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Kultur

„Man wacht auf, man fühlt wieder was!“…

Montag, 22. Oktober 2012 | Text: Judith Levold | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

…antwortet Matthias Glasner, Regisseur des Kinofilms „Gnade“ auf meine Frage, ob gemeinsame Schuld wirklich entfremdete Eheleute wieder zusammenschweißen könne.
Gemischte Gefühle bewegen mich, während ich am Freitagabend nach dem Abspann im Kinosaal des ODEON dem Gespräch zwischen Glasner und Schauspieler Jürgen Vogel mit dem Publikum zuhöre. Vielen Zuschauern ist das offenbar auch so ergangen, es wird gefragt nach Schuld und Sühne, danach, ob Verzeihen wirklich möglich sei, ob das Geständnis im Film nicht egoistische Motive habe und danach, wie die Crew das Klima beim Dreh in Norwegen ausgehalten habe. „Es war klar kalt, so minus 30 oder manchmal minus 40 Grad. Aber die Menschen da leben eben so. Da ist der ganze Tag ein Kampf. Das war sehr faszinierend, dass man sich da irgendwie nicht willkommen fühlt in der Natur, obwohl sie sich so wunderbar präsentiert.“ So erklärt Jürgen Vogel ein bisschen die Grundstimmung beim sechswöchigen Dreh.
 „Gnade“ spielt in Nordnorwegen, in der Dunkelheit der Polarnacht. Dorthin hat sich Ingenieur Niels (Jürgen Vogel) versetzen lassen und dort lebt er mit Frau Maria (Birgit Minichmayr) und Sohn Markus (Henry Stange) seit einem halben Jahr. Die Paarbeziehung steckt in der Krise, der Mangel an Kommunikation und Nähe lässt Niels fremdgehen und Maria selbstausbeuterisch Gutes tun bei ihrer Arbeit in einem Sterbehospiz. Ein von Maria unabsichtlich verursachter Autounfall mit Fahrerflucht, bei dem ein junges Mädchen stirbt, setzt eine Dynamik in Gang, in deren Folge sich die beiden wieder zueinander hin entwickeln – auf der Grundlage ihres gemeinsamen, verschwörerischen Schweigens bis hin zu ihrem gemeinsamen, befreienden Geständnis gegenüber den Eltern des getöteten Mädchens.

Am Tresen im Foyer des ODEON treffe ich die nach mehreren Promotion-Terminen müden Filmleute und komme zuerst mit Regisseur Matthias Glasner ins Gespräch – Jürgen Vogel ist -erwartbar,- von Groupies umringt.

Meine Südstadt: Schuld oder Geheimnis? Was macht Maria und Niels wieder reizvoll füreinander?
Matthias Glasner: Es entsteht einfach eine neue Intimität durch dieses extreme Ereignis. Sie haben sehr in der Verdrängung gelebt, wie wir alle irgendwie. Und da kommen sie sich wieder näher, jeder erstmal seinen eigenen Gefühlen und dann auch einander. Sie werden sensibler, die Verletzlichkeit des anderen wird wieder sichtbarer und das schafft Nähe…

Jürgen Vogel: Es ist einfach menschlich, dass sie sich da so wiederfinden. Das ist immer so, wenn Du jemanden wirklich brauchst, wenn Du etwas hast, was Du teilen musst. In diesem Fall die Schuld daran, dass das Mädchen gestorben ist. Dann kommst Du Dir automatisch näher.

Ist das wahrscheinlich? Dass die Eltern des Mädchens, als Niels und Maria ihnen schließlich den Hergang des Unfalls „beichten“, verzeihen können, also „Gnade walten lassen“?
Matthias Glasner: Im Drehbuch stand es ja erst ganz anders, und zwar so, dass Niels zur Polizei geht und den Unfall anzeigt. Doch dann wäre das ganze Thema eine Sache für die Justiz geworden. Ich wollte es unter den betroffenen Menschen lassen, wollte, dass beide Elternpaare sich begegnen und dadurch Rache oder Vergeltung oder sowas durchbrochen wird. Und das ist möglich, Menschen sind in der Lage, zu verzeihen

Jürgen Vogel: Die Figuren entwickeln sich sehr. Das hat man beim Drehbuchlesen schon gemerkt. Und sie müssen viele Entscheidungen treffen, Du musst Dich, wie die Figuren, immer fragen: willst Du das? Und ich wollte das spielen. Also meinen Part. Es ist eine erwachsene Figur.

Die ganze Gemengelage, die Entwicklung, das wirkt alles so schwer, so anstrengend. War es das auch für sie?
Jürgen Vogel: Ja. Zum Beispiel die Szene mit meiner „Affäre“ in der Kneipe.  Als ich es irgendwie zu Ende bringen muss. Was sie dazu gesagt hat in der Kneipe, das hat mich beim Dreh echt umgehauen. Ich war sprachlos und habe mich geschämt als Mann, weil sie so recht hatte.

Also Sie haben sich mit dem Verhalten Ihrer Figur unwohl gefühlt?
Jürgen Vogel: In dem Moment ja. Aber insgesamt nicht. Mich haben viele Bekannte angesprochen und gesagt „Da spielst Du ja erstmal ein ganz schönes Arschloch, oder? Dieser Niels, geht fremd und so…“. Ich antworte denen, dass ich das unehrlich finde, denn all´das, was Niels macht, ist völlig menschlich. Im Ernst, jeder Mann, der nicht 16 ist, hat das doch alles schon erlebt, oder? Mit 40 hat man betrogen, wurde man betrogen, war glücklich und unglücklich…

Matthias Glasner: Es ist in gewisser Weise eine Reise ins Licht. Dass heißt nicht, dass am Ende Friede, Freude, Eierkuchen herrschen, da ist eine Brüchigkeit.

Danke für das Gespräch!
 

Text: Judith Levold

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