Ohne Moos keine: Sauerstoffhemisphäre Cosmoos
Mittwoch, 12. September 2018 | Text: Jeannette Fentroß | Bild: Jeannette Fentroß
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Zukunftsweisend war 1970/71 Felix Kemners Aktion in der Komödienstraße in Köln: Zusammen mit seinem damaligen Galeristen Michael Siebrasse berichtet der Künstler in einer gemeinsamen Lesung der beiden über die Luftverschmutzung in den Innenstädten und den zunehmenden Gift- und Schadstoffausstoß der Kraftfahrzeuge. Um das Bewusstsein für die Umwelt zu fördern, schuf Kemner gleich auf der Straße seine erste „Sauerstoffproduktionsanlage“: Ein Feld aus Moos auf dem Gehweg vor dem Teilstück der Römermauer in Köln. „Moos ist eine uralte Pflanze“, weiß der Künstler, und sie besitzt die Eigenschaft, Sauerstoff zu bilden und Schadstoffe aus der Luft zu filtern. Die Resonanz auf das frühe Umweltkunstprojekt war überwältigend damals.
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SchokoladenmuseumFür die Ausstellung „Sauerstoffhemisphäre Cosmoos“ wurde die Moos-Installation der Sauerstoffproduktionsanlage im Kunsthaus Rhenania neu inszeniert. Drei Wochen gastierte die Ausstellung anlässlich des 85. Geburtstages von Felix Kemner hier, Meinesuedstadt hat den Künstler auf der Finissage getroffen.
Moos als Werkstoff
„Guck mal, noch nicht gefärbt!“, sagt Kemner mit Stolz auf seine immer noch dunklen Haare, nach ein paar kurzen Sätzen zum gegenseitigen Kennenlernen. Schon bin ich mittendrin in seinem langen, bewegten Leben mit der Kunst und für den Fluxus. „Kommt wahrscheinlich daher, dass ich früher oft im Wald auf dem Kopf stand“, erklärt der Künstler schmunzelnd, „das hat mich damals inspiriert!“. Der gebürtige Bonner, Jahrgang 1933, entdeckte so den Werkstoff Moos für sich und seine Kunst.
Kölner Kunstszene der 1960er Jahre
Kemner erzählt von der Stimmung in den 1960er Jahren in Köln, den Künstlergemeinschaften und den Freundschaften, die damals entstanden und ein ganzes Leben lang anhielten. Joseph Beuys, Nam June Paik, Bazon Brock, Mary Baumeister, Christo, Charlotte Moorman, Karlheinz Stockhausen, Daniel Spoerri, Wolf Vostell, Friedensreich Hundertwasser, Stefan Wewerka – die Liste der bekannten Namen schier endlos. Alle hat Kemner gekannt, sie gingen in seinem Haus im Stadtteil Weiden ein und aus, wohnten bei ihm und entwickelten damals gemeinsame Kunstprojekte. Die Atmosphäre im Köln der 1960er Jahre und das Zusammentreffen von Künstler-Persönlichkeiten, die ihre kulturelle Gegenwart zwischen Aufbruch und kaltem Krieg, zwischen Mini-Rock und Mauerbau in allen kontroversen Facetten als lebende Kunstwerke oder Aktionen im öffentlichen Raum darstellten, ergaben einzigartige Kombinationen.
Alles im Fluss
Fließen und vergehen war das Prinzip einer neuen Kunstbewegung, die sich „Fluxus“ nannte. Fluxus vereint eine Form der Aktionskunst, die sich nach dem Dadaismus mit ähnlicher Idee gegen die elitäre, hohe Kunst wandte und neue, kollektive Lebensformen anstrebte. Fluxus lebte von der Improvisation und von Happenings – eine Idee war geboren und die Aktion gestartet, doch niemand wusste genau, was sich daraus entwickelt. Mit seinen „Klar-Film“-Installationen eröffnete Kemner beispielsweise den ersten Kölner Kunstmarkt, dem Vorläufer der heutigen Art Cologne und handelte sich kurz darauf in Koblenz eine Anzeige wegen groben Unfugs ein. Doch der Künstler blieb unbeirrt, „gute Dinge entwickeln sich aus sich selbst heraus“.
Kemners „Durchsage an die Zeit“ wurde am 7. Mai 1965 in der Wuppertaler Galerie Parnass uraufgeführt, weitere Aufführungen folgten. Mit dem analogen Telefondreiklang „kein Anschluss unter dieser Nummer“ beginnend und zum Ticken einer Standuhr, liest der Künstler seine Dichtung „an die Zeit die nicht verstreichen kann und nur vergeht um zu sein“, philosophiert über die „Zeit als absolute Geschwindigkeit“.
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in.form – Köln SüdstadtFast vergessener Visionär und Umwelt-Künstler
Doch irgendwie war es nach spektakulären Aktionen wieder stiller geworden um den Pionier der Umweltkunst. Kemner verbrachte einige Jahre in Paris und auf den Kanaren, arbeitet weiter an seinen Moos-Projekten, schrieb Gedichte, die an dadaistische Lautmalereien erinnern. Fotocollagen wie „Die Sonne ist der helle Wahnsinn“ oder „Wir gehen alle ins Meer oder weniger“ begeistern durch Wortwitz, blieben aber überwiegend Skizzenmaterial. Der große Durchbruch blieb aus, in den Retrospektiven und Berichten über die Fluxus-Bewegung sucht man seinen Namen vergeblich. Rückblickend sagt der 85jährige, „das war mir damals noch nicht so wichtig“, manche Anfragen, wie die von seinem Freund und Weggefährten Bazon Brock für die documenta 4, habe er auch einfach auf kreativen Reisen mit Künstlerfreunden vergessen.
Seine frühen künstlerischen Umweltprojekte, die Verwendung des natürlichen Werkstoffes Moos, sauerstoffproduzierende Skulpturen machten Kemner zu einem Wegbereiter eines neuen Denkens. Nicht die breite Vermarktung stand im Fokus, sondern die Inspiration und die Möglichkeit, Leben auf unserem Planeten zu erhalten und frei zu atmen zu können, waren ihm schon sehr früh wichtig.
Moos zwischen Buchdeckeln
Als Visionär setzte Felix Kemner in einer Collage von 1969 die „Sauerstoffhemisphäre Cosmoos“ – ein kleines Moos-Feld unter einer Plexiglas-Kuppel – auf den Reichstag in Berlin und war somit der Errichtung der neuen Glaskuppel 30 Jahre voraus. Im Gespräch zeigt er uns eine weitere Ausführung auf der Frankfurter Paulskirche in seiner biografischen Skizzensammlung „Cyklen“. Zu den Ausstellungsstücken im Kunsthaus Rhenania gehörte neben dem „Buch Mooses“ – besteht aus zwei Buchdeckeln, der eine gefüllt mich Moos, der andere mit einem kleinen Tonbandgerät – auch die Installation „2074“. Zwei kommunizierende Röhren sollen im Jahr 2074 erneut mit Wasser befüllt werden und das darunterliegende Moosstück befeuchten. Ob wir die Vollendung des Kunstwerkes erleben, bleibt offen. Dazu passt ein Auszug aus Felix Kemners Durchsage an die Zeit: „Gewesen zu sein bedeutet alles vor sich zu haben“. Zur Ausstellung ist die Edition „Moosgewand“ (handsigniert, Phototransfer, Auflage 50 Exemplare, Preis 220 Euro) erschienen, einige Exemplare sind noch über das Kunsthaus Rhenania erhältlich.
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