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Gesellschaft Kultur

„Wir würden alles tun, um die Schuldigen zu finden“

Samstag, 2. März 2013 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Der 3. März 2009 hat das Gesicht Kölns verändert: Das Stadtarchiv stürzte zusammen, zwei Menschen verloren das Leben. Vier Jahre später spricht „Meine Südstadt“ mit Archivleiterin Bettina Schmidt-Czaia.

 

 

Meine Südstadt: Frau Schmidt-Czaia, man liest immer wieder „95 Prozent der Bestände sind geborgen“. Was heißt das?
Bettina Schmidt-Czaia: Das heißt, dass es geborgen ist. Aber bergen kann man auch Tote. Hier geht es darum, in den kommenden 30 bis 40 Jahren die Bestände zu rekonstruieren, zu restaurieren, ihre Zusammengehörigkeit wiederherzustellen und die fortschreitenden Schadensbilder zu bearbeiten.

Fortschreitende Schadensbilder?
Das ist einmal das stark durchnässte Archivgut, das schockgefroren wurde und nun im nächsten Schritt vakuum-gefriergetrocknet wird. Damit darf man nicht viel länger als zwei Jahre warten, das kennen Sie von Lebensmitteln.

Gefrierbrand.
Genau. Das tiefgefrorene Material wird so behandelt, dass aus dem Eis sofort Gas wird, und zurück bleibt die Faser, ohne das Wasser. Sonst fänden Schimmel und Mikroben eine Angriffsfläche. Und dann gibt es als Schaden noch die Verstaubung, das liegt an dem stark alkalischen Baustaub. Da fühlt sich das Dokument an wie Seife, und wenn man diese Schicht nicht herunterholt, dann zersetzen sich Pergament, Leder oder Papier schneller und bekommen Risse.

Wie setzt man denn solche Bruchstücke überhaupt wieder zusammen?
Es gibt ein Projekt, das heißt DRKF – Digitale Rekonstruktion Kölner Fragmente. Das ist eine Kooperation mit einem Ableger der Fraunhofer Gesellschaft. Da geht es um die Stasi-Schnipselmaschine (ein Computerprogramm, um geschredderte Akten zu rekonstruieren). Uns beschäftigt die Frage, ob man das so weiterentwickeln kann, dass es nicht nur 40 Jahre Stasi-Geschichte, sondern 1.000 Jahre Schriftgeschichte rekonstruieren kann.

Wo liegen denn die geborgenen Bestände des Archivs heute genau?
Es gibt noch immer viele Asyl-Archive. Anfangs waren es 20, heute sind es noch 13 Standorte. Das nördlichste ist das Prinzenpalais in Schleswig, und im Süden, im Militärarchiv Freiburg, das ist eine Dépendance des Bundesarchivs.

Sind Sie zufrieden mit dem Budget für Archiv und Restaurierung?

??Die Stadt Köln hat nach dem Einsturz ein mittelständisches Unternehmen gegründet. Ohne die Hilfe Kölns wären wir pleite. Die Stadt hat eine Rückstellung von 52 Millionen Euro bereitgestellt. Insgesamt sind seit dem 3. März 202 Millionen Euro an Aufwendungen entstanden.

Wie ist Ihr Kontakt zu den Leihgebern, deren Nachlässe im Archiv lagerten?
Sehr gut inzwischen. Wir haben Gespräche vereinbart, bei denen wir uns austauschen.

Viele Leihgeber fühlten sich von der Stadt im Stich gelassen. Können Sie den Unmut verstehen?
Natürlich. Das ist ein großer Vertrauensverlust bei den Leihgebern. Unsere Position ist schwierig: Ich kann die Verzweiflung verstehen, denn bei vielen steht ein Lebenswerk dahinter. Aber wir können im Moment nicht helfen. Die Betroffenen möchten die Restauration hier in Augenschein nehmen, und sie wollen helfen. Aber das können wir nicht gewährleisten, weil die Sachen gar nicht hier sind.

Wie sieht es aus mit diesen Beständen?
Wir haben 68 Prozent zugeordnet. Darunter sind die Stücke, die eine Signatur hatten und die man daran erkennen konnte. Und hinzu kommen die Stücke, die noch nicht erschlossen waren, wo wir anhand der Handschrift sagen: Das muss ein Böll sein.

 


Haben Sie eigentlich mal einen Leihgeber in den Arm genommen und getröstet?
Ich habe sie ja hier sitzen gehabt. Und ich kann die Empörung verstehen. Was viele aber nicht verstehen, das ist unsere eigene Empörung. Unser Arbeitsleben hat sich auch vollkommen verändert. Viele unserer Kollegen sind durch den Verlust ihres Berufsumfeldes getroffen, sie sind verletzt.

Im „Selbstverständnis“ der Interessengemeinschaft der „Vor- und Nachlassgeber“ von Juli 2012 heißt es: „Die Stadt Köln hat nach dem Einsturz ihres Archivs nur selten den Eindruck vermittelt, dass sie sich ihren Vor- und Nachlassgebern und Depositaren besonders verpflichtet fühlt. Die entsprechenden Personen wurden und werden sehr unzureichend über den Stand der Bergung und Zusammenführung ihrer Bestände informiert. Angebote, bei der Zusammenführung der Archivalien unterstützend tätig zu werden, stießen wiederholt auf Ablehnung.“ An wen richten sich solche Sätze?
Die Frage ist, ob stimmt, was da steht. Wir sitzen inzwischen zusammen am Tisch, es findet ein Austausch statt, es werden Abordnungen eingeladen. Also das, was dort behauptet wird, das ist überholt.

