Ein Jahr lang lange Tafel
Dienstag, 17. Juli 2018 | Text: Jeannette Fentroß | Bild: Jeannette Fentroß
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Für sechs Monate sollte er stehen bleiben, der lange Tisch am Sachsenring, um mehr Aufmerksamkeit auf den „ungehobenen grünen Schatz“ zwischen Kartäuserwall, Straßenbahntrasse, Ulrepforte und Waisenhausgasse lenken. Gestern, fast genau ein Jahr nach der feierlichen Eröffnung, trafen sich Martin Stankowski (Publizist und Geschichtenerzähler) und Boris Sieverts (Künstler, Architekt und Reiseführer) zum Stadtspaziergang an der Grünfläche am Sachsenring. Wir haben die beiden auf ihrem Rundgang um die meistunterschätzte Grünanlage Kölns begleitet. Ein heißer Sommertag in Köln, das Finale der Weltmeisterschaft in Russland steht bevor – bei 30 Grad treffen sich rund 60 Interessierte, Verantwortliche der Stadt und Anwohner am Sachsenring zu einem beinahe dreistündigen Gang durch die Kölner Architektur- und Stadtgeschichte.
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COMEDIA Theater – ein Haus für AlleNach dem einführenden Pressetermin am langen Tisch finden wir Boris Sieverts und Martin Stankowski im Graben der Stadtmauer am Sachsenring. Die Befestigungsanlage war einst die längste Stadtmauer nördlich der Alpen, hier stehen wir vor einem der letzten beiden erhaltenen Teilstücke der Stadtmauer Kölns. Nachdem Sieverts die historischen Zusammenhänge des Standorts erläutert, wundert sich Stankowski über das nicht öffentlich gefeierte Jubiläum der Schlacht an der Ulrepforte von 1268, „Köln ist doch sonst so feierwütig“. Vor 750 Jahren wurde die als uneinnehmbar geltende Mauer erstmals im blutigem Kampf überwunden. Ein Relief in der
Mauer erinnert an das historische Ereignis und ist vermutlich der Grund für den Erhalt der Stadtbefestigung an genau dieser Stelle. Spaziergang gespickt mit vielen Ansätzen für die neuste Stadtentwicklung Mit fast fanatischer Begeisterung für die Kölner Architekturgeschichte nimmt Sieverts die Gruppe mit.
Weiter geht es zum Berufskolleg Ulrepforte, der durch seine großflächige Anlage beeindruckt. „Schulen sind eine tragende Säule der Gesellschaft“, zitiert Sieverts aus Rudolf Schwarz Wiederaufbauplan für die Stadt Köln. Es gilt Mittelpunkte zu entwickeln – Orte, an denen man sich gerne aufhält. Hinter dem Schulgrundstück befindet sich das Nonnenkloster und Karmel St. Maria vom Frieden, mit der einzigen Hostienbäckerei der Stadt. Gegensätze prägen hier das Straßenbild. Durch die Straßen ‚Vor den Siebenburgen‘, benannt nach den sieben großen Gutshöfen, die einst am Stadtrand lagen, die Schnurgasse – mit Bunker und Hinterhof-Spielplatz – und die Ankerstraße kommen wir zur Mariengrotte im Hof des Kolping Bildungswerks. Ein unbekannter Ort der Andacht, versteckt und unerwartet. Das Gelände gehört zum ehemaligen Franziskanerkloster.
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Die Wagenhalle – außergewöhnliches Gasthauserlebnis in historischem AmbienteDer Ausbau der Straßenachse Nord-Süd-Fahrt an der Ulrichgasse forderte einen Teil des Klosterkirchenbaus ein. Mit seinem schier unerschöpflichen Gedächtnis über die Geschichte und Geschichten der Stadt bereichert Stankowski die Tour immer aufs Neue und betont im Kircheninneren die einzigartige Schrägstellung des Altars. Über das Martinsfeld laufen wir durch die Waisenhausgasse zum Pantaleonsberg. Im Hof von St. Pantaleon finden wir eine weitere Oase der Stille inmitten des turbulenten Innenstadtverkehrs. Stankowski kritisiert die Vergabe der Ausgestaltung der linken Seitenapsis an dritt- bis fünftklassige Künstler, „man stelle sich einmal vor, beispielsweise Joseph Beuys hätte einen solchen Auftrag erhalten, aus heutiger Sicht hätte dieses Bekenntnis die Bedeutung des Künstlers für seine Zeit wirksam hervorgehoben.“ Durch das Kelleratelier der Künstlerin Doro K. Schmitz am Trutzenberg geht es erneut in die Waisenhausgasse. Die Friedrichstraße und Pataleonsmühlengasse führen die Gruppe zurück auf den Sachsenring.
