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Kultur

„Entscheiden Sie sich jetzt!“ oder Raus aus der Komfortzone

Sonntag, 24. November 2013 | Text: Jasmin Klein | Bild: Barbara Siewer

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Der Abend beginnt mit einem Paukenschlag. An der Kasse steht ein Paar, das sich trennen soll, weil der Kassierer das so will. Die Frau insistiert: „Aber bitte, wir haben uns so sehr auf den gemeinsamen Abend gefreut!“ Der Kassierer bleibt hart: „Das muss mit dem Chef geklärt werden.“ Der kommt auch schon gleich um die Ecke, Gregor Weber, Initiator des „Room Service“, der dieses Wochenende zum 14. Mal stattfindet. Er erklärt den beiden: „Vom Konzept her bilden wir hier neue Gruppen, die neue Räume erfahren. Das ist das Konzept, und das mache ich so. Wenn Ihnen das nicht passt, gebe ich Ihnen Ihr Geld zurück.“?Das Paar entscheidet sich schweren Herzens zur Trennung. Jeder bekommt seine Laufkarte und geht auf die Ebene, die auf seiner Laufkarte steht.

Auf meiner Karte steht ‚Ebene 5’.

Also ab nach oben ins Dachgeschoss. Dort wartet ein junger Mann im Anzug und bittet uns (wir sind alle, auf deren Laufkarte als erster Schritt ‚Ebene 5’ steht), uns für einen der beiden möglichen Räume zu entscheiden. Ein kurzes, schrilles Klingeln ertönt, und ich betrete den Raum, in dem die Performance „Pluto on the rocks “ stattfinden soll.

Auf einem Stuhl in einem nahezu leeren, großen Raum mit Maisonette sitzt eine Frau und spielt Blockflöte, die an einen Verstärker angeschlossen ist. Die Musik klingt unheimlich. Wir, das Publikum, sind zu siebt und stehen etwas verloren in dem Raum, tragen wie Kindergartenkinder ihre Taschen unsere Laufkarten um den Hals und beobachten nun zwei Frauen, die in schwarzen Ganzkörperanzügen grimassierend synchron die Treppe von oben herunter tänzeln.
Jetzt  ziehen sie sich die elastischen, schwarzen Anzüge -wie Kinder ihre Schlafanzüge- über den Kopf und toben gesichtslos und quietschend wie Irrwische durch den Raum. Kurz bevor mich ein Hurzgefühl beschleicht, reißt der junge Mann aus dem Flur die Tür auf und ruft: „Bitte verlassen Sie jetzt den Raum und begeben Sie sich auf die nächste Ebene.“?Ein Blick auf meine Laufkarte, und ich trabe mit allen anderen durch das Treppenhaus zur nächsten Performance.

 

Ebene 6.

Die nun wieder durch die unterschiedlichen Laufkarten neu zusammen gesetzte Gruppe steht im Treppenhaus und wartet auf das kurze Klingeln. Eine Frau bittet uns, stehen zu bleiben und beginnt ein Plauderei mit der kleinen Gruppe: „Woher kommen Sie? Das erste Mal beim Room Service?“
Plötzlich ändert sich ihr Ton, und sie behauptet, die Braut von König Ludwig zu sein, vergisst Wörter und hilft sich, indem sie sich gegen den Kopf schlägt. Dabei sucht sie Blickkontakt mit uns. Ein Mann in Jack Wolfskin Jacke schaut peinlich berührt zur Seite.
Es klingelt. Wir müssen uns wieder entscheiden. Ich gehe durch die Tür, hinter der mich die Performance „beyond the Weather“ erwartet.

Ein Mann spielt Geige, dazu gibt es laute, rhythmische Klänge aus einem Lautsprecher, eine Frau schießt aus der Hintertür, wirft sich auf den Boden, tanzt vor Rotlicht. Man blickt ins Rotlicht und erkennt fast nur ihre Umrisse. Die Disharmonie der beiden Klangkulissen verringert sich. Aus dem Lautsprecher tönen nun U-Bahn-Geräusche. Die Beiden stehen kurz zusammen, sie schlingt sich um seine Beine, dann gehen sie auch schon wieder getrennte Wege.

„Bitte verlassen Sie jetzt den Raum und begeben Sie sich auf die nächste Ebene.“

„umgekippt“.

