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Gesellschaft

Weihnachten – auf links gezogen

Freitag, 7. Dezember 2012 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Eine Reportage über die neue Performance von Angie Hiesl und Roland Kaiser.
Dieses Geräusch. Es ist nicht einfach zu beschreiben, wie es klingt, wenn ein Teller aus Porzellan von einem Springerstiefel über Asphalt geschoben wird. Der Teller rattert, er kratzt und schabt, es klingt metallisch und hallt auf dem Chlodwigplatz. Unmittelbar vor der Severinstorburg erstirbt das Geräusch. Der Mann mit den Springerstiefeln hebt den rechten Fuß und zertritt den Teller. Es knackt, aber nicht so laut, wie man erwartet hat. Eher kurz und trocken.

Auf den Scherben sind noch die roten Buchstaben zu lesen, die der Mann auf den Teller geschrieben hatte: „Kanake“. Der Mann zertritt nacheinander neun Teller – darauf stehen Wörter wie „Jude“, „Nazi“, „Kommunist“, „Schwule“. Zum Abschluss hängt der Mann ein weißes Megafon aus Plastik an die Torburg. Aus dem Megafon ertönt als Endlos-Schleife das Wort „Warum?“. Der Mann stellt vor den versammelten Scherben vier rote Grablichter auf, entzündet sie und verlässt das Geschehen.

Die Performances von Angie Hiesl und Roland Kaiser heißen „Interventionen“. Für den Zeitraum von ein bis zwei Stunden bespielen die Kölner Künstler den urbanen Raum – letztes Jahr zum Beispiel mit „Dressing the city“ auf dem Ebertplatz, wo die Schauspieler sich mit ihrer Kleidung in die Stadt hineinarbeiteten und Briefkästen und Telefonzellen in Besitz nahmen.

 

Die neue Intervention heißt „Stillleben – und leise schlummert…“. Das Thema ist Gewalt. Es ist die andere, die versteckte Seite von Weihnachten. Die Gewalt hinter verschlossenen Türen: Kindesmissbrauch, Vergewaltigung – aber auch die Gewalt im öffentlichen Raum. Ausgrenzung, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus. Die Porzellan-Teller sind einer der Platzhalter, die Angie Hiesl und Roland Kaiser ausgewählt haben, um für die verschiedenen Formen von Gewalt ein Bild zu finden. Das ist eine der Stärken der Künstler: Mit ganz wenig Aufwand erzeugen sie eine kraftvolle, eindringliche Stimmung. Mitten in der Stadt öffnet sich ein assoziativer Raum mit einem ganzen Bündel von Bedeutungen, die sich den Vorbeikommenden anbieten. Martialisch, aggressiv, unverhüllt: das ja. Aber nicht platt.

 

 

Im Zentrum der Intervention steht ein Quadrat aus acht Bauzaun-Elementen, an jeder Ecke ein Scheinwerfer. Das Szenario erinnert an einen Boxring, eigentlich aber ist es eine urbane Peep-Show. Denn die Bauzäune sind mit weißer Folie verkleidet, in die viele Gucklöcher hineingeschnitten sind – auf der Höhe von Erwachsenen-Augen, denn dieser Teil der Intervention ist nicht für Kinder unter 16 Jahren gedacht). Der Innenraum ist gefüllt mit Kuscheltieren. Elefanten, Zebras, Löwen, ein Krümelmonster, eine Spinne, diverse Teddybären. Es sind Hunderte.

Das Quadrat ist ein Zuhause. Es ist der Aktionsraum für die alltägliche Gewalt. Die beiden Performer (die Frau: Fa-Hsuan Chen und der Mann: Mack Kubicki) beleben diesen Raum schweigend. Sie bewegen sich nie schnell, es wird nicht geschrien, nicht geschlagen, nicht geweint. Die Eindrücke sind trotzdem schwer zu ertragen. Die Frau taucht kopfüber in einen Berg von Stofftieren, nur noch ihre Beine in einer Netzstrumpfhose und ihre High Heels ragen heraus. Der Mann bearbeitet mit zwei Messern eine Spielzeugpuppe, die er auszieht, fesselt, streichelt – und für Fotos in Szene setzt, die er selbst macht.

