Wer Stress sagt, meint Angst!
Montag, 29. Oktober 2018 | Text: Antje Kosubek | Bild: Marc Loecke
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Sagt Beata Korioth. Eigentlich war ich nur zum Interview mit der Atemtherapeutin und Yogalehrerin in der Kölner Südstadt verabredet. Stattdessen liege ich auf einer bequemen Matte auf dem Boden und erlebe das „neurogene Zittern“. An mir selbst. Noch während Beata mir die Physiologie des Psoas Muskels erklärt, fangen meine Oberschenkel an zu zittern. Im ersten Impuls versuche ich das Vibrieren meiner Muskeln zu unterdrücken. Beata wird dagegen regelrecht euphorisch: „Deine Muskeln möchten noch viel mehr zittern, du musst es einfach zulassen“ und erklärt mir, dass sich nun aktuelle oder lang zurückliegende Anspannungen lösen können. Die dreifache Mutter ist Bewusstseinstrainerin, Coach, Atemtherapeutin und lebt und arbeitet in der Kölner Südstadt.
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Die Wagenhalle – außergewöhnliches Gasthauserlebnis in historischem AmbienteSie war die erste Deutsche, die von Bryan Kest, dem Begründer des Power Yoga, in Los Angeles ausgebildet wurde. Unter anderem initiierte sie in Köln die Yoga Studios „Lord Vishnus Couch“ und die „School for Being“. Ihre These: In unserem hektischen, schnelllebigen Alltag und durch das ständige und stressbedingte Ausschütten von Adrenalin, spannen wir den Psoas Muskel oft unbewusst und überdauernd an. Die Folge: Verspannungen und Blockaden im ganzen Körper. Das ‚neurogene Zittern‘ erlaubt die Entspannung dieses Muskels und den Druck, der da ist, zu entladen. Am 30. Oktober stellt sie ihr Buch zum Thema im Alten Pfandhaus vor. Wir haben vorher mit ihr gesprochen.
Was genau passiert beim „neurogenen Zittern“?
„Durch das ständige und unbewusste Anspannen des Psoas Muskels können eine große Anzahl verschiedener schmerzhafter Symptome hervorgerufen werden, zum Beispiel Rückenschmerzen, Zähneknirschen, Atembeschwerden, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Ängste und vieles mehr. Auch die umliegenden Organe werden durch das Anspannen des Muskels beeinflusst: Organe werden eingeengt, Nerven werden unter Druck gebracht und die allgemeine Beweglichkeit, sowie die Zwerchfell-Atmung können eingeschränkt werden. Das Zittern ist die Antwort auf genau diese Überspannung. Das können wir jederzeit abrufen und den Köper damit entspannen. Der Muskel kann sich von selbst entspannen. durch das Entladen. Das ist viel intensiver als Massagen.“
Wie bist Du auf dieses Phänomen gekommen?
„Ich mache seit über 20 Jahren Atem- und Körperarbeit und konnte es nicht fassen, dass ich das bisher noch nicht kannte. Ich hörte von David Berceli, einem amerikanischen Trauma-Therapeuten, der damit schon lange arbeitet. ‚Tension and Trauma Releasing Exercises-Methoden‘ wurden von ihm entwickelt, mit dem Ziel traumatische Erfahrungen, Posttraumatische Belastungsstörungen und starke Stressbelastungen heilen zu können. Er reist in Krisen- und Kriegsgebiete und arbeitet dort mit den Menschen. Bei ihm habe ich ein Seminar belegt und lag auf einmal neben ganz vielen Therapeuten auf dem Boden und alle haben gezittert! Erst hatte ich gedacht, die tun nur so, bis ich es selbst gespürt habe. Jetzt kann ich das gut mit meiner Arbeit verbinden. Das Zittern ist die Antwort auf den Druck im System des Körpers. Der Körper findet dadurch eine Exit-Strategie für die Überspannung.“
Viele haben das schon erlebt, nach einer angespannten Situation oder Prüfung, kann man hinterher die Entlastung spüren. Sei es durch ein Erleichtern oder auch ein Zittern im Körper.