Wir sitzen in einem kleinen Atelier, in dessen Mitte ein Tisch gedeckt ist. Baroloflasche, zwei Weingläser, Teller, Besteck, Blumen; die übliche Kulisse für das bekannte Thema: Ein Mann will einer Frau (hier: seine beste Freundin) seine Liebe gestehen. Das gefällt mir. Die beiden jungen Schauspieler spielen ungekünstelt und frisch. Die Frau verlässt kurz die Bühne. Zeit für ihn, das Publikum um Rat zu bitten. „Was soll ich denn nur tun? Wie kann ich ihr sagen, was ich für sie empfinde?“ Er fragt mich.  Ich rate ihm: „Du musst sie wie unbeabsichtigt berühren. Wenn sie ausweicht, dann wird es nichts.“ ?Er beherzigt meinen Rat. Sie küssen sich. Wie schön! Im wahren Leben funktioniert das mit der Liebe und der besten Freundin ja doch eher selten.

„Sie können sich für OTAKA SAN oder ‚Blind Date’ oder für das Warten im Treppenhaus entscheiden.“
Ich gehe in den langen Flur. OTAKA SAN. Am Ende des Flurs rollt sich ein menschliches Wesen aus einem Schlafsack. Man sieht das Gesicht nicht, es ist von langen, schwarzen Haaren bedeckt. Wie in dem japanischen Horrorfilm „Ring“, der mich schlaflose Nächte gekostet hat. Im Hintergrund läuft Musik wie von Merzbow, dem japanischen Japanoise-Musiker, was die Unheimlichkeit der Situation noch verstärkt. Das Wesen trägt ein Hochzeitskleid und kriecht quälend langsam zu uns nach vorne, greift nach einer Zuschauerin. Doch wie an einer Schnur nach hinten gezogen zurrt es plötzlich wieder zurück zum Ausgangspunkt, um sich dann doch noch einmal auf den Weg zu uns zu machen. Diesmal nimmt er (es ist ein Mann, wie ich an den Unterarmen jetzt erkenne) den Stein weg, der die psychologische Grenze zwischen ihm und uns war, und kommt uns näher, als mir lieb ist. Das schrille Klingeln durchschneidet die Szene. Ich bin erleichtert und stürme zurück ins Treppenhaus.

„…oder für das Warten im Treppenhaus entscheiden.“
Unten in Ebene 1 entscheide ich mich gegen das Beatbox Radio 3.0, das uns im Treppenhaus im Vorbeigehen von anderen empfohlen wurde, und für das ‚Cucumis Infernalis’. In dem großen Saal im Erdgeschoss sitzen zwei Männer auf Sesseln. Die Videoinstallation hinter den beiden setzt das einzige Licht: dutzende Teelichte flimmern über die breite Leinwand. So stelle ich mir die Welt des Oscar Wilde vor: Gut aussehende Menschen sitzen auf Ohrensesseln und philosophieren über Leben und Tod. Und genau das geschieht nun. Der linke Beau philosophiert: „Alle Energie ist nur geborgt und muss irgendwann zurückgegeben werden.“ Was ist, wenn wir als Christ sterben, aber aus Versehen vor ein muslimisches Himmelsgericht geraten? Bestehen wir dann auch den Test? Kommen wir in den Himmel? Es folgt eine kleine Interaktion mit drei Gäste, bei der eine Spreewaldgurke die Hauptrolle spielt. Allerdings keine Bloßstellung, nichts, bei dem sich der Gast blamieren kann. Uff. Besser so.

 

Gregor Weber, Initiator des „Room Service“.

Vorletzte Station: Ebene 3
Eine Frau sitzt in einer Flucht. Sie spricht einer weiblichen Stimme nach, die aus zwei Lautsprechern kommt, die sie sich um die Beine gebunden hat. Sie korrespondiert mit ihr. Wenn die Frau aus der Rolle will und das Publikum befragt, wird sie von der Stimme ermahnt. Sie bricht die Konvention, aber das Band, das sie zur Räson ruft, bricht die Konvention ein weiteres mal. Thema: Gehirn. Das Gehirn eine Gedankendrüse? „Erst denken, dann googlen. Googlen ist meine Religion.“

