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Kultur

„Wir machen aus dir schon einen richtigen Menschen!“

Sonntag, 18. November 2012 | Text: Aslı Güleryüz | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten

Rainer Werner Fassbinder zählt nicht gerade zu den Kuschelregisseuren oder Dramaturgen unserer Zeit. Das Freie Werkstatt Theater hat sein Stück „Faustrecht der Freiheit“ nun im Spielplan. Ein mutiges Unterfangen!

Als ich den Titel „Faustrecht der Freiheit“ im Spielplan des Freien Werkstatt Theaters lese, erinnert es mich an etwas. Was nur? Rainer Werner Fassbinder, ok, den kennt man – oder zumindest seine kontroversen Filme. Der Titel kommt mir so bekannt vor….Na, klar! Es handelt sich um einen Film von Fassbinder aus dem Jahre 1975! Ulrich Hub hat es 2009 für die Bühne umgeschrieben.  

„Kultur musst du lernen, Franz!“
Mit dem Stück „Faustrecht der Freiheit“ bringt das Freie Werkstatt Theater ein allzu realistisches und existenzielles Stück auf die Bühne.
Franz Bieberkopf (Till Brinkmann) ist ein Gelegenheitsstricher und verdient sich ein wenig Geld als „Fox – der sprechende Kopf“ auf dem Jahrmarkt. Er ist nicht gerade ein Sympathieträger und eher von abschreckender Natur. Sein haarloser Kopf ist überdimensional, der breite Nacken sitzt auf einem leicht dicklichen Rumpf. Seine Mitmenschen machen sich oft und gerne über ihn lustig. Er gewinnt eine halbe Million im Lotto und macht dadurch die Bekanntschaft von einigen Herren der oberen Zehntausend. Unter ihnen Eugen (Marius Bechen) – hoch gewachsen, kultiviert, gut aussehend, elegant gekleidet. Eugen fühlt sich sexuell von Franz angezogen und Franz verliebt sich in Eugen. Der Kontrast könnte nicht größer sein. In kurzer Zeit gelingt es Franz allerdings, sich in die Herzen des Publikums zu spielen. Plötzlich finde ich ihn nicht abstoßend, ich empfinde für ihn! Er ist authentisch, menschlich, verletzlich, bodenständig und witzig. Eugen versucht Franz gesellschaftsfähig zu machen, führt ihn in die höhere Gesellschaft ein. Mit Theater- und Opernbesuchen will er ihn der Kultur näher bringen: „Kultur musst du lernen, Franz! Wir machen aus dir schon einen richtigen Menschen.“
Für die Liebe von Eugen, dem Sohn eines Unternehmers, erfüllt Franz ihm jeden Wunsch. Er hilft dem Familienunternehmen sogar finanziell und rettet es somit vor dem Bankrott. Die Liebe hält ein Jahr lang – so lange wie das Geld reicht. „Das ist die glücklichste Zeit meines Lebens!“ resümiert Franz.

 

Till Brinkmann (vorn), Klaus Wildermuth (hinten links) und  Marius Bechen.

 

Mit vier Schauspielern kommt das Stück aus. Das Bühnenbild ist spartanisch und besteht aus einer Vase mit Lilien. Das Drama, die Verzweiflung der beiden Protagonisten wird für den Zuschauer durch die enorme Leistung der Schauspieler erlebbar. Hervorragend ist das vierstimmige „Ti Amo“! Intensiv ist die Beziehung zwischen Franz und Eugen. Die Spannung knistert förmlich im Saal. Sicherlich nutzt Eugen die Großzügigkeit von Franz aus, aber er tut es aus seiner eigenen menschlichen Verzweiflung heraus. Nicht die Gier treibt ihn an. Das nimmt man diesem Eugen schon ab. Die Geschäfte des Vaters gehen gut, bis eine unvorhersehbare fremd verursachte Katastrophe über sie hereinbricht. Franz zahlt. Franz lässt sich ausnutzen, motiviert durch seine eigene nur allzu menschliche Verzweiflung, geliebt zu werden. Letztendlich hat Geld keine Bedeutung für ihn. Daher trägt er es auch achtlos in einer Keksdose mit sich herum. Das Stück spricht zwei Problematiken an – die Abhängigkeit von Geld und die Schwierigkeiten zweier Menschen in einer Beziehung. Der Unterschied zwischen Franz und Eugen wird unüberwindbar. Franz, der Schwächere von beiden, geht daran zugrunde. Ganz deutlich wird diese Botschaft des Autors durch ein Zitat von Rainer Werner Fassbinder, das die Schauspieler während des Stückes mit weißer Kreide auf den Boden schreiben: „Das einzige Gefühl, das ich akzeptiere, ist Verzweiflung.“

Leichten Herzens verlasse ich das Theater nicht. Aber ich nehme dankbar eine wichtige Botschaft und eine Anregung zum Nachdenken mit.

Nächste Vorstellungen:
„Faustrecht der Freiheit“
Mittwoch, 21.11.2012, 20 Uhr
Donnerstag, 22.11.2012, 19:30 Uhr mit Kurzvortrag: Geld und Gefühle
Freies Werkstatt Theater

Zugweg 10

 

Text: Aslı Güleryüz

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