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Gesellschaft

Retter in der Not – das Johanneshaus

Montag, 26. November 2012 | Text: Jasmin Klein | Bild: Barbara Siewer

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Es wird kalt. Der Winter naht. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben. Was für Rilke vor hundert Jahren in Paris galt, gilt nicht in der Südstadt. Seit 1910 gibt es hier eine Anlaufstelle für wohnungslose Männer, die nicht wissen, wo sie schlafen können: das Johanneshaus in der Annostraße. Seit 1910 eine Obdachlosenhilfe, seit 1949 getragen vom Johannesbund.

Albert Becker, seit 1982 als Diplom-Pädagoge im Hause tätig, leitet das Johanneshaus. Zusammen mit ihm sind an die 80 Mitarbeiter für das Wohl der um die 320 vom Johannesbund in Köln betreuten Bewohner zuständig, von denen 160 im Johanneshaus wohnen. Wir, die Fotografin Barbara Siewer und ich, treffen uns mit ihm und mit Thore Klahr, dem Leiter der Resozialisierungs-Abteilung (kurz „Reso“)  und der Notaufnahme, zu einem Gespräch.

Meine Südstadt: Wie sind Sie Leiter eines Obdachlosenheims geworden?
Albert Becker: Ich bin als Diplom-Pädagoge seit 1982 im Haus und kenne das Haus, die Menschen und die Mitarbeiter seit 30 Jahren. Ich habe hier zufällig nach dem Studium angefangen. Es ist aber kein Zufall, dass ich immer noch hier bin. Das Haus ist ein interessantes Arbeitsfeld, abwechslungsreich und intensiv.

 


 

Wie muss man gestrickt sein, um solch einen Beruf ausüben zu können?
Thore Klahr: Man muss ein großes Mitgefühl für die Menschen haben, die hier mit ihren unterschiedlichen Problemlagen ankommen. Man muss belastbar und in der Lage sein, viele verschiedene Situationen an einem Tag bewältigen zu können, von denen man morgens noch nicht weiß, dass sie auftauchen werden.

Was war Ihr letztes Erfolgserlebnis?
Albert Becker: Dass der Johannesbund beschlossen hat, in der Einrichtung umzubauen. Das ist sehr positiv und kommt den Menschen, die hier wohnen, zugute. Wir haben schon sehr viel renoviert und getan, um die Wohnsituation der hier lebenden Menschen zu verbessern. Allerdings gibt es noch Räumlichkeiten, die frei stehen und zu Wohngruppen umgebaut werden.

Thore Klahr: Ich freue mich, wenn jemand aus der Entgiftung kommt und trocken bleibt. Wenn jemand sich dran macht, Arbeit zu suchen. Wenn jemand stabil bleibt und lange nicht mehr im Knast war. Da sind so viele kleine Erfolgserlebnisse, die im Alltag auftauchen.
Ich glaube auch nicht, dass die Arbeit hier sinnlos ist, sonst würde man es nicht schaffen, jeden Tag hier mit diesen zum Teil auch schwierigen Menschen zusammen zu arbeiten. Aber man muss realistisch sein und die Erfolgserlebnisse auch realistisch einschätzen. Die Personen, die über lange Jahre Hilfe bedürfen, muss man auch richtig einschätzen. Da sind die Erfolgserlebnisse einfach andere. Es gibt hier Abteilungen, da ist es ein Erfolgserlebnis, den Menschen einfach gut über den Tag zu bringen, ohne dass große Schwierigkeiten auftauchen.

Wie heißt das Haus nun richtig, Annohaus oder Johanneshaus?
Albert Becker: Annohaus hieß es Anfang des 20. Jahrhunderts. Wir nennen uns Johanneshaus. Annohaus heißt heute der Bereich für depravierte Alkoholiker und Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Sie sagten im Vorgespräch, dass sich das Haus heute mehr öffnet.
Albert Becker: Früher war es so, dass die Wohnungslosen sehr abgeschottet wurden. Ein Rückzugsgebiet für Ausgestoßene. Das hat sich im Selbstbild der Einrichtung auch widergespiegelt. Man hat das Elend hinter die Tür gepackt und die Tür zugemacht.

