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Kultur

„Wir würden Herrn Trump nie auf die Bühne stellen“

Donnerstag, 23. März 2017 | Text: Alida Pisu | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Dreißig Jahre ist kein Alter? Oh doch! Wenn es um ein Theater geht, das Unterhaltung mit politischem und gesellschaftlichem Engagement verbindet und es schafft, ohne finanzielle Unterstützung durch die Stadt zu überleben. Das „Theater am Sachsenring“ feiert heute sein dreißigjähriges Jubiläum mit einer Aufführung der düster-witzigen Science-Fiction-Komödie „Ab jetzt“ des englischen Autors Alan Ayckbourn. „Meine Südstadt“ hat mit den beiden „Machern“ gesprochen, die hinter dem Theater stehen: Joe Knipp und Hannelore Honnen.

Meine Südstadt: Wie kommt man überhaupt auf die Idee, ein Theater zu gründen?
Joe Knipp: Eigentlich bin ich immer auf irgendwelchen Bühnen rumgelaufen und habe Musik gemacht mit meinen zwei Kollegen, mit denen ich heute noch ‚Zinnober‘ mache. Wir haben auch hier gespielt. Das Theater hatte gerade eröffnet und war eine Art Tingeltangel-Bühne mit Bauchtanz und Wilfried Schmickler mit seinen Jungs als Kabarettist und ich mit meiner Band Zinnober. Der das leitete, dem wurde das sehr schnell zu viel. Er wollte das dann abgeben und der Raum hat mich sehr bezaubert. Ein Raum ist ganz wichtig für alles Weitere. Das war das erste Mal, dass ich dachte: „Ja, das mache ich.“ Ich habe mich sofort mit ihr (Hannelore Honnen) in Verbindung gesetzt, ob sie mitmacht. Dann haben wir das gegründet.

Sie arbeiten also seit dreißig Jahren zusammen. Hat jeder seinen Aufgabenbereich oder gibt es auch Dinge, die Sie gemeinsam entscheiden? Z. B. die Auswahl der Stücke?
Hannelore Honnen: Ich bin an meinen Aufgaben gewachsen. (lacht)

Joe Knipp: Was ganz wichtig ist: sie stellt mir Bühnenräume hin. Mit den Räumen muss ein Regisseur dann ja auch umgehen, und da sehe ich dann auch die Geschichte. Und ich sehe die Schauspieler in diesen Räumen, die Menschenfiguren werden sollen. Da findet das statt. Sie schreibt ja selbst auch Stücke.

Hannelore Honnen: Und ich bin auch Kunsterzieherin. Über vierzig Jahre mit Leidenschaft gewesen. Ich habe gern Kunst unterrichtet. Es ist ja auch ein Privileg, wenn man sonst kein Fach hat, und ich habe es genossen. Überhaupt der Umgang mit Werkzeugen, mit Farben, mit Materialien. Das fand ich immer schon faszinierend. Und das auf einer Bühne umsetzen zu können…

Joe Knipp: Und darüber hinaus sitzen wir natürlich oft zusammen und reden. Dass wir in der Zeit, in der wir jetzt leben, sowieso nie auf die Idee kommen würden, Herrn Trump auf die Bühne zu stellen. Es reicht ja schon, wenn er irgendwo anders steht. Sondern, dass man dadurch Stücke entdeckt, die damit damals nichts hätten zu tun haben können, heute aber etwas bergen, wie z.B. in Canettis „Die Befristeten“. Da entwirft er eine Gesellschaft, wo die Menschen dadurch, dass sie wissen, wann sie sterben müssen, so unter Druck geraten, dass man sieht: wenn die Menschen so was glauben, ohne es in Frage zu stellen, kommen sie in Bedrängnis. Das sind die tiefer liegenden Fragen, die mich interessieren. Die Zuschauer sind sehr fasziniert davon. Ich habe ursprünglich gedacht, Canetti würde schwierig, aber da habe ich mich mal geirrt, Gott sei Dank. So kommt das zustande.??