„Ich arbeite mit vielen Menschen, die enorm unter Stress oder Druck stehen und wenn dieser Druck geht, dann geht er meistens mit einem Zittern. Natürlich ist es nicht so einfach, ich mache die Übung, hebe das Becken an, zittere und alles ist erledigt. Deshalb habe ich das Buch ,Goodbye Stress‘ geschrieben, damit ganz viele Leute davon profitieren. Man kann die Übungen machen und es ganz einfach in sein Leben lassen und die Übungen machen. Als Kinder machen wir das ja auch, haben gezittert, wenn eine Spannung da war – das ist eine natürliche Reaktion.“
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Bambule’s Chilistube – Keine Angst vor SchärfeIst das neurogene Zittern auch eine Art Ventil?
„Man kann man es als Ventil verstehen. Als ich 13 Jahre alt war und gerade einen Auffahrunfall miterlebte, saß ich am Straßenrand und zitterte am ganzen Körper. Meine Mutter fragte mich, warum zitterst du, bist du verletzt? Ich verneinte und sie sagte, hör sofort auf damit! Der Mensch hat irgendwann mal angefangen, das Zittern zu unterdrücken, weil es ein vermeintliches Zeichen von Schwäche ist. Getreu dem Motto: Wir dürfen Angst nicht zeigen. Reiß dich zusammen, konzentrier dich! Es ist gesellschaftlich sozialisiert, dass man weinende Menschen beruhigt und in den Arm nimmt, um deren Zittern zu beenden. Deswegen wünsche ich mir, dass wir alle eine Veränderung hinbekommen und dieses Zittern als Weg sehen, um Angst und Anspannung zu entladen. Also, in den Arm nehmen und Zittern erlauben! Immer mit dem Wissen, dass es immer unter deiner Kontrolle ist, willkürlich autonom, instinktiv aber auch willentlich. Du kannst es unterdrücken, nur macht es nicht immer Sinn, das zu unterdrücken.“
Wie oft machst Du die Übungen am Tag? Oder empfiehlst es wo und wann zu tun?
„Ich habe das früher jeden Tag gemacht, bis ich gemerkt habe, wie eine große Spannung aus meinem Körper rausgegangen ist. Danach hatte ich mich total wohl gefühlt. Jetzt mache ich es unregelmäßig, meistens nach stressigen anstrengenden Tagen. Am Anfang macht es Sinn, das ein bis zweimal die Woche zu machen, vielleicht vor dem Schlafengehen. Dann entlade ich die Spannung in meinem Körper und erlaube ihm zu zittern. Ein paar Minuten reichen. Ich lasse das natürliche Zittern zu und bin auch mittlerweile sensibler geworden, wann mein Körper sich entladen möchte. Ich sehe das ganz positiv: Das kleine Vibrieren wieder in unser Leben lassen. Egal ob im sitzen, stehen oder liegen – einfach wie es passt und gerade ansteht.“
Im Buch kommt auch die Mediationsforscherin Britta Hölzer zu Wort und stellt die These auf: „Stress ist das Gefühl, dass die Ressourcen die ich zur Verfügung habe nicht ausreichen.“
„Ja, Stress ist subjektiv, in bestimmten Situationen haben wir Stress, während andere in denselben Situationen Ekstase erleben. Das hängt von unserer unbewussten Stresseinstellung ab. Britta Hölzel sagt, Menschen, die in der Stressschleife gefangen sind, kommen aus der negativen Bewertung einer Situation nicht heraus. In erster Linie ist also unsere Einstellung zu Stress schädlich. und nicht der Stress selbst. Wenn ich denke, die Aufgaben schaden mir, macht es Sinn, etwas zu ändern. Oft können wir die Situation da draußen nicht verändern, unsere innere Einstellung zu der Situation ist jedoch sehr leicht veränderbar. Menschen, die nicht glauben, dass Stress schädlich ist, gehen anders damit um. Es hat was mit der persönlichen Bewertung der eigenen Situation zu tun. Viele Mütter zum Beispiel haben oft das Gefühl nicht fertig zu werden, sondern tagtäglich wie im Hamsterrad endlose To Do-Listen abzuarbeiten. Der Sinn einer To-Do-Liste ist es aber, nie zu enden. Deswegen sage ich, verändere Deine Perspektive, bringe Deine Aufmerksamkeit raus aus dem To Do-Listen-Modus und rein in das Körperspüren. Atme etwas tiefer und sag ganz sachte, nö, jetzt nicht!“
In Deinem Buch „Goodbye Stress“ schreibst Du auch davon, dass das Wort Stress ein Missverständnis ist.