 

 

Die Beobachter stehen auf der anderen Seite des Zaunes und schauen durch die Gucklöcher. „Gruselig“, sagt eine Frau. Die Menschen werden zu Mitwissern, das ist ein seltsamer Moment. Denn jeder sieht nicht nur die Szene da inmitten der Stofftiere. Jeder sieht auch, wer sonst noch zuschaut. Hinter den Gucklöchern sind Augen zu erkennen, oder das Objektiv einer Kamera, die Linse eines Fotohandys. Ich frage einen Mann, der gebannt an einem der Gucklöcher steht, was hier gerade passiert. Er schaut mich an, verzieht kurz den Mund, ohne etwas zu sagen und starrt wieder durch das Guckloch auf die Frauenbeine, die sich über dem Stofftierhaufen räkeln. Unmöglich zu sagen, was der Mann denkt.

Im Hintergrund ertönt inzwischen eine andere Endlos-Schleife: „15.000 Mädchen und Jungen werden jährlich in Deutschland missbraucht, aus allen sozialen Schichten“. Die Frauenstimme entstammt einem weiteren Megafon, das an einer der Platanen des Chlodwigplatzes lehnt. Hier hatte die Schauspielerin vorhin eine ganze Reihe von Spielzeugpuppen sorgsam an den Baum gebunden – nein: gefesselt – und vor ihnen drei Grablichter aufgestellt. Auch sie überlässt das Geschehen danach dem öffentlichen Raum – so wie der Schauspieler seine zertretenen Porzellanteller.

Denn das ist typisch für Angie Hiesl und Roland Kaiser: Ihre Interventionen finden gleichzeitig an mehreren Stellen eines Platzes statt und hinterlassen dort Spuren. Anfangs steht der Schauspieler mit einem Pappschild unter der Severinstorburg – darauf steht mit Wachsmalstift geschrieben: „Ich bin ein Kinderschänder.“ Jemand kommentiert: „Wenn einer Kinder schändet, stellt der sich doch nicht hierhin.“ Später steht der Schauspieler am Anfang der Merowingerstraße mit einem Schild: „Ich bin ein Vergewaltiger“. Eine Frau steht vor ihm und fordert ihn auf: „Sag doch was.“ Er schweigt. „Warum sagst Du denn nichts?“ Nein, erfahre ich von Angie Hiesls Mitarbeiter: Diese Frau gehört nicht zu unserem Team.

Die Performance dauert mehr als eineinhalb Stunden – bei der Kälte fällt es nicht leicht, die ganze Zeit dabeizubleiben (Kompliment an die beiden Performer, die das stoisch aushalten). Fazit: Auch diese Intervention des Duos Hiesl/Kaiser ist gelungen. Sie krempeln Weihnachten um, sie ziehen das Fest auf links, sie holen die Gewalt aus den Häusern auf die Straßen, mitten hinein in die Stadt. Nein, das ist nicht schön, was ihre Performer da tun. Es sticht, es rüttelt auf, es stört die Gewohnheiten der Menschen, die hier vorbeikommen. Auch wenn manche Reaktionen der Passanten schwer einzuordnen sind (Lachen, Kopfschütteln, Stirnrunzeln): Mit ihrer neuen Intervention zeigen Angie Hiesl und Roland Kaiser, dass man sehr wohl mit einfachen Bildern, Gesten und Worten diese schwierigen, komplexen und nur zu gern verdrängten Themen darstellen kann.

 

Weitere Termine in Köln | 16:00h | Chlodwigplatz
Samstag, 8. Dezember
Donnerstag, 13. Dezember
Freitag, 14. Dezember
Samstag, 15. Dezember
Freitag, 21. Dezember (Ersatztermin für 7. Dezember)

Dauer der Interventionen: ca. 90 Minuten
Eintritt frei!

Info-Hotline 01573 – 971 9255

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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