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Gesellschaft Politik

Die Schere drehen

Dienstag, 24. Mai 2016 | Text: Aslı Güleryüz | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Armut? Bei uns im reichen Deutschland? Im Rheinland? In Köln? Das gibt es nicht! Gibt es doch! Und nicht zu knapp. Matthias W. Birkwald lässt dieses Thema nicht los. Vor einem Jahr hat er überlegt, eine Konferenz zu diesem Thema zu organisieren. Und die hat am Freitag (20.05.2016) in der Lutherkirche stattgefunden.

Zu der Konferenz “Armut im Rheinland” haben DIE LINKE eingeladen. Und die Kirche ist voll gewesen. Der Flyer zu der Veranstaltung liest sich wie ein “Who is Who” der Experten rund um das Thema: Prof. Dr. Butterwegge, Michaela Hofmann vom Diöesan-Caritasverband Köln, Pfarrer Franz Meurer, Pfarrer Hans Mörtter, Pfof. Dr. Münch, Dr. Schneider, Hauptgeschäftsführer Der Paritätische und von DIE LINKE noch Matthias W. Birkwald, Ulrike Detjen und Gregor Gysi.

Der Initiator der Veranstaltung, Matthias W. Birkwald eröffnet mit den Worten: “Wir brauchen ein Bündnis verschiedener Akteure, um Armut im Rheinland zu bekämpfen.”. Und dann geht es los mit vielen Zahlen, Fakten und Informationen. Fünf Stunden dauert die Konferenz und ist keine Sekunde langweilig.

Nicht nur im Ruhrgebiet ein Problem

Armut ist in Deutschland nicht so sichtbar wie in Entwicklungsländern. Bei uns geht es nicht um Armut, bei der es an Lebensmitteln, sauberem Wasser, Kleidung, Wohnraum und anderen existentiellen Dingen mangelt. Bei uns ist Armut relativ. Sie muss bei uns am Durchschnittseinkommen gemessen werden. Hier heißt es Mangel am kulturellen Leben, an Bildung, an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Es geht um Niedriglöhne, Hartz IV und sinkende Rentenniveaus. Dass noch größere Armut und vor allem Altersarmut kommen werden, ist absehbar. Wir verdrängen das Thema gerne, erklärt Butterwegge, da wir generell Angst vor dem Alter haben. Wir wollen uns nicht mit dem Tod auseinandersetzen. Wir verharmlosen das Problem. Aber: Es ist jetzt ‘Zeit zu handeln’.

 

Das Ruhrgebiet ist bekannt als Problemzone Deutschlands. Dort ist Armut überdurchschnittlich hoch. Aber auch Köln weist mit einer Armut von rund 22% der Bevölkerung auf alarmierende Zustände hin. Damit liegen wir über dem bundesweiten Durchschnitt von 15%. Birkwald möchte die Aufmerksamkeit für Armut im Rheinland wecken und kündigt auch eine Folgeveranstaltung für den Herbst an. Am Freitag kommen Referenten zu Wort, die über das Thema reden und schreiben. Im Herbst sollen Betroffene reden. Interessierte können sich ab sofort im Büro der LINKEN An der Bottmühle melden.

Armut spaltet unsere Gesellschaft. Das zeigt auch der Armutsbericht ‚Zeit zu handeln’ des Paritätischen Gesamtverbandes vom Februar 2016. Am Freitag wird das Problem aus mehreren Perspektiven beleuchtet: Der Rentner, der Behinderten, der Alleinerziehenden, der Frauen, der jungen Menschen und der Kinder. Welche Veränderungen sind durch gemeinsames Handeln im Bund und in der Region möglich? Es ist der LINKEN gelungen, unterschiedliche Organisationen auf das Podium zu bringen. Denn die Sache vereint.

