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Südstadt

Die tapfere Schneiderin

Montag, 1. Juni 2015 | Text: Alida Pisu | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Wer die Tür zur Änderungsschneiderei „Bei Stella“ in der Vondelstraße öffnet, hört Radiomusik, sieht Stangen voller Kleidungsstücke, mehrere Tische mit Nähmaschinen, hunderte Rollen verschiedenfarbiger Garne. Und eine zierliche Frau, die tagein, tagaus mit Schere, Nadel und Faden unzählige Röcke und Hosen kürzt oder erweitert. Oder Reißverschlüsse austauscht und Wäsche annimmt für die Reinigung.  

Der Laden hat nichts Hippes an sich, nichts Grelles, er wirkt eher wie aus der Zeit herausgefallen. Hier ist kein Internet denkbar, hier wird nicht per Klick gekauft und bezahlt. Hier geht man noch zu Fuß hin, zeigt vor, was zu ändern ist, gibt persönlich in Auftrag und holt Tage später wieder ab. So wie es vor Jahrzehnten schon war. Mag sein, dass die Nähmaschinen damals neu waren und glänzten, aber sie funktionieren auch heute noch einwandfrei. Wertarbeit eben. Und Wertarbeit verrichtet die Inhaberin, Stella Camardo, damals wie heute. Meine Südstadt hat sie in ihrem Laden besucht und sich mit ihr unterhalten.

Meine Südstadt: Stella, Sie sind ja eine waschechte Italienerin. Wann sind Sie denn nach Deutschland gekommen?
Stella Camardo: Im Mai 1966. Ich habe in Italien Schneiderin gelernt, aber es gab keine Arbeit. Mein Mann war schon hier. Hat erst im Bayerwerk gearbeitet, später in Nippes in einer Gummibärchen-Fabrik. Als ich kam, habe ich zuerst mit einer anderen Schneiderin zusammen gearbeitet und mich dann selbstständig gemacht.

Sprachen Sie damals schon Deutsch?
Nein, gar nicht. Und heute auch nicht. (lacht) Was ich so gelernt habe in dieser Zeit. 2016 bin ich fünfzig Jahre in Deutschland. Dreißig Jahre davon hier in der Vondelstraße. Früher gegenüber der Feuerwehr, jetzt ist da Comedia-Theater.
Eine junge Frau betritt den Laden, reicht Stella einen Schlüssel, dankt und geht wieder. Jetzt erst fällt es mir auf: ein ganzes Brett voller Schlüssel!

Bewahren Sie auch Schlüssel auf?
Ja, die Schlüssel sind von Nachbarn. Die Leute vertrauen mir. Ich weiß noch nicht mal, wo die Leute wohnen. Aber die Schlüssel haben hier ihren Platz, so kann man sie nicht verlieren. Sind alles junge Leute, Studenten, muss man helfen. Auch wenn Pakete kommen, ich bin ja da.

… wie eine Mutter für ihre Kinder…
So ein bisschen, ja. Auch bei den Kunden. Ich bin schon so lange da, kenne meine Kunden, für mich sind alle wie eine Familie in der Straße. Sie kommen rein und sprechen. Gehört dazu.

 


 

Haben Sie noch nie ans Aufhören gedacht?
Ich bin vierundsiebzig Jahre und kriege keine Rente, mein Mann nur eine kleine. Das ist zu wenig. Davon können wir nicht leben. Aber ist auch meine Schuld. Warum habe ich nicht in die Rentenversicherung eingezahlt? Ich habe Krankenkasse, Miete, Licht, Telefon und alles andere bezahlt. Es blieb nicht genug übrig. So habe ich eben diesen Fehler gemacht.
Jetzt muss ich arbeiten, bis wann Gott will. Ich will nicht zum Sozialamt gehen. Ich habe nie etwas bekommen, will ich auch nicht. Vierundsiebzig Jahre sind eine lange Zeit. Andere Leute gehen spazieren. Ich nicht. Bin den ganzen Tag im Laden. Solange es geht, ist es gut. Wenn es nicht mehr geht, bin ich weg. Ich habe schon viel gearbeitet, glauben Sie mir…

