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Kultur

Pionierpflanzen am Großmarkt: Von Künstlern und Gabelstaplern.

Montag, 3. Oktober 2011 | Text: Jörg-Christian Schillmöller

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Die Schnitzeljagd lohnt sich. Orangefarbene Pfeile auf weißen Zetteln weisen den Weg über das Großmarktgelände an diesem Tag des „Offenen Ateliers“. Die wuchtige Haupthalle mit dem geschwungenen Dach liegt still im Nachmittagssonnenschein. Da vorn, wieder ein Pfeil, diesmal steht „Ateliers“ daneben. Hinter der Halle, auf der rechten Seite, liegt – ganz unscheinbar – ein altes Verwaltungsgebäude. Eine Ateliergemeinschaft, hier? Doch der letzte Wegweiser lässt keinen Zweifel: Klipp und klar prangt das Wort „KUNST“ auf dem großen Pfeil. Wir sind da. Und staunen über die freundliche Atmosphäre in dem Gebäude: Sieben Künstler haben hier im Kölner Süden ihr kreatives Zuhause gefunden: Anja, Maria, Sarah, Lieselotte, Niteen, Ingo und Andreas.

„Künstler sind ja sowas wie Pionierpflanzen“, meint Anja. Sie hat auf der Suche nach einem neuen Atelier nicht nur dieses Gebäude gefunden sondern auch die gebürtige Schweizerin Sarah kennengelernt, die gern lacht und mit einem leichten Akzent erzählt (Sarah stammt aus der französischsprachigen Schweiz): „Ich war damals total deprimiert, weil in Köln kein Atelier zu finden war. Dieser Ort hier hat uns sofort super gefallen, es ist so freundlich hier. Da haben wir das Haus zusammen gemietet.“ Anja mag die bisherigen Eigentümer gern: „Betsy und Paul-Heinz Engels kommen jedes Mal, wenn wir das offene Atelier haben. Das sind sehr herzliche Vermieter.“
 

Und sie kommen immer in Anjas Atelier, denn dort war früher das Büro des Chefs. Anja arbeitet meistens bis tief in die Nacht, da kommt ihr der besondere Rhythmus des Großmarktgeländes sehr entgegen: Hier beginnt das Leben um Mitternacht. „Mit den Gabelstaplern, die dann unten vor dem Fenster herumsausen, habe ich das Gefühl, nicht so ein liederliches Leben zu führen.“ Anja lacht: „Die arbeiten, ich auch.“ Ihre farbenfrohen Werke lehnen an den Wänden, ihr großes Thema sind Feuer und Wasser. Stellt sich der Betrachter ganz nah vor ein Bild, ist wenig zu erkennen. Ein Schritt zurück, und langsam entsteht vor dem Auge eine Form, eine Wasser-Oberfläche zum Beispiel. „Das ist das Schwierigste überhaupt, weil da Farben nebeneinanderliegen, von denen man das nicht glaubt. Das Klischee besagt: Wasser ist blau, und Feuer ist rot. Mir geht es aber um die vielen Kleinheiten, auch um Assoziationen und Gefühlstiefen. Ich mache Malerei in einem puristischen Sinne, ich gehe sehr farb-analytisch vor.“

 

Ein Zimmer weiter: Wir stehen in dem Atelier-Raum, den sich Sarah inzwischen mit Maria teilt: Früher saß hier die Sekretärin, es gibt sogar noch die Durchreiche hinüber ins Büro des Chefs. An den Wänden hängen Gemälde von Maria (die seit 10 Jahren ausschließlich mit den Farben Rot und Weiß arbeitet) und Fotos von Sarah, die in verschiedenen Medien arbeitet. Ihre Themen: Alltag, Menschen, Stoffe. Sarah hat zum Beispiel Orte fotografiert, von denen Menschen gerade fortgegangen sind. Ein Schlafzimmer, mit aufgewühltem Bett. „Ich wollte wissen: Wie fotografiert man diese Abwesenheit, diese Spannung, die noch in der Luft liegt?“ Sarah hat dann ihre Bilder (6×6, analog, Rolleiflex) bis zu 25 Minuten lang belichtet. „Dieser kleine Tick an Unschärfe, das brachte genau die Plastizität, die Dreidimensionalität, die ich gesucht habe. So rede ich von Menschen, die gar nicht da sind.“
 

Im 1. Stock, in einem ganz kleinen Atelier, arbeitet Ingo. Der Südstädter mag das Großmarktgelände besonders. „Ich kann hier machen, was ich will. Es ist ein bisschen abgelegen, aber immer noch Südstadt. Das ist schon cool, die Paletten, die Melonen und natürlich die Gabelstapler. Alles zusammen hat sowas Südländisches, das erinnert mich an meine Interrail-Urlaube.“ Ingo ist gerade in einer Übergangsphase. „Beim Malen kommt dann etwas wieder und zeigt sich wieder und wieder. Das malt sich in das Bild rein. Es ist ja nicht alles Absicht, was ich male. Und ich frage mich dann: Woran lohnt es sich weiterzuarbeiten?“ Eines seiner Themen: Gesichter – und das, was hinter ihnen steckt. Gesichter als Flächen, als Landschaften. „Meine Werke sind kein Abbild, sondern eher ein Ge-Bilde.“

Bleibt – neben dem Maler Niteen und dem Fotografen Andreas – noch Lieselotte. Sie besteht freundlich aber bestimmt darauf, uns ihr Atelier zu zeigen. Lieselotte ist in den Siebzigern und kreuzfidel. Sie hatte einst das Glück, an der Salzburger Sommerakademie von und mit Oskar Kokoschka teilzunehmen. „Kóh-Koschka heißt das“, korrigiert sie die Aussprache. „Die Böhmen sagen sogar ,Kóckoschka‘. Jedenfalls hat er uns dann mit der ganzen Akademie mit nach Wien genommen, wo eine Ausstellung zu seinem 75. Geburtstag lief.“ Die gebürtige Kölnerin Lieselotte, die am Chiemsee aufwuchs, lebt seit 1949 wieder hier und hat mehr als drei Jahrzehnte Kunst am Irmgardis-Gymnasium in Bayenthal unterrichtet. „In meinen Werken suche ich die inneren Zusammenhänge, die Energie und die Abläufe, das innere Leben des Objektes.“ Also fotografiert sie eine Blumenwiese, legt Transparent-Papier auf das Foto und zeichnet die Formen nach – aber nicht die Pflanzen selbst, sondern die Zwischenräume und die Verbindungslinien. Daraus entwickelt sie dann ihre Aquarelle. „Ich mag dieses Miteinander hier, das wir haben, ohne uns auf den Keks zu gehen“, sagt sie. „Man mag sich und verlässt sich aufeinander, es geht alles glatt. Einfach toll.“

Der Blick auf die Uhr: Mehr als zwei Stunden sind schon um. Inzwischen hat Sarah noch vor einem winzigen Publikum einige Kurzgeschichten vorgetragen. Zum Schluss kommen alle Künstler für das Foto mit nach draußen, zu dem Pfeil an der Mauer, auf dem groß das Wort „KUNST“ prangt. Jetzt sind alle beisammen, die sieben Pionierpflanzen des Großmarktes, die hier, an einem gut versteckten Ort und mitunter im Rhythmus der Gabelstapler, nach Wegen suchen, um für ihre kreativen Ideen die angemessene Form zu finden.
 

 

Mehr Informationen über die Künstler finden Sie hier: kunstundgrossmarkt.blogspot.com

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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