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Kolumne

Von pädagogisch Wertvollem und Wölfen, die grau sind

Samstag, 18. Juni 2011 | Text: Kathrin Rindfleisch

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Und dann sollen es sprechende Socken sein. Bitte, warum nicht. Socken haben schließlich auch einiges zu erzählen, denk‘ ich noch bei mir, da steht Kita-mit-Mutter Eva schon vor der Tür und wir überlegen, was denn eigentlich. Wir sollen ein Sockentheaterstück aufführen.

Und dann sollen es sprechende Socken sein. Bitte, warum nicht. Socken haben schließlich auch einiges zu erzählen, denk‘ ich noch bei mir, da steht Kita-mit-Mutter Eva schon vor der Tür und wir überlegen, was denn eigentlich. Wir sollen ein Sockentheaterstück aufführen. Ein Sockentheater für unsere Kids im Kindergarten. „Spaß“ denken die Zwerge, „Lehrstück“ denken die pädagogisch 1A-Versierten. Und üben nicht nur den äußerst heiklen Synchronisierungsakt (und jeder, der schon einmal versucht seine Stimme synchron zum Öffnen und Schließen eines Sockenmundes zu bekommen, weiß an dieser Stelle, wovon ich spreche), nein, sie überlegen gleichzeitig, wie die Socken schaffen können, was uns schmachvollen Erziehungsberechtigten nur allzu oft nicht gelingen will, nämlich Vorbild sein.
 
Da denk‘ ich noch, um drei Uhr ist Theaterzeit, dann treffen wir uns eine Stunde vorab, gehen die Nummer zweimal durch und gut ist und habe dabei gar nicht an die Kindertheatererfahrene Eva gedacht, die – zumindest einmal auf dem Geburtstag ihres Sohnes – Schmachvolles erlebte und so dem Unterfangen „Sockentheater“ mit einem gewissen Maß an Respekt entgegentritt. Für zu lässiges „Ach, das wird schon!“ hat sie schon zu viele Kinder fragen hören: „Wann ist es denn endlich zuende?!“ Gelangweilte Kinder sind echt ein undankbares Wir-wollen-Euch-doch-nur-eine-Freude-machen-Publikum. Und bei der Vorstellung von Buh-rufenden, mit Playmobilmännchen werfenden Kinder, schnürt’s mir kurz den Hals zu. Meine Socke japst nur noch stumm herum, und der Blick in diesen roten Pappmund ohne Seele lässt mich kurz zweifeln.
Dann aber überkommt mich plötzlich beim Anblick dieses Knopfaugefreundchens an meiner Hand ein warmes Gefühl von Vertrautheit und Zuneigung, und in meinem Kopf sehe ich sie alle vor mir: die Hallo Spencers und Miss Piggies meiner Kindheit. Die sowas von absolut gar nicht lippensynchron vor sich her plapperten und uns Kinder damals so glücklich machten.
Also los, weiter geht`s, synchron hin oder her, unsere Socken sind einnehmend, die Geschichte für Kinder nachvollziehbar (es geht darum, wer der Bessere ist), und mit einem „Dann bist Du nicht mehr mein Freund!“ hier eingestreut und dem obligatorischen „Dann darfst Du nicht zu meinem Geburtstag kommen!“ da in den Sockenmund gelegt, wird das Ding schon ein Knaller, ganz sicher!
 
Oder ist die Geschichte doch zu komplex? Eine Socke, die immer den bösen Wolf spielen will und eine, die die Opfer, also Rotkäppchen, Schneewittchen und Dornröschen spielen soll. Eine, die bestimmt und eine, die irgendwann keine Lust mehr hat, immer das zu tun, was die andere Socke sagt (nicht, dass man das nicht auch aus dem realen Leben kennt, aber gut…). Es kommt zum Eklat und die Opfer-Socke bittet das Publikum, eine Lösung für das verfahrene Problem vorzuschlagen. Verstehen die Kids das? Ist es zu viel? Oder gar zu wenig? Und was werden sie wohl vorschlagen? Natürlich geht’s doch ums Abwechseln, das wird den Kindern schon klar sein! Oder….?
 
Mit gemischten Gefühlen, zwei Socken, einem professionell markierten Text, Tesafilm und einer Ersatzsocke (falls einer der beiden Hauptakteure schlapp macht), kommen wir schließlich mit der Mission „Spielerisch die Welt entdecken – zwei Muttis, drei Socken und haufenweise pädagogisches Potential“ in der Kita an. Der Umstand, dass nicht, wie von uns erwartet, eine Ecke im Gruppenraum für das „Kleine Lehrstück“ vorbereitet ist, sondern es stattdessen die eigens umgebaute Turnhalle nun locker mit dem roten Salon des Comedia Theaters aufnehmen kann, sortiert unsere Gefühle nicht wirklich, und als wir dann Backstage, auf Knien, die Socken an unseren Händen, darauf warten, dass nicht nur die Kinder unserer Gruppe, sondern auch gleich noch der halbe restliche Kindergarten auf den Zuschauerrängen Platz nimmt, weicht unser Wir-sind-engagierte-Eltern-Blick einem stummen Wieso-müssen-wir-eigentlich-immer-überall-mitmachen-Fragezeichen in unseren Augen. Für die Antwort ist es jetzt zu spät, die Kinder vor dem Vorhang quasseln aufgeregt und fragen, wann es denn endlich los geht. Und es geht los! Wir quatschen, bewegen die Sockenmünder auf und zu, die Kinder lachen, die Socken schreien sich an – ein Wahnsinns Erfolg! Na, wie ich immer sage: gut geplant ist halb gewonnen! Oder so ähnlich…
 
Und dann kommt der blinde Fleck in der Planung. Die Kinder. „Und Kinder, wie können die Socken sich wieder vertragen?“ (Jetzt, wo ich sie nochmal vor mir sehe, diese pädagogisch hoch sensible und gut durchdachte Frage, wird’s mir rückwirkend noch heiß und kalt.) „Ein Wolf ist nicht schwarz! Der ist graau!“ Bestürzte Was-haben-wir-nur-erwartet-Blicke Backstage, eine jaulende Meute im Zuschauerraum und während des einvernehmlich beschlossenen „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ (eine eingeforderte zweite Zugabe hatten wir nun wirklich nicht in Petto…), überkommt mich ein Gefühl der Hochachtung für Menschen, die Arbeit mit Kindern planen, und noch mehr für die, die ihren Plan blitzschnell über Bord werfen können, wenn die Kinder anders reagieren als erwartet. Und das machen sie wohl meistens. Und ich denke „Wie gut, wär ja auch sonst langweilig das Leben. Und so hoch pädagogisch…

 

Text: Kathrin Rindfleisch

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