Ein Kunde kommt in den Laden, fragt, ob seine Jeanshose bereits gekürzt ist. Stella: „Heute noch nicht. Morgen.“

Wie viele Röcke und Hosen haben Sie in fünfzig Jahren gekürzt? Können Sie das so ungefähr schätzen?
Nein, ich weiß es nicht mehr. Zu mir kommen Frauen, Männer, ganze Familien. Das kann ich gar nicht schätzen. Viele Kunden sind Stammkunden. Und auch wenn sie woanders hin ziehen, sie kommen weiter zu mir. Sie sind auch sehr wichtig, weil sie immer da sind. Die Arbeit ist für alle weniger geworden. Früher war das Geschäft besser, seit dem Euro ist es schlecht geworden. Ich mache jetzt noch Wäscherei nebenbei, aber nur annehmen und wieder zurückgeben.

Arbeiten Sie heute immer noch ganz traditionell oder haben Sie neue Maschinen dazu bekommen?

??Alles, was hier steht, habe ich vor dreißig Jahren gekauft. Als ich aufgemacht habe.  Die Nähmaschinen machen auch Leder und Pelz, alles. Ich würde sie nie tauschen.

Was lieben Sie an Ihrer Arbeit?
Ich bin froh über meine Kunden. Meine Mutter hat mir gesagt, ich solle diesen Beruf lernen. So war ich halben Tag in der Schule, halben Tag habe ich gelernt. Ich sage immer: „Danke schön, Mama, für deinen Rat.“ Ich hatte eine sehr gute Mama.

Was gefällt Ihnen nicht?
Warum will heute keiner mehr den Beruf lernen? Man wird nie arbeitslos. Auch wenn weniger wird. Das Geld kommt immer. Aber junge Leute wollen nicht lernen. Warum nicht? Wenn ich wegsterbe, was dann? Alles Italiener, Türken oder andere, die das machen, nur die Deutschen wollen nicht. Ich bin bald die letzte Italienerin. Gibt noch eine in der Alteburger Straße und früher war auch noch eine in der Metzer Straße.

Sie haben an den Wänden Bilder hängen. Darf ich fragen, von wem?
Dort Bilder von Padre Pio (ein Kapuziner-Mönch, der 2002 heiliggesprochen wurde, die Redaktion). Er hat in dem Dorf gelebt, aus dem ich stamme: San Giovanni Rotondo in Apulien. Und das da ist mein Enkel, er ist jetzt zwanzig Jahre alt. Als ich nach Deutschland gekommen bin, um zu arbeiten, war mein Sohn drei Monate alt. Meine Mama hat ihn groß gezogen. Ich konnte ja nicht. Musste arbeiten.

Wo fühlen Sie sich denn eher zu Hause? Hier oder in Apulien?
Ich bin schon so lange hier. Da ist es nicht einfach, wieder zu gehen. Ich bin gerne hier in meinem Laden. Ist sehr schön. Ich will nicht weg. Auch nicht aus der Südstadt. Selbst wenn ich nur einen Keller hätte…. Aber wenn ich mal zumachen muss, dann muss ich gehen. Wovon soll ich denn leben? Ich muss dann mit meinem Mann nach Italien, da können wir von seiner Rente leben.

Was ist Ihnen wichtig in Ihrem Leben?
Mein Sohn. Darum bin ich gekommen. Ich habe für meinen Sohn gearbeitet. Aber war auch schlimm für mich, ohne ihn. Was sollte ich machen, war so, das Leben. (schweigt, setzt dann wieder an) Ich bin zufrieden. Seit zweiundfünfzig Jahren bin ich mit meinem Mann verheiratet. Hauptsache, wir haben unser Essen. Familie ist nicht immer nur Gold, das muss man akzeptieren. Aber Familie ist mir ganz wichtig. Ohne sie geht nicht.

Frau Stella, ein herzliches Danke an Sie.

Änderungsschneiderei Bei Stella, Vondelstraße 11, 50677 Köln

 

Text: Alida Pisu

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