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Politik

Das Fundament der Demokratie

Montag, 9. April 2012 | Text: Wassily Nemitz | Bild: Karsten Schöne

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Auf einmal hat sich die Verkehrsführung geändert, ein neuer Zebrastreifen ist entstanden oder eine Ampel schaltet plötzlich anders. Klar – natürlich eine gezielte Maßnahme zur Ausgrenzung einer Gruppe von Verkehrsteilnehmern. Das haben „die“ sich ja mal wieder schön überlegt. Es gibt sicher kaum jemanden, der noch nie in solch einem Schema gedacht hat. Doch wer verbirgt sich hinter jenen, die recht ominös gern als „die“ beschrieben werden?

Einer von „denen“ ist Bernhard Mevenkamp: der 77-Jährige ist Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bezirksvertretung Innenstadt. Er beschäftigt sich in seiner Freizeit mit all jenen Ampelanlagen, Zebrastreifen und Verkehrsführungen, die meist erst nach der Vollendung in das Bewusstsein der Bürger eindringen. Gut und gerne verbringt Mevenkamp mit seiner Arbeit als Bezirksvertreter vierzig Stunden pro Woche – ein richtiger Full-Time-Job. Doch, anders als vielfach angenommen, verdienen seine Kollegen und er damit fast keinen Cent. Lediglich eine Aufwandsentschädigung von 220,- Euro bekommen sie – bei 40 Stunden wöchentlich macht das klägliche 1,38 € pro Stunde. Durch Auslagen und Pflichtbeiträge für die eigenen Parteigremien kommt unter dem Strich oftmals ein Nullgeschäft heraus, ergänzt Jürgen Hufen von der SPD. Er ist seit sieben Jahren dabei – damals begann er seine Tätigkeit, „weil er etwas bewegen wollte“. Bei der letzten Kommunalwahl 2009 wurde Jürgen Hufen innerhalb seiner Partei als Kandidat für den Rat vorgeschlagen: „Da habe ich dankend abgelehnt“. Die Arbeit in der Bezirksvertretung mache ihm viel Spaß – und vor allem sei er „näher an den Menschen und Themen, die das Veedel bewegen.“ Auf das Geld komme es ihm nicht an – ein bisschen mehr wäre „vielleicht nicht schlecht“, allerdings gebe es für ihn wichtigere Motive, in der BV dabei zu sein.

Jürgen Hufen ist Bezirksvertreter für die SPD.

 

Das, was Jürgen Hufen Spaß macht, wäre für viele Bürger wohl von absolutem Desinteresse: Allein für die Sitzung im März füllen die Sitzungs-Unterlagen einen ganzen Aktenordner, Berge von Papier stapeln sich darüber hinaus auf den Tischen – entsprechend lange laufen die Sitzungen. „Wir haben hier schon bis 1 Uhr morgens gesessen“, erzählt ein anderer SPD-Parlamentarier. Beginn ist um 16 Uhr. Neun Stunden Sitzungsmarathon also; und am nächsten Morgen beginnt für die meisten wieder der Arbeitsalltag. Der Lohn: Quasi gleich Null. Denn: Die drei Faktoren, die gemeinhin als attraktiv für den Job eines Politikers angesehen werden, fallen weg: Macht, Geld und Bekanntheit. Wer kennt die Bezirksvertretung, wer kennt ihre Aufgaben? Und welcher Südstädter hat schon einmal etwas von den Mitgliedern der BV gehört – außer vielleicht von Bezirksbürgermeister Andreas Hupke?

Der zweite Faktor: Die Macht. Die Aussage vom SPD-Mann Jürgen Hufen spricht Bände: „Wir wären froh, wenn 10 % von dem, was wir fordern, umgesetzt würde!“. Denn oft wirkt die BV wie eine Versammlung von Bittstellern, die sich die Gnade der Verwaltung erhoffen.

Beispiel: Linie 142. In der Februar-Sitzung forderten die Bezirks-Parlamentarier einstimmig, dass der Ruheplatz der Linie auf den Ubierring verlegt und dass –bis diese Maßnahme umgesetzt wird- die Linien 132 und 133 nur noch vor „Merzenich“ und nicht mehr vor „Rewe“ halten sollen. Passiert ist nichts. Im Gegenteil: Im März erschien der Vorstandssprecher der KVB, Jürgen Fenske, in der Sitzung. Er und seine Mitarbeiter sagten wörtlich: „Wir bitten um Verständnis, dass wir die Linien 132 und 133 nicht an der Station vor dem ‚Rewe‘ herausnehmen werden“. Der Einfluss der BV lag also bei null. Sie hatte höchstens erreicht, dass sich die KVB zumindest einmal mit dem Thema beschäftigten.