Hausherr Pfarrer Hans Mörtter erklärt, in seiner Gemeinde, der Kölner Südstadt, seien ganz besonders alleinerziehende Mütter von Armut betroffen. Und in den letzten Jahren fällt es allen auf: Ältere Menschen suchen im Müll nach verwertbaren Resten. Das ist entwürdigend. Aber er sei auch ein Gegner der Tafeln: “So lange es in einem der reichsten Länder der Welt Tafeln gibt, läuft da etwas falsch.”.
Später wird der katholische Pfarrer Franz Meurer dazu sagen: “Ich bin kein Gegner der Tafel. In meiner Gemeinde sieht das Gesicht der Armut anders aus als in der Südstadt. 28% der Haushalte sind bei uns verschuldet. Fast 60%  leben von Hartz IV. So lange die Tafel nötig ist, bin ich kein Gegner von ihr. Tut etwas, damit wir sie nicht mehr brauchen Wir müssen klein anfangen. Jeder kann etwas machen. Einfache Sachen machen. Denn das Viertel gehört uns!“. Und noch etwas möchte er richtig stellen: „Arme Menschen sind nicht sozial schwach. Nein! Sie sind ökonomisch schwach oder finanziell schwach“. Auch Meurer wird die Würde ansprechen. Ein ungarischer Mann habe gesagt: „Dass ich in Deutschland viel arbeiten muss, wusste ich. Dass ich so gedemütigt werden würde, wusste ich nicht.“.

Überhaupt ist die Würde ein wichtiges Thema an diesem Abend. Birkwald zitiert aus den Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und fährt fort: „Da steht nicht: Die Würde des Deutschen ist unantastbar, oder die des Arbeitenden oder die des Reichen.“. Viele der Anwesenden sind vielleicht nicht von Armut oder Entwürdigung betroffen. Oder noch nicht. Es geht aber um die Solidarität der Menschen untereinander.

Mögliche Lösungen

Alle Redner des Abends haben Vorschläge zu machen. So plädieren sie für eine Erhöhung des Rentenniveaus, eine rigorose Umverteilungspolitik, eine Förderung durch eine Bund-Länder-Verteilung, eine Finanzierung der Infrastruktur (z.B. Mobilität, Schulgebäude, mehr Kita-Plätze etc.), die Entlohnung von in Werkstätten beschäftigter Behinderter auf Mindestlohn (bis jetzt werden sie auf Sozialhilfeniveau entlohnt), eine Erhöhung des Mindestlohnes, öffentlich geförderte Beschäftigung, die Ersetzung von Hartz IV durch sanktionsfreie und repressionsfreie Mindestsicherung von 1.050 Euro, der Wiedereinführung einer Vermögenssteuer in Form einer Millionärssteuer. Auch soll die Einkommenssteuer gerechter angesetzt werden.

 

So weit bis hierher. Und dann kommt Gregor Gysi. Seit Jahren redet er sich schon den Mund fusselig zu diesem Thema. Klar, lebhaft, mit viel Witz und Anekdoten spricht er für die Flüchtlinge und erklärt, dass die Fluchtursachen bekämpft werden müssen. Krieg erzeuge immer Armut. Daher müsse er bekämpft werden. Der Niedriglohnsektor in Deutschland sei der größte in ganz Europa. 1998 besaßen 10% der Bevölkerung 45% des Vermögens in Deutschland. 2013 besitzen sie bereits 53% des Vermögens. 90 reiche Unternehmerfamilien besitzen 320 Milliarden Euro in Deutschland. Die Schere muss gedreht werden. Nun zur Jugend. Fast 50% der unter 25-jährigen seien nur befristet beschäftigt. Wie sollen junge Menschen, die sich kaum selber versorgen können, verantwortungsvoll Kinder in die Welt setzen? Deutschland sei auch keine kinderfreundliche Gesellschaft. Wir brauchen aber Kinder. Auch dürfe die Bildungsstruktur nicht ausgrenzen. Gibt es einen Weg? fragt er. Ja! Die große Koalition könne doch eine große Reform machen. „Die würde lauten, dass wir den heute Jugendlichen sagen, bei euch gelten andere Maßstäbe. Alle mit Erwerbseinkommen müssen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Alle, Rechtsanwälte, Bundestagsabgeordnete, Beamtinnen und Beamte. Zweitens, keine Beitragsbemessungsgrenze mehr. Wenn du eben mehr als 7.000 Euro verdienst, musst du von deinem gesamten Einkommen einen Beitrag bezahlen. Drittens, der Rentenanstieg wird für die Spitzenverdiener abgeflacht. Und dann brauchen wir über Altersarmut gar nicht mehr zu diskutieren.“ Dann kommt er zur Demokratie. Wahlen seien nicht mehr repräsentativ, Demokratie sei nicht mehr repräsentativ. In reichen Bezirken sei die Wahlbeteiligung weitaus größer als in armen. Hier sei die LINKE gefordert.  Der Zulauf zu Rechtsextremismus wachse in ganz Europa. Die AfD werde in jede zweite Talkshow eingeladen. Und warum frage man sie immer nur nach Flüchtlingen? Man solle sie doch mal nach ihrer Steuerpolitik oder der Sozialpolitik fragen. Dann wüssten auch die Armen, dass sie die nicht wählen würden.