Die Staatsanwaltschaft Köln hat jüngst mitgeteilt, dass sie jetzt Ermittlungsverfahren „gegen konkret benannte Beschuldigte“ einleitet – wegen fahrlässiger Tötung und Bauschädigung. Ist es für Sie wichtig, Klarheit zu haben?
Absolut. Das wünschen wir uns seit vier Jahren. Wir würden alles tun, um die Schuldigen zu finden. Wir hoffen auch, dass die Fristen nicht verjähren. Es gibt ja neben dem strafrechtlichen auch den zivilrechtlichen Prozess. Da geht es um einen Schaden von 1,2 Milliarden Euro. Wir begleiten diesen Schadenersatzprozess.

Ihr früherer Abteilungsleiter Eberhard Illner hat schon kurz nach dem Einsturz im Deutschlandradio Kultur erklärt, die Katastrophe sei absehbar gewesen. Er sagte etwa, es habe im Gebäude Senkungsrisse gegeben. Haben Sie heute Kontakt zu ihm?
Nein, ich habe keinen Kontakt zu Herrn Illner. Er hat unser Haus im Oktober vor dem Einsturz verlassen, und in der Zeit danach ist viel passiert im Haus. Wir haben vieles dokumentiert und um Hilfe gebeten.

Könnten Sie den Experten Illner denn nicht gerade jetzt gebrauchen, weil er das Archiv besonders gut kennt?
Nein. Inzwischen haben die Kollegen, die in den Asyl-Archiven sitzen, mehr Bestandskenntnis. Ich habe Herrn Illner auch auf Fachtagungen nicht mehr gesehen.

Sehen Sie vier Jahre nach dem Einsturz heute Grund für Optimismus?
Ja, dafür gibt es Grund genug. Der Wunsch ist ein Neubau, denn ohne kann ich die Bestände nicht zurückholen. Wir hatten vor dem Einsturz gut 30 Kilometer Archivgut, der Neubau soll eine Gesamtfläche von 50 Kilometer bekommen.

Erzählen Sie uns vom Neubau.
Entstehen soll er an der Luxemburger Straße, Ecke Eifelwall, da gibt es ein ziemlich hässliches Gewerbegrundstück, im Schatten des Justizzentrums. Den Wettbewerb hat das Darmstädter Büro Waechter+Waechter gewonnen. Das Gebäude soll in der ersten Jahreshälfte 2017 fertig sein, und dann wäre Bezug im November 2017.

 

Den Wettbewerb für den Neubau des Historischen Archivs und der Kunst- und Museumsbibliothek gewann der Entwurf des Büros Waechter + Waechter Architekten aus Darmstadt.

Sehen Sie sich eigentlich mittlerweile noch als Archivleiterin?
Um in dieser Situation zu verstehen, was nötig ist, muss man Archiv studiert haben. Ich habe aber ein ganz anderes Leben, ich vertrete heute das Haus in Gremiensitzungen, in Bausitzungen. Ich gehe nicht mehr hin und restauriere etwas. Ich mache das einmal, um zu wissen, wie es geht. Sonst mache ich eben jetzt viele andere Dinge. Betriebswirtschaft, das wäre gut gewesen (sie lacht).

Aber mal eine Woche lang wieder restaurieren? Wäre das ihr Wunsch?
Ich gehe ja eine Woche im Jahr in die Bestandserfassung, und das ist schön. Dann weiß man wieder, was man hat. Jetzt gerade bauen wir an unserem digitalen Archiv weiter, im Januar hatten wir 58.000 Klicks.

Wie hat sich Ihr Verhältnis zum Archiv durch den Einsturz verändert?
Ich bin unter ganz anderen Voraussetzungen nach Köln gekommen. Da gab es ein Archiv mit wunderschönen Beständen, aber es wurde in der Stadtgesellschaft nicht recht wahrgenommen. Mein Wunsch war es, das Archiv in dieser Stadtgesellschaft zu verankern, als Bürgerarchiv.

Was war das Vorbild?
Die Idee stammt aus der Französischen Revolution. Die Bürger stürmten damals die Archive, weil sie das Gefühl hatten, dass die Obrigkeit ihnen etwas verheimlicht. Zwei Archivgesetze wurden in den 1790er-Jahren verabschiedet, um den Zugang zu gewährleisten.

Und zum Schluss noch ein Blick nach vorn.
Wir haben am 17. März einen Tag der Offenen Tür im Restaurierungszentrum. Da geht es um Familienforschung, von 12-18 Uhr, mit einer archivpädagogischen Betreuung. Und ich möchte unbedingt auf die Freunde des Historischen Archivs hinweisen. Die Südstädter sollen bitte in Scharen in den Förderverein eintreten, damit da eine Bürgerbewegung draus wird.

Frau Schmidt-Czaia, vielen Dank für das Gespräch.

 

Kosten für die Restaurierung der Einsturzschäden/ Information: Historisches Archiv, Grafik: Meine Südstadt

 

Wenn Sie weiterforschen möchten:

Das digitale Historische Archiv Köln finden Sie hier.
Der Förderverein der „Freunde des Historischen Archivs“ ist hier beheimatet.
Informationen über den Tag der Offenen Tür im Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum in Porz gibt es hier.
…und einen Vorgeschmack auf den Tag der Offenen Tür gibt es bei einem Vortrag von Markus Klein am 12. März um 18.15 Uhr im Lesesaal des Historischen Archivs, Heumarkt 14. Das Thema: „Einführung in die Familienforschung“
und eine spannende Sendung lief jüngst im Deutschlandradio Kultur über das Archiv.

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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