Das Klingeln beendet die Performance.
Alle Gäste des Abends kommen im Erdgeschoss zusammen. Alle reden, getrennte Paare und Cliquen finden sich wieder, haben so viel zu bequatschen: „Hast Du die Beatboxer gesehen? Warst Du beim Flamenco?“ Man kann sich vorstellen, wie laut es während der Performances hätte sein können, wenn geschlossene Cliquen die Räume betreten hätten.
Die letzte Tür wird geöffnet. Keine Entscheidung mehr. Einfach reingehen. Drinnen ist es immer noch recht dunkel. Steht da nicht der junge Mann, der seiner Freundin die Liebe gestanden hat? Und da der Violinenspieler? Alle Beteiligten sind hier versammelt. Sie gehen langsam auf uns zu, jeder sucht sich einen Gast, nimmt ihn am Arm und führt in tiefer in den Saal. Eine junge Frau greift nach mir, führt mich in die Mitte des Raums und stellt mich in einer ungewohnten Konstellation zu anderen Gästen. Blicke treffen sich und scheinen zu fragen: Was machen die jetzt mit uns? Ich werde wieder weggeführt, in eine andere Ecke. Meine Hand wird auf die Hand eines anderen gelegt, die auf der Schulter einer dritten Person liegt. Wir sind miteinander verbunden, mit Schultern und Händen. Wir werden vernetzt. Es entsteht eine große, vernetzte Zelle. Ein Gehirn? Die Musik, die die Performance begleitet, wird leiser, verklingt. Keiner bewegt sich. Hundert Menschen stehen still in einem dunklen Raum und berühren sich. Keiner lacht. Wie lange werden wir so stehen? Müssen wir jetzt reagieren? Eine Stimme erlöst uns: „Das ist das Ende der Performance.“ Das Licht geht wieder an. Tosender Applaus. Die Gäste klatschen, sind begeistert.

 

Ich gehe zur Sektbar.
Dort treffe ich die drei Schauspielstudenten Emre, Ansgar und Asim von der Theaterakademie Köln. Sie sind auch restlos begeistert von Idee, Struktur, Aufbau und Umsetzung. Der Schauspieler, der mir besonders gut gefallen hat, heißt Janosch Roloff, ein Ausnahmeschauspieler und Regietalent, wie ich jetzt erfahre.

Nach jedem Performance-Abend treffen sich alle 35 Beteiligten zu einer kurzen Nachbesprechung. Im Anschluss daran treffe ich Gregor Weber. Er erzählt mir, dass der ‚Room Service’ in dem Umspannwerk in der Annostraße startete und seit 2005 im Kunsthaus Rhenania stattfindet.
Man sieht als Gast auch immer nur die Hälfte. Um die andere Hälfte zu sehen, müsste man noch einmal kommen, wofür es Rabatt gibt, was aber kaum einer macht. Man lässt es sich dann wohl eher von anderen erzählen. ?Der Grundgedanke war, etwas über Entscheidungen zu machen. Und zwar einfach, aber effektiv. Weber insistiert auch gerade an der Kasse für Entscheidung. Lässt man sich ein auf das Konzept oder nicht? Die Entscheidung im Moment soll gelernt werden, und
„wie reich ein Moment ist und wie schwach wir geworden sind. Es geht um Synapsen.“
Ihn interessiert, wie Systeme funktionieren und wie man sie bis ins Letzte beeinflussen kann.

Gerade auch Situationen wie das Unwohlsein an der Kasse, das ich bei der Trennung des Paares empfunden habe, führt dazu, dass man sich aus seiner Komfortzone löst, Neues empfindet, sich öffnet, verletzlich ist und Neues aufnimmt.
Die Trennung ist nicht zwingend nötig, aber doch genauso nötig, wie ein kleines Kind von der Mutter zu trennen, damit es sich beim Sportunterricht auf den Lehrer und nicht auf die Mutter konzentriert. Denn der Fokus soll auf dem Lehrer (hier: Performance) liegen.

‚Room Service’ will kein Wohlfühl-Abend sein. Kunst ist keine Wellness. ‚Wer Händchen halten will, soll ins Millowitsch’ (aufgeschnappt). Kunst soll auch aus der Reserve locken. Und das hat sie. Und begeistert waren dann am Ende doch alle. Vielleicht gerade deshalb.
 

Text: Jasmin Klein

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