Ist die Arbeit als Bezirksvertreter angesichts solcher Zustände nicht ein undankbarer Job?
Lorenz Deutsch, Bezirksvertreter für die FDP.

 

Nein, meint Lorenz Deutsch – er sitzt für die FDP im Stadtteilparlament und sagt: „Ich bin gebürtiger Kölner, doch über meine Arbeit als Bezirksvertreter habe ich die Stadt noch einmal ganz neu kennen gelernt.“ Und darüber hinaus könne man „Impulse“ geben – Entscheidungsmacht habe man als Bezirksvertretung jedoch so gut wie nicht.
Bevor Deutsch mit seiner Arbeit als Bezirksvertreter begann, saß er als „sachkundiger Einwohner“, das heißt als nicht-stimmberechtigtes Mitglied, im Kulturausschuss. Sein Einstieg in die Kommunalpolitik erfolgte also über ein Thema, das ihn interessierte. Dann sei er „auf den Geschmack gekommen“ und habe sich bei der Kommunalwahl 2009 als Kandidat für die BV aufstellen lassen.
Lorenz Deutsch‘ Partei, die FDP, dümpelt auf Bundes- und Landesebene im Augenblick auf 3%-Niveau vor sich hin – wenn es hoch kommt. Die anderen Parteien machen keinen Hehl daraus, dass sie für das Schicksal der Liberalen wenig Mitleid empfinden und äußern ihre Häme bei jeder Gelegenheit. Anders in der BV: Hier gibt es so gut wie keine persönlichen Beleidigungen, hier machen sich die Parteien nicht gegenseitig fertig. Vielmehr herrscht eine fast schon familiäre Atmosphäre, die meisten Mitglieder duzen sich, Selbstironie und Witzchen am Rande stehen auf der Tagesordnung (Hupke: Moment, Herr Fenske, bevor Sie die Frage von dem Herrn Schenk [CDU] beantworten – Sie müssen aufpassen: Der kommt aus Deutz! [Gelächter bei allen Fraktionen])
„Das ist eine wirkliche Einmaligkeit unter den Bezirksvertretungen“, erklärt Andreas Hupke, seit sieben Jahren Bezirksbürgermeister. Er wird nicht müde zu betonen, dass er bei seiner Wahl von 19 Stimmen 18 Ja-Stimmen erhalten habe. Das sei ein weiteres Indiz für die gute Zusammenarbeit in der BV und für sein Credo „Gleicher unter Gleichen zu sein, nur einen Millimeter gleicher“.

Bernhard Mevenkamp, Fraktionsvorsitzender der CDU.

 

Tatsächlich wird sachorientiert gearbeitet: Beispiel: Auf der Februar-Sitzung geht es um eine Vorlage der Verwaltung, welche die Neugestaltung der Verkehrsführung an der Dom-Ostseite vorgibt. Die Grünen sind nicht einverstanden mit der Lage einer Abbiegespur. Hupke unterbricht die Sitzung, alle Vertreter stecken die Köpfe zusammen und beraten an einer gemeinsamen Formulierung – beschlossen wird einstimmig. Der Einzige, der seinen Kopf nicht mit zwischen die anderen steckt, ist der Vertreter der selbst ernannten Bürgerbewegung „pro Köln“. Die Vereinbarung der anderen Fraktionen besagt, dass sämtliche Anträge dieses Abgeordneten abgelehnt werden. Bernhard Mevenkamp, CDU, ist aber gegen Ausgrenzung: „Bis auf ein, zwei unpassende Bemerkungen ist der auch noch nicht negativ aufgefallen“, sagt er. Zwar habe seine Fraktion mit ihm keinen Kontakt, allerdings sei er von der Bevölkerung gewählt worden – das müsse man respektieren.

Dadurch, dass die Politiker der BV alle Ehrenamtler sind, kann sich noch ein weiteres Problem ergeben: Die Verwaltung, zusammengesetzt aus bezahlten Experten, könnte Vorlagen erstellen in dem Bewusstsein, dass die Bezirksvertreter mangels Zeit und Expertise sie nicht ganz durchschauen und nach dem Motto „Wird schon stimmen“ den Vorschlag der Verwaltung abnicken. Dass dieses Szenario nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, bestätigt Lorenz Deutsch: „Das ist gängige Praxis“, meint er, „das liegt an der Asymmetrie zwischen bezahlter Verwaltung und ehrenamtlicher Bezirksvertretung“. Er nehme das aber sportlich und versuche dort, wo er es könne, einzuhaken.
Bezirksbürgermeister Hupke sieht das etwas anders: Zu Beginn seiner Amtszeit habe er zwar derartige Versuche der Verwaltung erlebt, durch gezielte Nachfragen und Kritik sei die Verwaltung inzwischen vorsichtiger geworden.

