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Auf ein Kölsch mit... Kultur

Mitten im Geschehen

Montag, 22. August 2011 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Dirk Gebhardt (Fotomontage)

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Über die Stadt als jenen sozialen Raum, in dem unterschiedlichste Menschen zusammen leben müssen und wollen, sind kulturhistorische Abhandlungen vom Umfang des Telefonbuchs einer deutschen Großstadt erschienen. Die neueste und bedeutendste von Vittorio Lampugnani (Wagenbach Verlag, Berlin) hat 960 Seiten und wiegt knapp drei Kilo. Theoretisch kann man sich dem Mikrokosmos Stadt also hervorragend annähern. Wie aber sieht es mit der Praxis aus? Wie entwickelt der Mensch ein Verhältnis zu seinem Lebensraum, das nicht in erster Linie durch seine so lebenswichtigen wie banalen täglichen Bedürfnisse bestimmt wird: Wohnen und Arbeit, Einkauf und Unterhaltung, Sport und Kultur. Es muss doch noch mehr geben: Wie aber eignet sich der Mensch seine Stadt ganz praktisch und ganz unabhängig an? Die Kölner Künstler Angie Hiesl und Roland Kaiser beschäftigen sich mit dieser Frage seit vielen Jahren. Und genau so lange geben sie darauf auch ihre eigenen Antworten – in der Sprache der Künstler und dort, wo sich diese Fragen stellen: im öffentlichen Stadtraum selbst.

„Wie die Passanten auf unsere Aktionen reagieren, ist nicht vorhersehbar. Dies ist ein reizvoller Aspekt der Arbeit im öffentlichen Raum“, sagt Angie Hiesl in ihrem Atelier im Kunsthaus Rhenania im Rheinauhafen. An den Wänden hängen Fotos ihrer Performances. Im Regal stehen auch Standardwerke zum Selbstverständnis der Stadt im 21. Jahrhundert. „Wir wollen ja bewusst auch irritieren“, beschreibt Angie Hiesl dann, was sie antreibt. „Wir werfen unsere Aktionen sozusagen in den Alltag der Menschen und wollen erreichen, dass sie wenigstens für einen Moment innehalten – für den Ort, an dem sie und wir gerade sind, manchmal aber auch gegen diesen Ort. Alltag und Kunst sollen sich dort so berühren, wie es in einer Installation in einer Galerie aus den unterschiedlichsten Gründen gar nicht möglich wäre. Mitten in der Stadt aber, wo alle Menschen gleich sind, funktioniert die Sache. Hier können die Zuschauer kommen und gehen, ganz unterschiedlich reagieren. Es gibt keine klar definierte Bühne, wie im Theater, und deshalb ist häufig auch gar nicht so klar, wer eigentlich agiert und wer nicht.“

Das allerdings kann sich in den Aktionen von Angie Hiesl und Roland Kaiser auch durchaus schnell ändern. Seit sechzehn Jahren arbeiten die beiden Performance- Künstler als Team zusammen. Von Köln aus entwerfen die beiden gemeinsam unter dem Label „Angie Hiesl Produktion“ Aktionen, die sich größtenteils im öffentlichen Raum abspielen. „Stadt-Interventionen“ nennen sie diese Performances, denn sie werden bewusst dort platziert, wo sie – zumindest von der „Laufkundschaft“ – nicht erwartet werden. Das birgt zwar ein gewisses Risiko, doch im Allgemeinen machen die beiden schon während der Proben recht positive Erfahrungen mit neugierigen Passanten. Ihre Arbeiten lassen oft eine ganze Fülle von Assoziationen und Interpretationen zu, wollen zwar grundsätzlich zum Nachdenken anregen, sind dabei aber völlig ergebnisoffen und undidaktisch geplant.

Die Veränderung einer bekannten Wahrnehmung, das Durchbrechen des Gewohnten ist der Rote Faden, der sich durch alle Arbeiten zieht und deshalb die zentrale Rolle im Werk von Angie Hiesl und Roland Kaiser einnimmt. Das sei darum so wichtig, sagt Hiesl selbst, weil nur dann, wenn etwas anders als bisher gesehen und wahrgenommen wird, auch neue Gedanken entstehen und eine Form der Selbstreflexion beginnen kann.

Beide Künstler begannen ihre Laufbahn mit Ausbildungen für Theater und Tanz. Ihre Wege kreuzten sich, als Roland Kaiser in einer Performance von Angie Hiesl als Performer auftrat, seither entwickeln die beiden ihre Projekte gemeinsam. Roland Kaiser dokumentiert sie außerdem fotografisch.