 

Für welches Theater steht das „Theater am Sachsenring?“ Sie haben ja gerade schon am Beispiel von Canetti das Politische gezeigt.
Joe Knipp: Insofern ja, politisch. Ich finde sowieso ein Missverständnis, dass zeitgenössisches Theater meint, wenn man im Hintergrund Filme ablaufen lässt aus der heutigen Zeit, von Krieg, Elend und Verderben, dass dies dann aktuell ist. Ich finde es einfach nur dumm. Bei einem Shakespeare-Drama ist ein König eben kein Nazi. Das haben die auch noch nicht begriffen. Mir ist wichtig, dass die Stücke, die wir spielen, in die Zeit gesetzt, tatsächlich etwas Politisches haben, was auch ins Herz trifft. Herz und Verstand sollen gleichermaßen getroffen werden. Theater hat für mich immer etwas zu tun mit Emotionen, dass da etwas bewegt wird. Ich glaube, in einer Welt von Täuschung und Lüge ist die Fiktion des Theaters noch die wahrhaftigste Geschichte.

Dreißig Jahre Theater: wie viele Stücke haben Sie inszeniert?
Joe Knipp: Ach, du lieber Gott, das hätte ich eigentlich zählen sollen! Siebzig oder achtzig mindestens.
Hannelore Honnen: Rechne mal pro Jahr vier bis fünf. Dann wären es hundertfünfzig.
Joe Knipp: Sagen wir eher um die hundert.

Gibt es bei all diesen Inszenierungen, auch welche, die Sie nie vergessen, weil…
Joe Knipp: Ja, 1992 haben wir z.B. eine Festival-Teilnahme gehabt. Das erlebt man auch nur einmal im Leben. Da war ein neuer Intendant in Wolgograd, der von Gorbatschow eingesetzt worden war, um das ganze Alte zu entstauben. Köln ist Partnerstadt, der Intendant hat sich auch hier umgeschaut und uns dann eingeladen. Er wollte das Festival regelmäßig machen, aber kurz danach tobte sozusagen die Mafia, und dann kam die Putin-Ära. Es war so auf einer Grenzlinie. Die Menschen waren alle ganz hoffnungsfroh, dass sie endlich das Alte los waren und etwas Neues entstehen konnte. Und da haben wir Theater gespielt, mit simultaner Übersetzung, und ich habe gemerkt, wie elektrisierend das sein kann, wenn man es wirklich aufsaugen möchte. Fällt dir noch was ein? Als wir „Das Fest“ gemacht haben?

Hannelore Honnen: Alles, was um „Das Fest“ herum war. Mit dieser Wut: wir kriegen keine Zuschüsse mehr, jetzt wird alles verpulvert. Sollen sie mal sehen, was man machen kann. Elf Leute, die Bühne wurde nach vorne erweitert. Die Sachen stehen immer noch auf der Herren-Toilette, falls wir noch mal erweitern, es wird ja nichts weg geschmissen. Ich bin da die Enkelin meiner Oma…

 

Keine Zuschüsse mehr: wie geht es dann für ein Theater weiter?
Joe Knipp: Es gibt zwei Aspekte dabei. Generell ist in der Stadt Köln immer schon zu wenig gefördert worden. Und zum Zweiten: wir haben lange Jahre Förderung bekommen, und dann änderte sich das gemäß der zeitgenössischen Richtlinien-Konzepte eines neuen Theater-Förder-Konzeptes, wo in erster Linie experimentelles und performatives Theater und sozial engagiertes Theater gefördert wird. Und da die Leute ja nicht intelligent sind und eben nicht begreifen, dass die Stücke, die wir spielen, auch politisch sind, wird das dann als altmodisch klassifiziert. So sind wir aus der Förderung rausgefallen. Ich bin damals auch als Leiter der Theater-Konferenz sehr heftig – im Sinne aller Kollegen – gegen dieses Förder-Konzept zu Felde gezogen und das hat man mir nie verziehen. Auch in der Politik war klar: da wird jetzt ein kleiner Rachefeldzug stattfinden.