Letzter Halt ist die beeindruckend leichtfüßige Skulptur der Diana mit Antilope, die ursprünglich im Rheinpark stand. Nun gibt sich auch Uschi Huber zu erkennen, die maßgeblich am Konzept für die Grünanlage Sachsenring und an der Errichtung des langen Tisches am Sachsenring beteiligt war. Kaffee und Pflaumenkuchen mit Sahne warten schon auf die Stadtspaziergänger. Am langen Tisch entwickeln sich schnell Diskussionen über die Stadtentwicklung sowie das Potenzial von Umnutzungen und neuen Ansätzen zur Gestaltung von städtischen Flächen. Alle Stationen die Boris Sieverts geplant hatte, konnten an diesem Nachmittag nicht besucht werden. Die Tour wird abgekürzt, es soll einen zweiten Rundgang mit weiteren historischen und architektonischen Höhepunkten geben. Zwanglos beschriften wir einen übrig gebliebenen Pappteller mit den Mailadressen der Stadtspaziergänger, um Infos zu den weiteren Rundgängen zu erhalten. Treffpunkte und Termine werden noch bekannt gegeben.
Sachsenring: Grünanlage als sozialer Äquator
Die öffentliche Führung „Rund um den langen Tisch“ am 15. Juli 2018 bildete den Auftakt zum StadtLabor 2018. Uschi Huber und Boris Sieverts setzen ihre Arbeit an den Kölner Ringen fort und sehen dabei eine Wiedervereinigung der zerschnittenen Teilflächen der Grünanlagen am Sachsenring mit Verlagerung des Autoverkehrs an die Ränder des Parks vor. Weitere Ziele sind die
Erschließung kaum genutzter Flächen, Schaffung neuer Funktionsräume und Blickachsen sowie das Herausstellen der Denkmäler und gartenarchitektonischer Gestaltungselemente, auch ein besonderer Brunnen ist geplant. Mehr Infos zum Projekt gibt es hier.
Fehlendes kuratorisches Konzept für die Kölner Ringe
Laut Kulturdezernat besteht seit Langem Handlungsbedarf für Lösungskonzepte zur Kunst im öffentlichen Raum. Ein fehlendes kuratorisches Konzept unter Berücksichtigung der Bestandspflege und nicht vorhandene Strategien für eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit stellen offensichtliche Mängel dar. Um Kunst und Kultur im öffentlichen Raum nachhaltig zu fördern gründeten Kunstbeirat und Kulturdezernat der Stadt Köln daher die Initiative StadtLabor. Wechselnde Teams befassen sich in befristet Zeitabschnitten mit unterschiedlichen Planquadraten der Kölner Innenstadt. Im Dezember 2016 erhielten drei Künstlerteams in einem verkürzten Auswahlverfahren den Zuschlag für die Erarbeitung modellhafter Lösungen an den Kölner Ringen bis Ende 2017.
StadtLabor trifft StadtOASEN
In Team 1 setzen sich Boris Sieverts und Uschi Huber neben Projekten am Barbarossaplatz und Rudolfplatz seit Juni 2015 auch mit der Grünfläche am Sachsenring auseinander. Mit der Größe eines kleinen Parks ist diese Fläche zwischen großbürgerlichen Villenviertel am Volksgarten und dem Handwerker- und Angestelltenquartier zu Füßen des Pantaleon hügels weit mehr als nur begleitendes Grün der Verkehrsachsen. Unter dem Titel StadtLabor trifft StadtOASEN baute das Team im vergangenen Jahr einen 28 Meter langen Holztisch mit Bänken am Sachsenring, der am 21. Juli 2017 mit rund 150 Gästen, Wein und kaltem Buffett eröffnet wurde. Die Anwohner der umliegenden Straßen haben die Aktion begeistert aufgenommen und den langen Tisch seitdem als Treffpunkt zum Feiern, für Besprechungen, zum Lesen oder für ein Getränk zum Feierabend genutzt. Zur Nachahmung empfohlen.
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