Beschaffung von Wohnung oder Job, so, als würden sie genauso wie alle anderen Bürger ticken. Nach vielen Jahren auf der Straße braucht es erst einmal was anderes … Und wenn es nur ein offenes Ohr ist oder einfach Verständnis ohne Vorwürfe.

Thore Klahr: Da gebe ich dir Recht. Für mich ist es zunächst einmal am wichtigsten, dass es zwischenmenschlich stimmt und Vertrauen entsteht, also dass sich ein Mensch überhaupt von mir helfen lassen möchte. Und dann muss man auf den Einzelfall schauen: Was für den einen gut ist, kann für den anderen schlecht sein.  Wenn Jemand nicht alleine leben kann, brauche ich ihm auch nicht bei der Wohnungssuche helfen. Es gibt eben Menschen, die auch gerne hier auf dem Gelände bleiben oder erst einmal eine Langzeittherapie machen wollen.

Christina Bacher: Dein Beruf bringt doch sicher auch viele Enttäuschungen mit sich: Wie gehst du damit um, wenn du zu Jemandem ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hast und dann taucht der ab oder kommt nicht zu den vereinbarten Terminen?
Thore Klahr: Sicher gibt es auch mal Ärger, den man mit nach Hause nimmt. Aber oftmals ist es eben so, dass das ja auch ein Teil der Problematik dieser Person ist, wenn beispielsweise Jemand vor Problemen wegzulaufen versucht – das kann man dann nicht persönlich nehmen. Ich finde, es muss dann immer auch die Möglichkeit geben, danach wieder gemeinsam einen Kaffee zu trinken und darüber zu sprechen.

Norbert Springob: Hat das Johanneshaus eigentlich nach wie vor immer geöffnet?
Thore Klahr: Unsere Notaufnahme ist tatsächlich 365 Tage im Jahr zugänglich, die Pforte hat 24 Stunden am Tag geöffnet. Wenn ein Wohnungsloser hier am Abend oder in der Nacht ankommt, wird er vom Sozialdienst erst einmal mit dem Nötigsten versorgt. Man bekommt also etwas zu essen, Bettzeug oder neue Kleider und kann hier erst einmal übernachten. Am nächstem Morgen stehen wir von der Resoabteilung ab 8 Uhr für ein Gespräch zur Verfügung und schauen dann eben gemeinsam, wie und ob man den Bedürftigen ins Hilfesystem eingliedern kann. Da braucht es dann manchmal zwei bis drei Tage, die richtige Einrichtung zu finden.

Christina Bacher: Das Angebot ist natürlich kostenfrei …
Thore Klahr: Ja und es muss umsonst sein, weil die Menschen ja keine finanziellen Mittel haben und ihre Ansprüche meistens gar nicht geklärt haben. Sicher gibt es auch immer wieder Menschen, die Schwierigkeiten haben, den Zugang zum Hilfe-System zu finden und deshalb immer wieder kommen. Die bleiben dann eben ein paar Nächte hier und ziehen dann weiter und das über Jahre. Wichtig ist aber dennoch, dass unser Angebot niederschwellig bleibt, das bedeutet, dass hier erst einmal keiner von sich erzählen muss, wenn er nicht möchte. Und vielleicht erzählt er ja dann nach drei Nächten, was ihm auf dem Herzen liegt. Das geht nur, wenn die Menschen wissen, dass sie in der Not immer zu uns kommen können, ohne eine bürokratische Hürde.

Christina Bacher: Hier werden ja nur Männer aufgenommen. Gibt es dennoch Sozialarbeiterinnen, die in der Einrichtung arbeiten?
Thore Klahr: Außer in Ausnahmesituationen – wie mal an einem sehr kalten Wintertag –nehmen wir in der Tat ausschließlich Männer auf. Selbstverständlich arbeiten bei uns aber auch Sozialarbeiterinnen, was ich für sehr wichtig halte. Nur so kann ja auch ein normaler Umgang mit Frauen gelernt werden.  Insgesamt gibt es hier 70 fest angestellte Mitarbeiter, die in den Bereichen Verwaltung, Sozialdienst oder auch Küche im Einsatz sind. Außerdem können unsere Bewohner freiwillig mithelfen, also in der Cafeteria, in der Hausmeisterei oder im Reinigungsdienst. Neben einer kleinen Aufwandsentschädigung tut eine geordnete Tagesstruktur  mit einer Aufgabe vielen einfach gut.

Der kleine Günther: Ihr macht doch auch Ausflüge, oder?
Thore Klahr: Gerade mit den jungen Männern schwingen wir uns gelegentlich mal aufs Rad, einmal sind wir bis nach Duisburg gefahren und haben dann dort übernachtet. Manchmal spielen wir Fussball oder gehen ins Kino. Alle zwei Wochen findet ein Reso-Frühstück statt, das kostet 1 Euro und ist ein wichtiger Treffpunkt für junge und alte Bewohner.

Der kleine Günther: Mich ärgert es, dass es immer noch so viele Vorurteile den Berbern gegenüber gibt. Die Leute merken sich immer nur, wenn einer von uns Mist baut. Ich wurde aber auch schon als Faulenzer oder Penner beschimpft, da habe ich gar nichts gemacht. Gibt es dieses Problem nach wie vor auch hier in der Südstadt? Das Annohaus liegt ja sehr zentral in einem Wohngebiet …
Thore Klahr: Die Menschen hier haben einfach eine diffuse Angst vor dieser fremden Lebenswelt, die sich hinter diesen Mauern verbirgt. Deshalb bemühen wir uns durch Medienarbeit und eine gewissen Öffnung nach außen,  uns auch mal zu zeigen. Wir gehen z.B. beim Südstadtzug mit oder öffnen uns für Grundschulklassen. Insofern gibt es auch da eine positive Entwicklung, es sind eben viele kleine Schritte hin zu einem Miteinander.

Christina Bacher: Dann hoffen wir mal, dass unser Interview auch ein Stück weit zur Akzeptanz beiträgt. Von unserer Seite jedenfalls Respekt vor Eurer Arbeit und alles Gute!

 

 

Thore Klar arbeitet als Fachbereichsleiter in der Reso-Abteilung des Johanneshauses (Annohaus) sowie in der Notaufnahme und Winterhilfe.

Das Gespräch führten Christina Bacher, Günter Thielen (Der kleine Günther), und Norbert Springob.
Dieser Artikel ist erstmals in der DRAUSSENSEITER-Ausgabe Oktober/2013 erschienen.

Weitere Informationen über das Strassenmagazin „Draussenseiter“ erhalten Sie hier.

 

 

Weitere Artikeln über das Johanneshaus finden Sie unter:

Retter in der Not – das Johanneshaus
Wohnungslos in der Südstadt – Endstation Johanneshaus?
„Es gibt nichts Gutes außer: man tut es!“
 

Text: Gastbeitrag

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