Gibt es einen Tag der offenen Tür??

Albert Becker (Foto links): Wenn das jemand organisieren würde, gerne. Aber wir haben nicht das Personal, um solch einen Tag zu planen und durchzuführen.

Wie viele Mitarbeiter arbeiten hier?
Albert Becker: Um die 80 Mitarbeiter aus verschiedenen Berufsgruppen: Pforte, Sozialdienst, Verwaltung, Küche, Speisesaal, Hauswirtschaft, Reinigungsdienst, Haustechnik, drei Krankenschwestern und eine Ärztin vom mobilen, medizinischen Dienst des Gesundheitsamtes, die hier vormittags werktäglich eine Sprechstunde abhält.

Gibt es Grundthemen, die immer wieder auftauchen?
Thore Klahr: Ja, Suchtproblematik, psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen, Verwahrlosungstendenzen, bei den Jüngeren Mangel an sozialer Kompetenz, die wir versuchen, mit ihnen einzuüben.

Aber sind die Süchte nicht nur die Symptome, das Problem aber ein ganz anderes? Wenn jemand trinkt, trinkt er ja aus Gründen.
Thore Klahr: Natürlich hat das Hintergründe. Im Vordergrund sieht man erst nur die Suchtproblematik und muss im Verlauf des Hilfeprozesses schauen, woher das kommt, was im Leben passiert ist, wo die Brüche, die Schwierigkeiten, die Ehescheidungen oder andere Verluste waren.
Albert Becker: Im Fokus der Arbeit stehen auch nicht die psychischen Erkrankungen oder die Süchte. Viele Menschen müssen auch erst einmal lernen, trotz der ganzen Problemlagen, die sie mit sich herumschleppen, ein für sich persönlich zufrieden stellendes Leben führen zu können.

Dürfen hier im Haus Alkohol und Drogen konsumiert werden?
Thore Klahr: Im Haus darf Alkohol konsumiert werden. Wir achten aber darauf, dass keine Exzesse stattfinden. Von illegalen Drogen distanzieren wir uns und bieten Hilfe an, wenn der Betroffene bereit ist, mitzuarbeiten. Aber wenn jemand Heroin konsumiert, vermitteln wir ihn an die Drogenhilfe Köln.
Albert Becker: Wenn Sucht zum Problem wird, gibt es Schnittstellen zu anderen Hilfesystemen, Suchtberatungsstellen, Kliniken, Therapieeinrichtungen. Wir versuchen dann, den Betroffenen zu motivieren, fachlich qualifizierte Hilfe anzunehmen.

Wie viele Menschen wohnen hier fest, und wie fest wohnen die hier?
Albert Becker: Wir haben einen Dauerwohnbereich, wo Menschen leben, die auf dauernde Hilfe und Begleitung angewiesen sind und die durch den Rahmen und die Struktur etwas geschützt sind. Da leben die Männer länger, der längste seit 25 Jahren. In der Notaufnahme ist man in der Regel 3-5 Tage, in der Reso-Abteilung 6-24 Monate, im Annohaus auch längerfristig. Das ist also ganz unterschiedlich und hängt von der individuellen Problemlage ab.

Meinesüdstadt.de hat kürzlich über Obdachlosenbestattungen auf dem Südfriedhof berichtet. Sterben hier auch Menschen?
Albert Becker: Sterben steht hier nicht gerade auf der Tagesordnung, aber alle 1-2 Monate wird hier jemand tot aufgefunden. Wir informieren dann das Ordnungsamt, das Sozialamt und das Bestattungsinstitut. Auf dem Südfriedhof gibt es eine Gräberstätte für wohnungslose Menschen. Pater Ambach, unser Seelsorger und auch der ehemalige Leiter des Johanneshauses, lebt hier auf dem Gelände und führt die Bestattungen durch.

