Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss zu Gast
Dienstag, 3. März 2020 | Text: Kendra Dana Roth | Bild: Kendra Dana Roth
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Zum zweiten Mal innerhalb eines Monats kommt der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss nach Köln, am übernächsten Samstag ist er im Rahmen der 20. litCOLOGNE im Depot des Schauspiels in Mülheim zu sehen. Bei uns im Veedel war er schon, und hat aus seinem eben erschienenen ersten Erzählband „Malinois“ gelesen. Reporterin Kendra Roth hat zugehört.
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Tanzetage Köln – Jeder Mensch ist ein TänzerDie Maternus Buchhandlung hat eingeladen ins Odeon Kino. Bärfuss hat „Malinois“ mitgebracht, einen Band mit dreizehn unterschiedlichen Geschichten. Sie entstanden über einen Zeitraum von gut zwanzig Jahren. Bevor wir mehr davon vom vielfach ausgezeichneten Schriftsteller hören, steht Lukas Bärfuss noch an der Theke im Foyer des Lichtspieltheaters und begrüßt bekannte Gesichter. Pünktlich, um kurz vor halb acht, betritt er dann aber den Saal.
Gerrit Völker von der Maternus Buchhandlung eröffnet die Veranstaltung und kommt gleich auf den Georg-Büchner-Preis zu sprechen, der dem Autor im November 2019 verliehen wurde. Bärfuss scheint fast etwas verlegen, ergreift dann aber das Mikrofon und es tönt ein lautes „Grüezi Köln!“ in den Saal. Nach einem kurzen Austausch über den Georg-Büchner-Preis kommt Gerrit Völker direkt auf den Erzählband „Malinois“ zu sprechen und wie es sich anfühlt, ihn nach so langer Text-Sammlung dann endlich auch zu veröffentlichen? Lukas Bärfuss antwortet entschlossen: „Das ist das allerehrlichste Buch von mir. Das, was am meisten von mir verrät.“ Und startet mit der ersten Erzählung „Was ist die Liebe?“.
„Eine Fürchterlichkeit natürlich“
Betont er mit seiner lauten, starken und zugleich sehr angenehmen Stimme. Es ist die kürzeste Erzählung in dem Band und deshalb folgt die zweite gleich auf dem Fuße – sie nimmt ganze dreißig Minuten in Anspruch. Es herrscht absolute Stille, das Publikum lauscht andächtig. Als Künstler versteht Bärfuss es nicht nur, zu schreiben, sondern er weiß genau, an welchen Stellen er seine Stimme wie einsetzen muss, um für Spannung zu sorgen oder dem Publikum den ein oder anderen Lacher zu entlocken.
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Lotta wünscht sich was – Köstlichkeiten aus deutschen ManufakturenAls Autor und Dramaturg unterliege er natürlich einer Faszination für Gewalt in der Literatur. Doch zugleich verabscheue er sie. Der Philosoph Platon habe einst gesagt, dass ein „perfekter Staat“ keine Dichter mehr benötige, erzählt Bärfuss im Gespräch mit Gerrit Völker. „Doch noch leben wir in keinem perfekten Staat und brauchen daher die Literatur.“ Und so beginnt er mit der dritten Erzählung „Der Keller“, die zugleich das Ende der Lesung im ODEON Kino markiert.
Gewalt, Drogen, Liebe
Lukas Bärfuss wurde am 30. Dezember 1971 in Thun (Schweiz) geboren und lebt heute in Zürich. Bärfuss ist nicht nur Schriftsteller und Theaterregisseur, sondern auch Dramatiker, Romancier und Essayist. Außerdem ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Im Laufe seiner schriftstellerischen Karriere erhielt Lukas Bärfuss eine ganze Reihe von Preisen. Nicht zuletzt den oben genannten Georg-Büchner-Preis. Neben seinem neusten Werk „Malinois (2019)“, veröffentliche er das berühmte Theaterstück „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern (2003)“, das sogar verfilmt wurde, und die Romane „Koala (2014)“, wie auch „Hagard (2017)“. Der Autor selbst sagt, dass jede der dreizehn Erzählungen aus „Malinois“ mit einem ganz bestimmten Moment verbunden sind und er aus diesem Grund manche Texte überarbeitet hat, aber viele auch einfach in ihrer natürlichen Form weiterleben ließ. Denn jede geschriebene Geschichte hat eine zweite, die essenziell für den Autor ist. Die Erzählungen handeln von Homosexualität, Gewalt, Drogen, Liebe, Lust und dem Tod. Geschrieben auf hundertdreißig Seiten – Was genau steckt dahinter?
„Jede Literatur sollte zuerst vom gelebten Leben erzählen…“ – Wie viel Leben von Ihnen steckt in Ihrem Erzählband „Malinois“?
Sehr viel. Gerade die letzte Geschichte die ich heute Abend gelesen habe (Der Keller). Diese beschreibt eine Situation, eine örtliche Situation mit der dargestellten „Pfütze“, die nie austrocknet. Dort habe ich selbst gelebt. Es wird auch beschrieben, wie jemand ausgeraubt und niedergeschlagen wird. Ich wurde zwar nicht niedergeschlagen, doch ausgeraubt. Ich war im Züricher See schwimmen und wie man das so macht, wenn man aus der Provinz kommt – man zieht sich aus und geht in Unterhosen schwimmen. Als ich wiederkam, waren meine Klamotten verschwunden. Ich fühlte mich verletzt, irgendwie ausgestellt. Und das führte eben zu einer Auseinandersetzung mit der Frage der Gewalt und der Scham. Aber die Geschichten sind natürlich auch verwoben, verwandelt und nicht immer so direkt. Doch diese Geschichte ist bestimmt ein Stück meines gelebten Lebens.
Gibt es ein Kernthema, welches sich durch alle dreizehn Geschichten zieht?
Wahrscheinlich gibt es das, aber das müssten sie nicht mich fragen. Denn ich habe da schon eine gewisse Blindheit mir selbst gegenüber und ich möchte das eigentlich auch gar nicht herausfinden.
Also darf man sich das frei beantworten?
Auf jeden Fall! So entsteht eigentlich erst die Literatur bei den Lesern.
Ab welchem Zeitpunkt wollten sie als Schriftsteller leben?
Ich bin gar nicht sicher, ob das ein Zeitpunkt war. Es war ein Prozess. Damals war ich 26 Jahre alt und arbeitete in einer Buchhandlung. Mir fehlte die Herausforderung – das Abenteuer für mein Leben. Innerlich habe ich mir gekündigt, aber trotzdem noch ein Jahr weitergearbeitet. Und dann habe ich versucht, als Schriftsteller zu leben. Das hat auch gut funktioniert und ich konnte mir eine Existenz aufbauen. Ich muss sagen – das war nicht die schlechteste Entscheidung.
Was macht sie an ihrem Beruf so glücklich?
Das Wichtigste ist, dass ich jeden Tag und jeden Moment an etwas arbeiten kann, womit ich nie zu Ende sein werde. Das ist viel größer als ich und ich werde das nie erschöpfen. Ich werde die Mittel der Literatur nie erschöpfen. Und das ist etwas ganz Wunderbares. Gleichzeitig ist es mir möglich, durch meine Literatur mit vielen Menschen auf eine ganz besondere Weise in Verbindung zu treten. Ich kann aus meinen Ängsten und meinen Freuden Geschichten machen und sie teilen. Ich könnte mir wirklich nichts Schöneres vorstellen.
„Wir halten uns ja alle für vernünftig. Und meine Werke, gerade Malinois, thematisieren genau das Gegenteil.“ – sagt Lukas Bärfuss zum Abschied.
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