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Kultur

Verletzt und verloren im fremden Land

Dienstag, 8. November 2016 | Text: Alida Pisu | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Mit dem Rücken zur Wand steht die Frau im goldglänzenden Kleid. Sie, ehemalige Dolmetscherin zwischen Asylbewerbern und Beamten, findet sich in derselben Lage wieder, die sie aus den Befragungen nur zu gut kennt: Antworten auf Fragen geben zu müssen, die man nicht mit „Ja“ oder „Nein“, „Falsch“ oder „Richtig“ beantworten kann. Warum sie, eine dunkelhäutige Frau einem ebenfalls dunkelhäutigen Mann in der Metro eine Weinflasche über den Kopf geschlagen hat? Einfach nur, weil sie gerade Lust dazu hatte? Oder weil sie ihre Situation nicht mehr ausgehalten hat??? Diese Situation hat Shumona Sinha, Autorin  des Romans „Erschlagt die Armen!“  treffend beschrieben. In wütenden, aber auch bilderreichen Worten, die verstören und erschrecken. Machen sie doch drastisch klar, wie man zerbrechen kann, wenn man über dem Gehörten und Gesehenen nicht abstumpft. Daniel Kuschewski inszeniert den Roman am „Freies Werkstatt Theater“ nach einer Bühnenfassung von Daniel Kuschewski und Gerhard Seidel.

Schwarze Wände, schwarze Lautsprecher, zwei schwarz gekleidete Beamte, Lucia und Herr K.

Von der Decke hängen Kabel. Ein tristes, geradezu steriles und seelenloses Szenario, dem die namenlose Dolmetscherin ausgeliefert ist. Vor gar nicht langer Zeit selbst noch Flüchtling, wurde ihr im „Jahr der Dreiecks-Konstellation: Bittsteller – Entscheider – Dolmetscher“ eine Stelle als Dolmetscherin in der Asylbehörde angeboten. Seitdem steht sie zwischen den Beamten, die die Wahrheit herausfinden wollen und den Asylbewerbern, die Lügen auftischen, um bleiben zu dürfen. Systemimmanent, denn ihre tatsächlichen Gründe, die sie zur Migration veranlasst haben, klingen in den Ohren der Beamten zu banal und haben keinen Bestand vor den Buchstaben des Gesetzes.

 

Es wird also gelogen, dass sich die Balken biegen. Und routiniert nachgefragt, um die Lügner zu entlarven. Das ist manchmal grotesk simpel, kann doch ein angeblicher Christ nicht sagen, welche drei Personen Jesus nach der Geburt besucht haben. „Ich war sehr beschäftigt, ich habe nicht gesehen, wer Jesus besucht hat.“ Aber dann auch wieder so glaubhaft, dass die Dolmetscherin einer verschleierten Frau abnimmt, am ganzen Körper verbrannte Haut zu haben und Opfer einer Massenvergewaltigung geworden zu sein. So lange abnimmt, bis Lucia und Herr K. sich vor Lachen biegen und die Dolmetscherin aufklären: „Reingefallen. Massenvergewaltigungen sind sehr beliebt. Aber mach dir nichts draus. Dank dir bekommt sie Asyl.“

Sie macht sich aber doch was draus. Aus der überwältigenden Vielzahl der meist männlichen Flüchtlinge, die sich immer ähnlicher werden, aus ihren Geschichten, entweder Politfilmen, Tragödien oder Komödien. Auf jeden Fall aber gekaufte Storys, die Schlepper ihnen auf dem Weg ins Unbekannte eingetrichtert haben.
Und sie macht sich auch wegen ihrer Sehnsucht was daraus. Aus der Sehnsucht nach Nähe, die sie in die Arme der „Männer dieser Stadt“ treibt. Obwohl die ihr nichts bedeuten, möchte sie doch eher der sie faszinierenden, geheimnisvollen Lucia näherkommen. Ob es eine sexuelle Anziehung ist oder ob der Wunsch dahinter steht, zur privilegierten Klasse zu gehören, bleibt die Frage. Denn die Dolmetscherin gehört nirgendwo dazu. Das Heimatland hat sie verlassen, geblieben sind ihr nur die Erinnerungen an „das Land aus Lehm“, das Leid ihrer Kindheit, die Menschen dort, die Straßen, all das, was Leben ausmacht. Gewaltig, wie ein Meeresrauschen sich immer wieder über die Szenerie legt, nicht nur das Land am Meer charakterisierend, sondern auch den Ton des Geschehens unterstreichend.  

In dem Land, in dem sie nun lebt, ist sie nicht wirklich angekommen. Sie wirkt wie ein Fremdkörper, zeigt sie doch Gefühle in einem System, in dem Lucia und Herr K. einfach nur funktionieren. Glatt, kühl, unpersönlich, vom kleinen Zeh bis in die letzte Haarspitze. Menschliche Regungen sind ihnen unbekannt, sie sind ausführende Organe, verkörpern aber auch die Fremdbestimmtheit, unter der die Dolmetscherin leidet. Ihre Stimmen erzählen abwechselnd mit denen der Dolmetscherin deren Erlebnisse, selbst einen Geschlechtsakt lassen sie nicht aus. Sie wissen auch ganz genau, was in der Metro geschah. Dass einer von denen, für die sie gedolmetscht hat, sie erkannt hat: „Der Mann mit dem wutgeschwa?rzten Gesicht packt mich wieder. Ich mache mir Sorgen um den Pelz. Nicht so sehr um mich selbst. Weil ich schon weiß, dass ich ihn schlagen werde. Ich muss nur die Flasche aus der braunen Tu?te ziehen, die Tüte zu Boden fallen lassen und den Hals der Flasche umklammern.“  Dann schlägt sie zu.

Man mag es irrational, dumm, sinnlos und letztlich unmotiviert nennen, aber sie schlägt eben auch aus Angst vor dem von ihr als männlich aggressiv erlebten Fremden, aus Verzweiflung und aus einer unerfüllten Sehnsucht heraus. Es ist letztlich ihr Leid, von dem das Stück erzählt. Das Leid der Anderen, derjenigen, die Asyl suchen, wird nahezu unsichtbar und übertüncht von den als Lügen identifizierbaren Lügen.

 

Einen bedrückend schönen Theaterabend hat Daniel Kuschewski in Szene gesetzt. Nina Karimy als Dolmetscherin ist der letzte Satz vorbehalten: „Es ist Zeit, nach Hause zu gehen.“ Man würde ihr, auch Lucia (Lisa Bihl), Herrn K. (Lucas Sánchez) und den ungenannten Asylbewerbern ein Zuhause gönnen. Aber: zu Hause, wo ist das? Lucia und Herr K stehen für die, die Teil eines menschenverachtenden Systems geworden sind und die beiden Figuren nimmt man Lisa Bihl und Lucas Sánchez auch ab. Die Dolmetscherin ist eine Getriebene, weiß nicht, woher und wohin. Und die Asylbewerber bleiben, selbst wenn sie bleiben dürfen, doch auf der Strecke. Das System spuckt nur Verlierer aus. Und Verlierer sind nirgends Zuhause.

 

„Erschlagt die Armen!“ nach dem Roman von Shumona Sinha
Regie: Daniel Kuschewsk
Mit: Lisa Bihl, Nina Karimy, Lucas Sánchez
Ausstattung: Thomas Unthan
Die nächsten Termine im Freies Werkstatt Theater, Zugweg 10, 50677 Köln
18., 19. November, 17., 18., 29., 30. Dezember 2016
 

Text: Alida Pisu

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