Jene Intervention zum Beispiel, die unter dem Titel „x-mal Mensch Stuhl“ 1995 in der Kölner Innenstadt uraufgeführt wurde und seitdem mit Hilfe des Goethe-Instituts in 28 weiteren Städten zu sehen war – bis hin nach Südamerika. An Häuserfassaden hängen in einer Höhe zwischen drei und sieben Metern über den Köpfen der Passanten schlichte weiße Stahlstühle. Die Menschen im Alter zwischen sechzig und weit über siebzig Jahren, die auf ihnen sitzen, scheinen das gar nicht besonders zu finden. Ganz selbstverständlich und zurückhaltend lesen sie eine Zeitung, schneiden sie ein Brot, falten sie Wäsche.

Bei einem anderen Performance-Projekt mit dem Titel „… und HAAR und HAAR und HAAR und …“ standen Haare als Ausdruck der Persönlichkeit, als Sinnbild von sexueller Potenz, Macht und Vitalität im Mittelpunkt. 2006 entwickelten Angie Hiesl und Roland Kaiser aus diesen vielschichtigen Bedeutungsebenen in Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Köln ein Performance-Projekt, das zuerst in der Halle Kalk aufgeführt wurde.

Was häufig improvisiert wirkt, ist als Thema im Vorfeld ausführlich recherchiert und dann wird in der Umsetzungsphase akribisch geprobt und oft von festen Ensembles realisiert. Sie sind Teil der Installation, erfüllen zum Teil bestimmte Aufgaben, improvisieren aber auch und reagieren auf Ort, Umfeld, Publikum. Vorher sprechen Angie Hiesl und Roland Kaiser ausführlich mit ihren Performern über den Inhalt der Aktion. Die Ensembles werden sorgfältig und zeitaufwändig ausgesucht. Und wenn sie bestimmte Eigenschaften erfüllen sollen – etwa als Zwillinge – geschieht das auch schon einmal über Agenturen oder Inserate. Die Chemie muss dabei stimmen, denn die Akteure bringen immer auch viel von ihren eigenen sehr persönlichen Ideen und ihrer Lebensgeschichte ein und sind dadurch mehr als nur Projektionsfiguren. Vertrauen ist deshalb Grundvoraussetzung.

Foto: Angie Hiesl Produktion

 

So auch beim neuen Projekt, das den Titel „Dressing the City und mein Kopf ist ein Hemd“ hat und als zweiter Teil des Zyklus „Urban-City-Urban“ wieder im öffentlichen Raum stattfindet. Premiere ist am 25. August 2011 um 17 Uhr auf und um den Ebertplatz herum. Kleidung wird dabei als „zweite Haut“ und als durchlässige Membran zwischen Körper und Raum begriffen – aber auch als Verbindung zwischen Innen- und Außenwelt, sagt Angie Hiesl: „Über die Kleidung kommuniziert man ja auch. Man gibt etwas von sich preis und liefert Signale. Und wenn das gut funktioniert, kann auch Kleidung eine sinnliche Provokation im öffentlichen Raum sein.“

Zehn Tänzer und Performer aus sieben Nationen sind neben unzähligen  Kleidungsstücken die Hauptdarsteller. Sie nehmen Teile der so genannten „Stadtmöblierung“ – Papierkörbe, Laternenmasten, Straßenschilder – mit in ihre Kleidung hinein, verweben sich mit dem Ort, verstricken sich in die Stadt. Körper, Stadt und Stoff lassen sich an diesem Ort nicht mehr klar voneinander trennen – die Wahrnehmung wird so gestört, wie Angie Hiesl und Roland Kaiser es gern mögen.

Ist jeder Ort für eine künstlerische Intervention geeignet? Sicher nicht, sagt Angie Hiesl nach nur kurzem Nachdenken: „Und nicht jeder Ort braucht eine. Ich lasse unsere Performances gern an so genannten Unorten stattfinden, die nicht unbedingt gern besucht werden. Wenn man aber genauer hinsieht, fällt doch eine Vielfältigkeit auf, die einem sonst schnell entgeht.“

 

 

DRESSING THE CITY UND MEIN KOPF IST EIN HEMD

Uraufführung Köln: 25. August 2011,  Ebertplatz und Umgebung um 17 Uhr

Weitere Interventionen in Köln:
26. August 2011, Heinrich-Böll-Platz um 16 Uhr
27. August 2011, Ebertplatz und Umgebung um 17 Uhr
1. und 2. September 2011, Heinrich-Böll-Platz um 16 Uhr
3. September 2011, Ebertplatz und Umgebung um 17 Uhr

Eintritt frei! Dauer der Interventionen: 90 bis 120 Minuten

Bei Regen können sich die Anfangszeiten verschieben oder die Aufführung wird auf einen anderen Tag verlegt. Info-Hotline 01578-894.24.38 oder www.angiehiesl.de

Ersatztermine: 8. und 10. September 2011

 

Text: Nora Koldehoff

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