Obwohl die Bezirksvertretung ein Musterbeispiel für effektive und sachorientierte Politik zu sein scheint, ist sie unbekannt und wird kaum gewürdigt – das meint auch Bernhard Mevenkamp und packt gleichzeitig die Medienkeule aus: „Die Presse berichtet nur minimal über uns – wir werden kaum erwähnt!“.  Andreas Hupke ist da anderer Auffassung: Er meint, „dass der Erfolg der BV 1 auch damit zusammenhängt, dass wir mittlerweile von der schreibenden Zunft beachtet und fair behandelt werden.“ Tatsächlich sind auf den Sitzungen neben „Meine Südstadt“ meist nur ein Kollege des „Kölner Wochenspiegel“ und zeitweise Vertreter von „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnische Rundschau“ anwesend. Für Hupke ist es ein Unding, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender wie der WDR die Bezirksvertretung kaum beachte – das trägt seiner Meinung nach nicht zur Demokratiestärkung bei.

Wie kann das „Fundament der Demokratie“ BV mehr Wirksamkeit erhalten, wie kann es sich effizienter einbringen?

Ein Ansatz wäre es, die Kommunalpolitiker in Rat und Bezirksvertretungen hauptamtlich zu beschäftigen. Das fordert seit einiger Zeit der Politikwissenschaftler Frank Überall: „Sich in die komplizierten Vorgänge und Strukturen der Stadt einzuarbeiten, ist für einen Feierabendpolitiker eigentlich gar nicht mehr zu leisten“, sagte Überall der „Westdeutschen Zeitung“. Seine Forderung am Beispiel Düsseldorf: Die Anzahl der Ratsmitglieder halbieren und die restlichen professionell beschäftigen.
Bei den Bezirksvertretern stoßen Forderungen nach einer Professionalisierung auf Skepsis: Bernhard Mevenkamp (CDU) meint: „Das kann eine Kommune nicht leisten, außerdem würden wir zu abhängig.“ Auch Jürgen Hufen sieht das so: „Auch wenn ich häufig ganze Wochenenden da sitze und arbeite, denke ich, man sollte es ehrenamtlich lassen.“ Anders sehe es jedoch beim Rat aus. Lorenz Deutsch meint, man solle zumindest beim Bezirksbürgermeister „darüber nachdenken“, da er noch weitaus mehr Aufgaben habe. Dann würde es die Attraktivität der Bezirkspolitik seiner Meinung nach auch steigern, wenn der Bezirksbürgermeister direkt von den Wahlberechtigten gewählt würde.

 

 

Der Bezirksbürgermeister selbst hält es für unfassbar, dass „eine Stadt, die einen Haushalt hat der so groß ist wie der des Saarlandes und doppelt so viele Einwohner hat wie das Bundesland Bremen“, fast vollständig ehrenamtlich regiert werden muss.
Er als Bezirksbürgermeister vertrete einen Bereich, der 25.000 Einwohner mehr habe als Koblenz oder Trier – und bekäme dafür eine Aufwandsentschädigung von 750,- €, von denen er die Hälfte an die Partei abführen müsse. Dem gegenüber stehe ein hauptamtlicher Bürgermeister in Kall, der nur 15.000 Einwohner vertrete, aber sehr ordentlich bezahlt werde. Daher mache er sich Sorgen um die Demokratie – viele, eigentlich geeignete Bürger scheuten sich, in der BV oder dem Rat mitzuarbeiten; schlichtweg wegen der schlechten Konditionen. Seine Forderung ist es also, den Rat zu professionalisieren, die Bezirksvertretungen zumindest zu „semi-professionalisieren“ und die Bezirksbürgermeister hauptamtlich – analog der Bürgermeister auf dem Land – zu beschäftigen. „Das hat aber nichts mit mir als Hupke zu tun“, vielmehr ginge es ihm um die Sache.

Mit Hupke hat es sehr wohl etwas zu tun, wenn wieder eine Verkehrsführung geändert, eine Ampel umgeschaltet oder ein neuer Zebrastreifen eingerichtet wurde. Die Bezirksvertretung hat es verdient, mit mehr als nur irgendwelchen ominösen Gestalten namens „die da“ verbunden zu werden – sie kann Vorbild sein für sachorientierte und konstruktive Politik, wie man sie auf anderen Ebenen viel zu oft vermisst.

 

Text: Wassily Nemitz

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