Warum sind viel mehr Männer als Frauen von Obdachlosigkeit betroffen?
Thore Klahr (Foto rechts): Ich denke, Frauen geraten nicht so schnell in die Obdachlosigkeit, weil sie sich öfter eher in Abhängigkeiten begeben und verdeckt obdachlos sind. Die haben vielleicht keine eigene Wohnung mehr, aber kommen gegen z.B. sexuelle Dienstleistungen irgendwo unter. Die Männer sind eher direkt auf der Straße, wenn sie sich nicht schnell in Abhängigkeiten begeben können. Was wir oft erleben: Viele Männer lernen eine Frau kennen, ziehen bei ihr ein, stehen nicht mit im Mietvertrag, irgendwann ist die Beziehung zu Ende, und der Mann steht wieder auf der Straße.
Albert Becker: Ich glaube, dass Frauen in dem Punkt mehr alltagspraktische Fähigkeiten mitbringen und eher in der Lage sind, in einer Wohnung zurecht zu kommen als Männer. Aber da gibt es sicher viele Gründe.

Findet hier auch Sexualität statt?

?Albert Becker: Davon gehe ich mal aus. In welcher Form auch immer.
Thore Klahr: Ich denke schon, dass hier viel passiert. Wir kriegen das meistens nicht mit, weil es von den Beteiligten unter der Decke gehalten wird, denn man will hier damit nicht in die Öffentlichkeit treten.

Glauben Sie, dass das Johanneshaus von den Südstädtern akzeptiert wird?
Albert Becker: Das Johanneshaus ist ein fester und akzeptierter Bestandteil der Südstadt. Es kommt schon mal zu Nachbarschaftskonflikten, weil z.B. die Musik zu laut ist, aber wir versuchen das dann im Sinne der Nachbarschaft zu regeln.
Thore Klahr: Wir bringen uns auch in den letzten Jahren mehr in die Öffentlichkeit und nehmen z.B. Karnevalsdienstag am Südstadtzug teil. Die Südstädter reagieren da immer sehr positiv drauf.
Albert Becker: Uns besuchen auch schon mal Schulklassen, und wir bieten auch Sozialpraktika für Schüler an.

Haben Sie den Eindruck, dass sich die Situation der Obdachlosen in den letzten 30 Jahren verbessert oder verschlimmert hat?
Albert Becker: Es ist viel passiert. Das Haus und die Menschen sind nicht mehr wie vor 30 Jahren. Damals gab es viel mehr Menschen, die von Einrichtung zu Einrichtung gependelt sind. Heute sind die Menschen eher bestrebt, an einem Ort zu leben und nicht mehr alle 3-6 Monate die Zelte abzubrechen und woanders neu anzufangen. Den typischen Landstreicher von früher gibt es heute nicht mehr. Das hängt mit der Sozialgesetzgebung und der qualifizierter gewordenen Betreuung zusammen. Früher gab es den Sozialarbeiter in dem Umfang und mit der Ausbildung in der Einrichtung hier auch gar nicht.

Gibt es hier auch immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund?
Albert Becker: Das ist jedes Jahr anders und hängt damit zusammen, dass sich die EU jedes Jahr erweitert und der Status der einzelnen Länder unterschiedlich ist. Das ist sehr kompliziert. Immer andere Menschen aus anderen Ländern kommen an, aber mit unterschiedlichen Sozialansprüchen. Wir haben auch sehr viele Menschen, die auf der Straße liegen und keine Ansprüche haben.

Wie sehen die Sozialansprüche aus?
Thore Klahr: Die Menschen bekommen Arbeitslosengeld, ALG II, Grundsicherung. In der stationären Reso –Abteilung geht das ALG II an den Landschaftsverband Rheinland, der bei uns (d.h. in der Reso-Abteilung) Kostenträger ist. Der LVR übernimmt dafür die Kosten der gesamten Maßnahme. Die Menschen erhalten 100,98€ Taschengeld im Monat. Wenn sie sich selbst verpflegen möchten, erhalten sie zusätzlich 36,40 Euro die Woche Verpflegungsgeld.
Albert Becker: Bei der ambulanten Hilfeform bekommen sie SGB II-Leistungen oder XII-Leistungen (Grundsicherung) und müssen hier Miete bezahlen. Die Regelleistung steht dem Betroffenen selber zu, er kann sich damit beispielsweise selbst verpflegen. Diese Geldansprüche (SGB II und XII) haben die Ausländer je nach Aufenthaltsstatus nicht, und auch keinen Anspruch auf eine vom Staat finanzierte Betreuung.