Hannelore Honnen: Das haben sie auch gesagt.

Joe Knipp: Selbst der Stadt-Anzeiger hat damals geschrieben: „Ein absurder Kampf gegen das kleine Theater.“ Daraufhin mussten wir ein Jahr schließen. Dann haben Kollegen gesagt: „Wir helfen euch und machen erst mal fertige Produktionen als Anlauf.“ So ist es ein Jahr später wiedereröffnet worden. Ich habe dann noch konsequenter darauf geachtet, dass wir sowohl eine gute Mischung hinkriegen als auch das theaterbegeisterte Publikum zu ziehen. Um durch die Einnahmen überleben zu können.

Hannelore Honnen: Und wir haben auch ein Publikum aus zum Teil relativ jungen Leuten. Nicht nur, weil Schulklassen oder die junge Theatergemeinde kommen. Wenn wir mehr Werbung machen könnten, dann könnten wir noch wesentlich größere Bereiche an Leuten erreichen. Das ist alles nur sehr anstrengend und sehr schwierig.
Joe Knipp: Eine bestimmte Art von künstlerischer Tätigkeit ist darauf angewiesen, dass die Vertreter der Stadt so was stützen, damit es überhaupt existieren kann. Mit einem Grundbetrag, es muss ja gar nicht viel sein.

Was bedeutet Ihnen beiden „Ihr Theater“?
Joe Knipp: Ich habe nie gedacht, ich gehöre eigentlich woanders hin. Dieser Raum und diese Art des Theaters und diese Leute, mit denen wir arbeiten, das ist eine Art der Erfüllung. Wie ist das bei dir?

Hannelore Honnen: Ich habe Kunst noch mit allen Gewerken gelernt, ob das Stein, ob das Marmor, ob das Ton oder sonst was ist. Mein Studium war erfüllt von der Nähe der Stoffe und ich liebe es, mit Werkzeugen umzugehen. Ich habe nichts gegen eine Video-Projektion, aber meine Körpergröße, die Größe der Bühne, die Größe der Bühnen-Elemente, die ich aufbaue und abbaue, das passt. Ich arbeite gerne körperlich und mit Werkzeugen und ich setze auch Gedanken, die ich habe, die durch Literaten oder sonst was freigesetzt wurden, gerne um. Ich bin ja mit dem Theater auch älter geworden. Es wird alles zugespitzter. Ich stimme mit dem überein, was ich bin und was ich kann. Vor dreißig Jahren hätte ich mir nie gedacht, dass sich ein Bühnenbild wie für den Canetti quasi in meinem Unterbewusstsein formt und ich darüber nachdenke und plötzlich weiß: da ist das, da ist dies. Dann stelle ich es hin und es funktioniert. Dass die eigene Fähigkeit so eine pulsierende Dimension bekommt, das finde ich auch an den Inszenierungen.

 
Wenn Sie beide hellseherische Fähigkeiten hätten…
Joe Knipp: Wieso hätten?

Gut, nehmen wir an, Sie haben hellseherische Fähigkeiten. Wie sieht die Zukunft des Theaters aus?
Hannelore Honnen: Die Gegenwart ist sehr anstrengend. In jeder Hinsicht.
Joe Knipp: Das war nicht die Frage. Sollen wir es verraten? (lacht) Ganz kurzfristig in die Zukunft geblickt, wird es hier eine Inszenierung geben, wo sich der Kreis auf eine schöne Weise schließt, indem die Songs meiner Band szenisch umgesetzt werden. Und es wird auch Kurse geben, ich werde unterrichten. Wahrscheinlich in erster Linie Kinder. Das habe ich ja schon oft in Schulen gemacht.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei und gratuliere zum 30-Jährigen!
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Text: Alida Pisu

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