„Landläufig wird angenommen, dass Stress auf Dauer schädlich ist. Also böse und gesundheitsschädlich. Bei meinen Recherchen zum Buch habe ich herausgefunden, dass der Begriff ein Missverständnis ist. Hans Selye, der Begründer der Stressforschung, prägte 1936 den „Stress-Begriff“. Er emigrierte von Wien nach Kanada und sein Englisch war noch nicht gut genug zu der Zeit. Er wollte gar nicht Stress sagen, sondern hat sich schlicht vertan. In der Physik beschreibt das englische Wort „stress“ die Kraft, die auf ein Objekt wirkt. ,Strain’ hingegen steht für die daraus resultierende Verformung dieses Körpers, für seine Reaktionen auf eine Belastung – genau das, was Selye analog beim Menschen zu benennen suchte. Sein sprachliches Missverständnis hat Tür und Tor geöffnet, damit Stress alles ist. Er verbreitete zunächst weltweit die These, dass alle Belastungen Stress sind und schädlich seien. Dabei können Belastungen auch glücklich machen, wie bei Sex oder Sport. Das hat er Jahre später selbst relativiert, dennoch hat sich die Idee vom bösen Stress durchgesetzt. Wir sind alle damit groß geworden, dass Stress in erster Linie schädlich ist. Deswegen kann ich den Begriff Stress nicht so ernst nehmen, das wäre für mich eher Druck, Anspannung oder Angst. Bei vielen Menschen mit denen ich arbeite und die unter Anspannung stehen, steht Angst dahinter. Deswegen sage ich: wer Stress sagt meint Angst.“
Du hast Dich mit der aktuellen Stressforschung beschäftigt, viel recherchiert und mit mehreren Wissenschaftlern gesprochen. Im Buch gibt es zwischendurch immer wieder Tipps für den Alltag, wie zum Beispiel die eigene Lebensmelodie.
„Genau! Such Dir die Melodie die Du liebst. Das habe ich bei Holger Geschwindner, dem Trainer und Mentor des Basketballers Dirk Nowitzki, gelernt. Vor schwierigen Korbwürfen, summt Dirk Nowitzki innerlich eine bestimmte Melodie. Damit kann man für sich selbst einen Anker setzen. Spitzensportler suchen das, was der Normalverbraucher Angst oder Stress nennt. Die Herausforderung! Ein Lied kann jedem in vermeintlichen Stresssituationen behilflich sein. Und zwar ganz egal ob man singt oder tanzt, man kann seine Lebensmelodie immer wieder abrufen – innerlich und ganz für sich selbst.“
Gibt es jemals auch eine angespannte Beata?
„Na klar, auch ich kriege hin und wieder Angst. Das ist für mich dann Stress Diese Situationen kommen immer mal wieder, nur die Abstände werden immer größer. Mir geht es sehr lange sehr gut, ich bin ein zufriedener Mensch. Wenn ich in solche Druckphasen komme, schaffe ich es schnell wieder rauszukommen oder die entsprechende Distanz dazu zu bekommen. Natürlich bin ich ein ganz normaler Mensch und schreie auch mal meine Kinder an.“
Beata Korioth „Goodbye Stress!: Halte die Welt an, atme und finde zurück in deine Kraft“ erschienen im Arkana Verlag am 22. Oktober 2018
Beata Korioth und der Arkana Verlag laden zur Buchpremiere von „Goodbye Stress“ am Dienstag, 30.10.2018 um 19.30 Uhr
Moderation: Katty Salié im Alten Pfandhaus, Kartäuserwall 20, 50678 Köln
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