Haben Bewohner Kontakte zu ihrer Familie?
Thore Klahr: Es gibt soziale Kontakte zur Ex-Frau, zur Freundin, zu Kindern. Viele haben keine Kontakte zu den Kindern, weil es für sie schambehaftet ist, hier zu wohnen, und weil sie vielleicht die Vergangenheit nicht so aufarbeiten können, wie sie es gerne hätten. Es gibt einige, die soziale Kontakte nach draußen haben. Viele haben es nicht.

Wie wird Weihnachten gefeiert?
Albert Becker: Die Weihnachtsfeier führen wir seit vielen Jahren mit der „AXA von Herz zu Herz“ durch. Die Bewohner dürfen sich im Umfang von 30 Euro etwas wünschen, die Wunschzettel werden an einen Weihnachtsbaum in der AXA gehängt, die AXA-Mitarbeiter nehmen die Wunschzettel ab, besorgen die Geschenke, verpacken sie schön, und die Geschenke kommen an Heiligabend hier her.

Was wird sich da gewünscht?
Albert Becker: Tabak, CDs, Toilettenartikel, Handschuhe, Saturngutscheine, alles Mögliche. Einer hat sich mal ein Essen mit einer Frau gewünscht. Der Wunsch wurde ihm erfüllt.

Was kann man tun, wenn man hier helfen will? Kleiderspende, Ehrenamt?
Albert Becker: Man kann Kleider für die Kleiderkammer spenden: Einfach an der Pforte abgeben. Man kann auch Geld spenden. Ehrenamtliche Tätigkeiten müssen immer erst koordiniert werden. Der Ehrenamtler und der Mitarbeiter muss die Zeit haben, der Betroffene muss dafür zugänglich sein und auch Vertrauen fassen. Nur einen Tag im Monat hier etwas tun, das funktioniert nicht.
Die AXA bietet mit dem Sozialdienst Freizeitunternehmungen an. Museum, Sealife, zum Wandern ins Siebengebirge, Kino, Fußball. Aber das sind längerfristige Aktionen.

Wie hat sich mit den Jahren Ihr Menschenbild geändert??

Albert Becker: Gar nicht.
Thore Klahr: Ich habe ein positiveres Menschenbild bekommen, weil ich gesehen habe,  dass auch da, wo viel Armut und Leid ist, die Menschen doch sehr herzlich sind. Ich denke nicht, dass die Menschen alle schlecht sind, die Wohnungslosen klauen oder die Gesellschaft sie alle ausstößt. Ich denke, da passiert was. Da ist was im Gange in den letzten Jahren.

Wir bedanken uns ganz herzlich für das offene Gespräch und die Gastfreundschaft!
 

Lesen Sie auch „Wohnungslos in der Südstadt – Endstation Johanneshaus“ von Jasmin Klein.

 

Weitere Informationen über das Johanneshaus finden Sie hier und über die Arbeit mit Menschen ohne Wohnsitz hier.

 

Schon mal im Winter auf der Straße übernachtet und auf der Suche nach Essen um die Mülltonnen gezogen? Vermutlich nicht… Um einen Eindruck zu gewinnen, wie hart das ist, lohnt sich ein Blick auf www.zeit.de/2009/11/Wallraff-11

In Köln leben mehr als hundert Menschen so. Um diese Menschen zu unterstützen, wird die Redaktion von „Meine Südstadt“ am 8. Dezember 2012 eine Benefizaktion auf dem Severinskirchplatz veranstalten. In der Zeit von 11 – 18 Uhr gibt es Würstchen vom Grill, Punsch, Glühwein und antialkoholische Getränke und das Wichtigste: Der Erlös wird dem Johanneshaus, dem Haus für Menschen ohne festen Wohnsitz in der Annostraße, gestiftet.
 
Wer die Benefizaktion „Grillen für Johannes“ schon jetzt unterstützen möchte, kann gerne Geld spenden an:
Johannesbund gGmbH
Postbank Köln
BLZ 370 100 50
Konto-Nr. 105 242 501
Stichwort: Meine Südstadt – Grillen für Johannes

Eine Spendenquittung wird erstellt, sofern Name und Adresse angegeben wurde und per Post versendet.

Text: Jasmin Klein

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