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Gesellschaft

Nochmal neu betrachtet: Die Täterinnen von Majdanek

Samstag, 18. Januar 2025 | Text: Judith Levold | Bild: Judith Levold

Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten

„Das war mir einfach wichtig, die Frauen, die in den KZ mitgewirkt haben, nochmal genauer zu untersuchen und mich intensiv damit zu beschäftigen, wie ganz normale Hausfrauen, Angestellte, Fabrikarbeiterinnen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft, in dieser Mordmaschinerie mitgewirkt haben“, sagt Ingrid Müller-Münch, Journalistin und Autorin aus der Südstadt und ehemalige Gerichtsreporterin für die Frankfurter Rundschau, den Stern und den WDR.

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Prozess gescheitert

Jahrelang hatte Müller-Münch, als Berufsanfängerin damals, ab 1975 die 474 Verhandlungstage des sogenannten Majdanek-Prozesses, der bis 1981 lief, verfolgt und darüber berichtet. Um Mitarbeiter*innen des 1. Konzentrationslagers im deutsch besetzten Polen vor der Stadt Lublin, dem KZ Majdanek, ging es und um ihren Beitrag dazu, dass dort Menschen vorsätzlich und aufs Grausamste gequält, erniedrigt und getötet wurden.

Aus dem Gehörten und ihren Erlebnissen bei Gericht hat Müller-Münch 1982 ein Buch gemacht und darin beschrieben, wie die juristischen Begründungen, Argumente, die Stimmung bei Gericht und die Zeug*innenbefragungen auf sie gewirkt haben. Und warum der Düsseldorfer Prozess, einer der aufsehenerregendsten in der bundesrepublikanischen Geschichte, scheiterte.

Teil einer Vernichtungsindustrie

Scheiterte insofern, als dass die Angeklagten meist mit lächerlich geringen Strafen oder gänzlich frei gesprochen daraus hervorgingen. Obwohl sie Teil eines industriellen Menschenvernichtungprojekts der Nazis waren. Hintergrund für die umfängliche Überarbeitung ihres Buches in 2024 war die erst in den 2010er Jahren geänderte Linie in der Rechtssprechung: Seit der Verurteilung des KZ-Wachmannes John Demjanjuk 2011 in München und des Auschwitz-Buchhalters Oskar Gröning im Sommer 2015 gingen Gerichte und vor allem der Bundesgerichtshof davon aus, dass das „für möglich Halten“ oder „Billigend Inkaufnehmen“ von Straftaten wie Mord, und auch jegliche Unterstützung eines solchen, als Beihilfe zu Mord zu werten ist und demnach nicht verjährt. Die juristische Praxis hatte sich fundamental geändert.

Buchtitel der überarbeiteten Ausgabe von 2024 (Cover: Dittrich Verlag)

So kommt es, dass auch heute noch inzwischen steinalte Täter*innen für ihre „Bei“-Hilfsarbeiten in Konzentrationslagern vor Gericht müssen. Also auch Menschen, die immer wieder von sich behaupten, doch nur ein kleines Rädchen im Getriebe gewesen zu sein, nur Schreibtisch-Arbeit gemacht und niemals jemanden aktiv getötet oder gequält zu haben.

Wie tickten diese Täterinnen?

Ingrid Müller-Münch versucht, diese Täterinnen zu portraitieren und nachzuzeichnen, wie sie, teilweise auch ohne glühende Nationalsozialist*innen gewesen zu sein, als Teil der Tötungsindustrie der Nazis arbeiteten. Wie sie vielleicht „tickten“ und sich noch heute selbst als gänzlich unschuldig sehen. Frauen, die von Überlebenden als grausam und menschenverachtend, ja geradezu sadistisch erinnert und beschrieben wurden und deren Erinnerungen doch, weil lückenhaft, von den damaligen Richtern als Hinweis auf eine möglicherweise doch geringere Tatbeteiligung der Angeklagten gewertet wurden.

In ihrem Buch zitiert Ingrid Müller-Münch als persönlich beim Prozess Anwesende, eine Zeugin beispielsweise so: „Man verlangt von uns, dass wir, wenn wir dabei gewesen sein wollen, alles gesehen und gehört haben müssen. Dabei waren wir vor Angst und Schrecken geradezu gelähmt, und unsere Sinne nahmen kaum etwas wahr. Man fordert von uns, die Stunde, den Tag zu nennen, aber wir besaßen im Lager keine Uhr, keinen Kalender. Wir wussten oft nicht einmal, ob es ein Sonn- oder Feiertag war. Wir sollen das Aussehen unserer Henker beschreiben. In ihren Uniformen sahen sie aber für uns alle gleich aus. Wenn wir uns dann in einem Punkt irren, werden unsere Aussagen in Bausch und Bogen abgetan.“

Wichtig für junge Menschen

Inzwischen war Müller-Münch mit ihrem überarbeiteten Buch schon in Schulen für Lesungen zu Gast und das fand „erstaunlich Anklang“, wie sie sagt. Jungen Menschen zu vermitteln, nicht nur, was in der Nazizeit und in KZ geschah, sondern auch, wie die bundesdeutsche Justiz anschließend damit umging, das findet sie nach wie vor: „Wichtig!“

Am Dienstag, den 21. Januar um 19 Uhr ist Ingrid Müller-Münch zu Gast in der Galerie Smend auf der Mainzer Straße, sie stellt ihr überarbeitetes Buch „Die Täterinnen von Majdanek – KZ-Aufseherinnen vor Gericht“ vor. Moderiert wird der Abend von der ehemaligen Chefredakteurin des WDR-Hörfunks, Helga Kirchner.

Text: Judith Levold

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