Zum Schluss spricht Gysi noch die Bildung an: „Wir haben keine Chancengleichheit in der Bildung. Ich will, dass wir eine Chancengleichheit herstellen, dass alle Kinder den gleichen Zugang zu Bildung und übrigens auch zu Kunst und Kultur haben. Der Zugang zu Kunst und Kultur ist viel zu teuer. Da muss man als Gesellschaft sagen, ja, wir subventionieren Kunst und Kultur, damit alle den chancengleichen Zugang dazu bekommen. Da muss man vielleicht auf andere Dinge verzichten, die wir auch nicht brauchen. Weder die Rüstung, noch die Rüstungsexporte. Wir müssen alle über unseren Schatten springen, wenn wir die Rechtsbewegung in Deutschland und Europa aufhalten wollen. Wir müssen kompromissfähig sein, sonst sind wir nicht demokratiefähig.“
Mit diesen Worten ist die Veranstaltung beendet. Meine Südstadt ist anschließend mit Gregor Gysi zu einem Interview verabredet.

 

Meine Südstadt: Ist das Thema Armutsbekämpfung gesellschaftsfähig geworden? Interessiert es die Leute?
Gregor Gysi: Im neo-liberalen Zeitalter hatte man gar keine Chance mit dem Begriff. Selbst der Begriff ‘soziale Gerechtigkeit’ war sowas von verpönt. Die Union hat es sogar  bei mir geschafft, dass ich eine Verzögerungssekunde hatte, bevor ich im Bundestag die Worte ‘soziale Gerchtigkeit’ aussprach, weil dann so ein Stöhnen durch die Reihen ging. ‘Da steht immer noch ein Doofer, der es nicht gemerkt hat’. Ich habe es trotzdem gesagt. Und das hat sich geändert. Der Zeitgeist hat sich geändert. Du kannst über diese Fragen jetzt sprechen. Mit der Wirtschaft, in den Kirchen, in den Gewerkschaften, im Bundestag, in den Medien. Und das ist für mich wieder ein Hoffnungsschimmer. Dass ich sage, wenn darüber wieder so diskutiert wird, dann erreicht man eine andere Aufmerksamkeit und vielleicht hier und da eine notwendige Veränderung.

Was würden Sie jetzt als erstes anstoßen, wenn Sie Kanzler wären?
Ich würde den Abschluss jedes neuen Rüstungsexportvertrages insbesondere in Richtung Krisen- und Kriegsregion wie Naher Osten etc. stoppen. Dann würde ich versuchen, G-7, G-8, G-20 zusammen zu trommeln und zu sagen, so, wir müssen jetzt bestimmte Dinge ändern. Ihr müsst gar nicht meiner Auffassung sein, aber ein Minimum müssen wir ändern. Wie überwinden wir den Hungertod? Wie überwinden wir die Umwelttoten? Wie beenden wir den Krieg in Syrien? Wie erreichen wir die Dinge, um auch die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Flucht ist ja meist nicht freiwillig, sondern geschieht aus Not. Also, muss ich die Not überwinden. So, und bei uns würde ich sofort Schritte gehen, um die prekäre Beschäftigung zu überwinden. Die Grundsicherung wenigstens sanktionsfrei zu machen und so weiter. Wissen Sie, es gibt immer Dinge, die man mit Leidenschaft betreibt. Und bei mir, am leidenschaftlichsten ist für mich die Frage der Chancengleichheit von Kindern. Und davon sind wir so meilenweit entfernt. Das stört mich am Meisten.  

Vielen Dank für das Gespräch.

Text: Aslı Güleryüz

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